Seelenlose Maschinenmusik

Berlin Beatet Bestes. Folge 76. Off: Everybody Shake (1987).

Sag mal, gibt es eigentlich noch Techno? Vor ein paar Jahren wurde man damit noch überall berieselt. Das hat irgendwie nachgelassen, oder?«, das fragte ich unlängst einen Freund. Entrüstet entgegnete er: »Wie bitte? Auf was für einem Planeten lebst du denn? Berlin gilt als europäische Techno-Hauptstadt. Das Berghain ist die berühmteste Techno-Disco der Welt!« Ich hatte das gar nicht mitbekommen. Obwohl es bestimmt keine schlechte Musikgattung gibt, hasse ich Techno aus tiefstem Herzen. Aber noch mehr als die Musik hasse ich die Leute, die Techno hören: Popper. Schon in meiner Schulzeit, Mitte der achtziger Jahre, waren es die Popper, die ihren Golf tunten und am Wochenende in die Disco fuhren, die zuerst dieses EBM-Zeug hörten.
Zugegebenermaßen habe ich als 17jähriger auch fast jedes Wochenende in einer Großraumdisco verbracht, dem »MicMac« in Moisburg. Weil meine Freunde da hingingen und natürlich wegen der Mädchen. Aber eigentlich standen wir die ganze Zeit nur rum und machten uns über die Dorfbewohner lustig. Und warteten, dass ausnahmsweise mal ein halbwegs cooles Lied gespielt wurde, wie »Love Cats« oder »This is not a Love Song«. Ach ja, Leute, wir hatten doch sonst nichts, damals in der schweren Zeit! Heul! Damals in diesem langweiligen, sich zäh hinziehenden Jahr 1983 hatte ich jedenfalls viel Zeit, die Welt der Popper und Discotrottel kennen und hassen zu lernen. Am meisten habe ich gehasst, dass es um nichts ging. Alles war so leer. Gut aussehen und tanzen genügte, um dabei zu sein. Zu dem Zeitpunkt hatte ich selbst ja auch keine Alternative, ­keinen anderen Ort und keine Szene, mit der ich mich wirklich verbunden fühlte.
Innerhalb von zwei Jahren fand ich dann die Punkszene. Eine richtige Musikszene mit sehr kreativen und klugen, aber auch echt kaputten Leuten. Hier waren nicht alle nur Konsumenten. Und es ging um mehr, zum Beispiel den Kampf um die Hafenstraße. Als dann, Anfang der Neunziger, wiederum viele meiner Punkfreunde anfingen, Raves, Clubs und HipHop zu entdeckten, musste ich zumindest nicht erst tanzen lernen, wie all die anderen Punks.
Ich war auch einmal auf der Loveparade und im Tresor, aber mit der seelenlosen Maschinenmusik konnte ich nie etwas anfangen. Und mit den Drogen auch nicht. Sven Väth habe ich trotzdem auf dem Cover dieser Single gleich erkannt, als ich sie in einem Trödelladen fand. Er hat genau so eine dekorativ zerschlissene Jeans an, wie ich sie 1987 trug. Sven Väth ist ja unter den Poppern der Prolo, wahrscheinlich ist das sein Erfolgsrezept. Ich war neugierig, was er so am Anfang seiner Karriere, mit Off, seiner ersten Gruppe, für Musik gemacht hat. Wenig überraschend ist es ist das gleiche elektronische Dance-Zeugs, das mir im »Mic Mac« schon immer die Ohren verstopft hat. Es ist der wirkliche Soundtrack meiner Jugend. Und egal wie laut ich schreie: Black Flag, Negazione, Hüsker Dü, und tausend andere Namen, der Sound meiner Ge­neration bleibt »Die ultimative Chartshow der Achtziger«.