Haitis manipulierte Wahl

Sieben dunkle Jahre überstehen

Die Präsidentschaftswahl im faktisch unter UN-Verwaltung stehenden Haiti wurde manipuliert. Erst nach Unruhen rang sich die »internationale Gemeinschaft« dazu durch, eine Überprüfung der Ergebnisse zu fordern.

Fast könnte man glauben, die UN-Bürokratie habe viel Humor. »Die UN und die internationale Gemeinschaft werden niemals akzeptieren, dass ein legitimer haitianischer Präsident unter dem Druck der Straße geht«, sagte Edmond Mulet, Leiter der United Nations Stabilization Mission in Haiti (Minustah), nach Protesten gegen Manipulationen bei der Präsidentschaftswahl am 28. November. Als der von rechtsextremen Milizen belagerte Präsident Jean-Bertrand Aristide 2004 von den USA und Frankreich ausgeflogen wurde, war diese dubiose Aktion von der »internationalen Gemeinschaft« sehr wohl akzeptiert worden.
Es ist zweifelhaft, ob Aristide tatsächlich, wie er behauptet, entführt wurde. Wahrscheinlicher ist, dass er über seine Ankündigung, lieber zu sterben als zurückzutreten, noch einmal nachdachte, als im Präsidentenpalast Gewehrfeuer zu hören war. Auch Aristide hatte Wahlen manipuliert und Milizen zur Sicherung seiner Herrschaft eingesetzt. Doch so legitim wie der derzeitige Präsident René Préval, der sein Amt vor allem der Tatsache verdankt, dass Aristides Partei Lavalas seit 2004 an keiner Wahl mehr teilnehmen durfte, war er allemal.

In Haiti sind 12 000 UN-Soldaten stationiert, weil die »internationale Gemeinschaft« vor rechtsextremen Mörderbanden kapituliert hat. Seit knapp sieben Jahren steht Haiti faktisch unter UN-Verwaltung, und das Ergebnis als desaströs zu bezeichnen, wäre noch wohlwollend.
Entwicklungshilfe gehörte nicht zum Mandat der Minustah. Um die Macht- und Besitzverhältnisse aufrechtzuerhalten, schossen UN-Soldaten häufig auf Protestierende in den Armenvierteln. Die Blauhelme haben höchstwahrscheinlich die Cholera eingeschleppt, nun zieren sich die UN-Mitgliedsstaaten, die Rechnung zu bezahlen. Nur zehn Prozent der für die Bekämpfung der Epidemie angeforderten 164 Millionen Dollar sind eingetroffen. Von den 2,12 Milliarden Dollar, die nach dem verheerenden Erdbeben im Januar von der »internationalen Gemeinschaft« als humantitäre Hilfe versprochen worden waren, wurden immerhin 42,3 Prozent gezahlt. Knapp ein Jahr nach dem Erdbeben wurde noch nicht einmal allen der 1,3 Millionen Obdachlosen Zelte zur Verfügung gestellt, in feste Behausungen konnten nur einige tausend umziehen. Die versprochene Wiederaufbauhilfe in Höhe von knapp zehn Milliarden Dollar lässt auf sich warten.
Es soll erst gezahlt werden, wenn es eine stabile Regierung gibt. Deshalb sollten die Wahlen ungeachtet der Manipulationen schnell abgehalten werden, und es wurde nichts unternommen, um Betrugsversuche zu unterbinden. Préval gelang es, dem von ihm protegierten Kandidaten Jude Célestin die nötigen Stimmen für die Teilnahme an der Stichwahl zu verschaffen. Die Anhänger unterlegener Kandidaten protestierten, sie errichteten in mehreren Städten Barrikaden. Bei Straßenkämpfen wurden mindestens vier Menschen getötet.
Die Rebellion war erfolgreich. Hatte die Organisation der Amerikanischen Staaten am Tag nach der Wahl noch mitgeteilt, dass die »Unregelmäßigkeiten« die Wahl »nicht ungültig« machten, wurde die Kritik vor allem der US-Regierung stärker, je mehr Barrikaden brannten, bis die Wahlkommission am Freitag vergangener Woche eine erneute Auszählung der Stimmen unter der Aufsicht internationaler Beobachter ankündigte.
Wer Präsident Haitis wird, ist zweitrangig. Man tritt dieses Amt als Freund der Armen an, wie Aristide und später Préval, ist jedoch abhängig sowohl von einer einheimischen Oligarchie, die jeden Angriff auf ihre Privilegien mit dem Einsatz von Todesschwadronen beantwortet, als auch von ausländischen Geldgebern, die Stabilität fordern, aber nicht zahlen wollen, um die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Die Haitianer müssen daher ihr Land »destabilisieren«; wie bereits während der Hungerkrise 2008 hat auch diesmal erst bargaining by riot die »internationale Gemeinschaft« zu Zugeständnissen gezwungen.