Zum 25. Jahrestag eines der ersten rassistischen Morde, die in der BRD bekannt wurden

Unpolitisch Menschen jagen

In Hamburg wurde vor 25 Jahren Ramazan Avci von Neonazis ermordet. Die Tat war einer der ersten rassistischen Angriffe mit Todesfolge, die in der Bundesrepublik bekannt wurden.

Ramazan Avci hatte sein Auto in die Werkstatt gebracht, danach wollte er mit seinem Bruder und einem Freund mit dem Bus nach Hause fahren. Vor der Gaststätte am S-Bahnhof Landwehr standen etwa 30 Naziskins, sie griffen die drei jungen Männer an. Avcis Bruder und der Freund konnten in einen Linienbus fliehen. Ramazan Avci erreichte den Bus nicht mehr, er rannte auf die Fahrbahn, wurde von einem Auto erfasst, durch die Luft geschleudert und brach sich ein Bein. Auf dem Boden liegend, wurde er mit Baseballschlägern, Axtstielen und Fußtritten malträtiert, bis er bewusstlos liegen blieb. Er erlitt einen Schädelbruch und starb nach drei Tagen, am Morgen des 24. Dezember, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. Wenige Tage später wurde sein Sohn geboren, der nach ihm genannt wurde.

Anlässlich von Ramazan Avcis 25. Todestag gründete sich Anfang Dezember eine Gedenkinitiative. Sie fordert, dass der Bahnhofsvorplatz, in dessen unmittelbarer Nähe sich der Angriff ereignete, in Ramazan-Avci-Platz umbenannt wird. Der Angriff auf Avci gehörte zu den ersten rassistischen Attacken mit Todesfolge, die in der Bundesrepublik bekannt wurden. Wenige Monate zuvor, am 24. Juli 1985, war in Hamburg der 29jährige Mehmet Kaymakcı von drei Rechtsextremen ermordet worden. Sie schlugen ihn zusammen und zertrümmerten mit einer Gehwegplatte aus Beton seinen Schädel. »Wir wollten den Türken fertigmachen«, sagte einer der Täter nach seiner Festnahme. »Vor der Ermordung von Ramazan Avci und Mehmet Kaymakci war die gesellschaftlich-politische Atmosphäre aufgeheizt gegen die ›Ausländer‹«, erinnert sich Perihan Zeran. Sie war damals 18 Jahre alt und engagiert sich in der neugegründeten »Initiative zum Gedenken an Ramazan Avci«. Auch Ünal Zeran, ebenfalls in der Gedenkinitiative aktiv, sieht einen Zusammenhang mit den damaligen Regierungsplänen, die die sogenannten Gastarbeiter mit Prämienzahlungen zum Verlassen der Bundesrepublik bewegen wollten. Zeran erzählt, dass es zu Beginn der achtziger Jahre in Hamburg zu zahlreichen rassistischen Angriffe kam, bei denen mehrere Menschen verletzt wurden. »In Hamburg gab es eine Neonaziszene, die sich stärker formierte. Viele Nazigrößen wie Christian Worch, Michael Kühnen oder Jürgen Rieger stammten ja aus Hamburg.«

Die vier Neonazis, die von der Polizei nach dem Angriff auf Ramazan Avci noch mit den Tatwaffen in ihrem Besitz verhaftet wurden, waren Mitglieder einer Skinheadgruppe aus Hamburg-Lohbrügge. Sie war bekannt für ihre rassistische Jagd auf Einwanderer. Einer der Verhafteten, ­Ralph Lach, belastete bei seiner Vernehmung einen Mittäter schwer: René Wulff, der sich an seinem älteren Bruder orientierte, dem Neonazikader Thomas Wulff, damals »Gauleiter Nord« der »Aktionsfront Nationaler Sozialisten« (ANS). Gegen die Angriffe der Naziskins wehrten sich Jugendgangs wie die »Bomber«. »Wenn die Polizei uns nicht so oft gegriffen hätte, wären die Skins nicht so groß geworden«, sagte ein Mitglied der Gang nach Ramazan Avcis Tod. Zehn Monate zuvor hatte der Jugendbeauftragte der zuständigen Polizeidirektion in einer Bezirksversammlung erklärt, die Skins seien unpolitisch, Prügeleien seien eine »allgemein übliche Handlungsweise von Jugendlichen«, das solle man nicht überbewerten. Eine weitere Radikalisierung habe die Polizei bisher nicht beobachtet. Das galt aber nur für die Skins. Gegen die sogenannten ausländischen Jugendbanden wurde repressiv vorgegangen. Dass sich junge Migranten organisierten, um sich vor Naziangriffen zu schützen, war unerwünscht. Die »Bomber« konnten bei einem »Na­zialarm« bis zu 400 Personen mobilisieren. Gegen 80 Mitglieder der »Bomber« ermittelte fast zwei Jahre eine besondere Einsatzgruppe der Polizei, zu ihrer Überwachung wurde eine konspirative Wohnung angemietet, 29 Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet. Gegen die Naziskins aus Lohbrügge wurde hingegen nicht systematisch ermittelt, es kam lediglich zu vereinzelten Festnahmen. Die vier Männer, die Avci angriffen, galten als »polizeibekannt«. Erst nachdem Ramazan Avci im Krankenhaus gestorben war, wurde Haftbefehl gegen sie erlassen.

Für viele Migranten war Avcis Tod ein Schock, in der Politik und bei der Senatsverwaltung bemühte man sich hingegen überwiegend um Verharmlosung. Hamburgs Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) bedauerte den »tragischen Tod«, ohne den Naziterror zu erwähnen. Der Staatsrat der Innenbehörde, Peter Rabels (SPD), sagte, man dürfe den Skins nicht »die Ehre« eines politischen Hintergrundes zugestehen – sie seinen keine Neonazis, sondern »Schläger und Radaubrüder«. Das Muster für die Bagatellisierung von Naziskins war erfunden, mit der staatlichen Ausgrenzungspolitik von Migranten wollte man die Morde nicht in Verbindung bringen. In seiner Neujahrsansprache betonte Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) eine Woche nach Avcis Tod den »Stolz auf Deutschland, unsere Heimat, unser Vaterland, in dem es sich zu leben und zu arbeiten lohnt«.
Zwei Wochen später fand in Hamburg mit 15 000 Teilnehmern die bis dahin größte antirassistische Demonstration der Bundesrepublik statt. »Damals wurde der Begriff Ausländerfeindlichkeit verworfen, man begann von Rassismus zu sprechen«, erinnert sich Perihan Zeran. Sie beschreibt, wie sich Kulturvereine, Sportvereine, Moscheen und linke Gruppierungen aus der Türkei, die sonst häufig gegeneinander arbeiteten, verbündeten, um politisch Stellung zu beziehen. Letztlich führte die Tat vor 25 Jahren zur Gründung der Türkischen Gemeinde in Deutschland.
Nach dem Tod von Acvi begannen Perihan und Ünal Zeran, sich mit anderen Migranten in antirassistischen Initiativen zu engagieren, vor allem während der rassistischen Progrome der neunziger Jahre. Am 21. Dezember, dem Jahrestag des Angriffs auf Ramazan Acvi, veranstaltete ihre Initiative eine Gedenkkundgebung.