18.11.2010
Hält das F-Wort für notwendig

Reclaim the F-Word

Nur weil die Öffentlichkeit an Frauen in lila Latzhosen denkt, sobald von »Feminismus« die Rede ist, und der Begriff unterschiedlichste Ansichten zur Geschlechterfrage umfasst, ist er noch lange nicht zu verwerfen.

Der Feminismusbegriff bleibt notwendig, denn er ist voll von Geschichte. Dabei spielt es erst einmal keine Rolle, ob der Gleichheitsfeminismus Simone de Beauvoirs gemeint ist, der die gesellschaftliche Gemachtheit der Identitäten »Frau« und »Mann« unterstrich. Oder ob im Sinne der Zweiten Frauenbewegung die Ansicht vertreten wird, dass Frauen und Männer auch durch Erfahrungen getrennt werden, die mit »Natur« zusammenhängen, und dass die »der Frau eigenen Eigenschaften« zu bewahren seien. Oder ob im Zuge des Third-Wave-Feminismus gender und sex als diskursive Kategorien dekonstruiert werden – die verschiedenen Frauenbewegungen, die alle Unterschiedliches behaupteten, kommen in einem Punkt überein: Sie sprechen über Geschlechterverhältnisse, um sie zu kritisieren.
Nun ist es nicht einerlei, welche der drei Richtungen man verfolgt. Sie sind zurecht unterschieden worden und gründen auch auf einem unterschiedlichen Verständnis unserer Welt. Wahrscheinlich sind allein schon die Worte »Verhältnis« und »Kritik« nicht im Sinne aller Bewegungen gewählt. Aber selbst Judith Butler, die vielleicht eher von Diskursen sprechen würde und schon die Kategorisierung »Frau« problematisiert, sagte in den neunziger Jahren: »Der Feminismus braucht die ›Frauen‹, aber er muss nicht wissen, ›wer‹ sie sind.«

Doch angeblich ist heute alles anders. Es heißt, wir bräuchten neue Begriffe, um unsere Gegenwart zu beschreiben. An Postmoderne und Postfordismus haben wir uns ja schon gewöhnt, jetzt gesellt sich noch das Wort »Postfeminismus« hinzu. Seine Vertreterinnen vereinigt meist eines: Sie profitieren glücklicherweise von den Errungenschaften des Feminismus der vorherigen Jahrhunderte, leugnen aber dessen Relevanz für die Gegenwart. Wie die in London dozierende Soziologin Christina Scharff analysierte, gelten Feministinnen den Frauen unserer Zeit mehrheitlich als »unfeminine, männerhassende Lesben«. So denkt, wie man nun einem Interview mit dem Spiegel entnehmen kann, offenbar auch die promovierte Bundesministerin für Familie, Se­nioren, Frauen und Jugend, Kristina Schröder.
In der anderen Ecke versammeln sich jene, die die Notwendigkeit feministischer Kritik nur noch dort sehen, wo die Bestrebungen zur politischen Emanzipation der Frau noch nicht ganz erreicht seien – anders gesagt: in der Gleichstellungspolitik der BRD. Feminismus wird hier auf die Frage nach den »Chancen und Gefahren von Quoten« oder nach der »wirtschaftlichen Ungleichheit von Frauen und Männern« reduziert.
Und nur weil Feministinnen stets unterstellt wird, sie trügen alle lila Latzhosen, muss sich der Feminismus noch lange nicht um seinen Hotness-Faktor kümmern. Auf Anhänger, die sich vom Aussehen seiner Befürworterinnen anziehen oder abstoßen lassen, ist er ohnehin nicht angewiesen. Und er braucht auch niemanden, der ihn links liegen lässt, sobald alle Parteien die Frauenquote eingeführt haben oder zwei deutsche prominente Frauen sich in seinem Namen um den letzten Funken Verstand bringen.

Es ist auch falsch zu behaupten, das F-Wort müsse man verwerfen, da es »leer«, »verbraucht« oder »voller unterschiedlicher Meinungen« sei. Es kommt vielmehr darauf an, von gesellschaftlichen Verhältnissen zu sprechen, statt geschichtsvergessen nach immer neuen Worten zu suchen. Alte Begriffe wie »Patriarchat« oder »Feminismus« deuten darauf hin, dass wir leider selten vor wirklich neuen Problemen stehen: Sie haben sich nur transformiert. Geschichtsträchtige Begriffe tragen dazu bei, Gesellschaft als Gewordenes zu verstehen. Indem diese Begriffe auf eine lange Tradition von Gesellschaftskritik verweisen, tritt das Bestehende als etwas hervor, das nicht einfach natürlich gewachsen, sondern ein Ergebnis von Kämpfen und Auseinandersetzungen ist.
Will ich mich mit Alice Schwarzer über die (selbstverständlich bahnbrechende) Wahl einer Frau zur Bundeskanzlerin freuen und mich mit ihr anschließend darüber wundern, dass die Kanzlerin eine Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ernennt, die eine antifeministische Politik der deutschen Mütter vertritt? Oder eher den Begriff des Feminismus verwerfen, um mich von solchen kruden Ansichten zu distanzieren? Keines von beidem. Der Feminismus hat immer auch die Gesellschaft über das Erreichbare hinaus kritisiert und hat daher auch heute noch utopisches Potential. Rechtliche Gleichstellung ist wichtig, aber eben nicht alles, was das Geschlechterverhältnis ausmacht. Und darum bleibe ich bei diesem Begriff, der so viel Gutes wie Problematisches beherbergt: weil er über die Gegenwart hinausweist.