Vorratsdatenspeicherung in Zeiten des Terrors

Daten aus dem Kühlregal

Ungeachtet des Urteils des Bundesverfassungsgerichts fordern Sicherheitspolitiker der CDU ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. Die FDP schlägt ein anderes Verfahren vor, das von Datenschützern jedoch ebenfalls kritisiert wird.

»Wenn ein Terrorist erst einmal mit einer Bombe auf dem Bahnhof steht, ist es zu spät«, warnte der CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl in der Financial Times Deutschland. Es gibt wieder Streit in der Bundesregierung. Denn die wegen der angeblich unmittelbar bevorstehenden Terroranschläge aus- und inländischer Terroristen »geänderte Sicherheitslage« erfordere eine Reaktion des Gesetzgebers, meinen die Sicherheitspolitiker vor allem aus Kreisen der CDU. Sie schreiben kurz vor Weihnachten ihre Wunschzettel, um die Gunst der Stunde und die Angst der Bevölkerung zu nutzen. Sie drängen dabei insbesondere auf ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung.
Das alte Gesetz wurde im Frühjahr vom Bundesverfassungsgericht für nicht verfassungswidrig erklärt, alle bis dahin aufgezeichneten Kommunikationsdaten mussten gelöscht werden. Das Gericht hatte aber nur das Gesetz selbst bemängelt, die verdachtslose Überwachung der ­E-Mail-, Handy- und sonstigen Telekommunikationsdaten der gesamten Bevölkerung, mit denen sich detaillierte Bewegungs- und Sozialprofile erstellen lassen, hingegen für generell zulässig befunden.

Seit der Entscheidung des Verfassungsgerichts findet in Deutschland keine Vorratsdatenspeicherung mehr statt. Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) verzögert die Verabschiedung eines neuen Gesetzes. Eine »pauschale massenhafte Überwachung jedweder Telekommunikationsverbindungen« lehnt sie, wie im jüngsten Interview mit dem Spiegel, weiterhin entschieden ab. Sie hält sich und ihre Partei für die Bewahrer eines liberalen Rechtsstaates. Bei anderen Gesetzesvorschlägen, etwa dem zur Neuregelung der Sicherungsverwahrung, folgt das Bundesjustizministerium allerdings den Hardlinern der Koalition. Hier geht es ja auch um verurteilte Straftäter, die weiter in Haft schmoren sollen, und nicht um eine von den Medien – auch aus journalistischem Eigeninteresse, wie dem Informantenschutz – kritisch debattierte Frage, bei der zudem der Prestigecharakter der Neuen Medien berücksichtigt werden soll. Natürlich betreibt die FDP auch Klientelpolitik, da die Kosten der Speicherung größtenteils von den Telekommunikationsunternehmen getragen werden müssen.
Der Gegenvorschlag der FDP-Bundestagsfraktion, der im November in den »Eckpunkten zur Verbesserung der Kriminalitätsbekämpfung im Internet« veröffentlicht wurde, heißt »Quick Freeze«-Verfahren. Die Kommunikationsdaten eines Verdächtigen sollen anlassbezogen und unter Richtervorbehalt »schockgefrostet« und »eingefroren« werden, solange gegen ihn ermittelt wird. Differenziert wird allgemein zwischen den Varianten Quick Freeze »Light«, »Plus« und »XXL«, je nachdem, ob nur die IP-Adresse oder noch weitere Verkehrs- und Standortdaten vorgehalten werden sollen. Die FDP hält dies für einen adäquaten und vor allem »verfassungskonformen« Ersatz der Vorratsdatenspeicherung.

In der Tat wäre dieses Verfahren ein kleinerer Eingriff in die Privatsphäre der Bürger, weswegen es wohl bald in Kanada zum Einsatz kommen wird. Hierzulande wird es etwa von Peter Schaar, dem Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, befürwortet. Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat), eine Gruppe von Bürgerrechtlern und Datenschützern, kritisiert das Freeze-Verfahren jedoch als eine Vorratsdatenspeicherung light, mit der ein »großer Dammbruch auf dem Weg in die Überwachungsgesellschaft« erfolge.
Erste Erfahrungen in anderen Staaten haben gezeigt, dass sich die Ermittlungsbehörden nur zu gerne der Vorratsdatenspeicherung bedienen und munter um Auskünfte ersuchen. So hat der AK Vorrat auf neue Zahlen aus Polen verwiesen, wo im Jahr 2009 staatliche Stellen 1,06 Millionen Mal auf Vorratsdaten zurückgegriffen haben, also pro Tag über 3 000 Anfragen erfolgt seien. Und Polen ist bisher nicht als Zentrum des Terrorismus berühmt geworden.
Auch im Fall der Bombenpakete, die mit Sprengstoff gefüllte Druckerkartuschen enthielten und per Luftfracht aus dem Jemen in die USA verschickt wurden, hätte die Vorratsdatenspeicherung im Inland kaum hilfreich sein können. Deshalb argumentieren die Sicherheitspolitiker immer auch mit dem Leid von Kindern und Jugendlichen, die zur Produktion von Kinderpornographie missbraucht werden. »Gerade Kinderschänder kennen viele Tricks und Kniffe, um sich ihren Opfern im Netz zu nähern«, mahnte jüngst die bayerische Justizministerin Beate Merk in der FAZ.
Auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion der Partei »Die Linke« musste das Bundeskriminalamt (BKA) jedoch kürzlich zugeben, dass von 5 000 Stellen dem zuständigen Referat »Sexualdelikte zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen« nur 23,3 zugeteilt wurden und lediglich 6,3 Personalstellen für das Löschen von kinderpornographischen Inhalten auf allen Servern weltweit vorgesehen sind. Wenn es nicht um die Rechtfertigung neuer Gesetze geht, hat der Kampf gegen Kinder­pornographie also keine Priorität, obwohl er in der Vergangenheit auch vom BKA immer wieder angeführt wurde, um weitergehende Befugnisse und Grundrechtseinschränkungen zu fordern.

Es scheint, als hätten alle Debatten und höchstrichterliche Entscheidungen der vergangenen Jahre kaum Auswirkungen auf die Politik gehabt. Angesichts einer vorgeblich verschärften Sicherheitslage wiederholen die Sicherheitspolitiker munter ihre Forderungen. Lediglich die Begriffe variieren. So fordert nun der Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), möglichst rasch die Quellen-Telekommunikationsüberwachung zu erlauben, also die Installation von Spionageprogrammen auf den Computern potentieller »Gefährder« , um Internet-Telefonate noch vor ihrer Verschlüsselung abhören zu können. Das weckt Erinnerungen an den einst dringend geforderten Bundestrojaner.
Allen Vorschlägen gemein ist, dass sie kaum anlassbezogen gestellt werden und nicht einmal versucht wird zu erläutern, welchen konkreten Nutzen sie für die Abwehr der Gefahren hätten, die als Begründung für ihre Notwendigkeit dienen. Andererseits wird, sofern die diversen Pläne realisiert werden, das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung substantiell weiter eingeschränkt. Überdies erhalten die Ermittlungsbehörden machtvolle Instrumente, obwohl bislang nur die Polizei Koffer gesprengt hat, die in Bahnhofshallen vergessen worden waren.