Fiat lässt die Arbeiter wählen

Erpressung per Referendum

Die Fiat-Methode scheint Erfolg zu haben. Der italienische Autokonzern hatte mit der Verlegung der Produktion ins Ausland gedroht, sollte die Belegschaft dem neuen Tarifvertrag nicht zustimmen. In einem Referendum durften seine Arbeiter entscheiden, ob sie künftig flexiblere Verträge, längere Arbeitsschichten und kürzere Pausen akzeptieren oder arbeitslos werden.

Im kalten Nebel des Turiner Januarmorgens zeigte sich plötzlich der Schatten der »wilden Katze« vor den Toren des Fiat-Werks Mirafiori und es schien, als setzte sie zum Sprung an. 46 Prozent der Karosserie- und Fahrzeugbauer hatten gegen die von der Konzernleitung vorgelegte »Vereinbarung« zur Neuorganisation des Turiner Hauptwerks gestimmt. Zwar erhielt das Abkommen wegen der breiten Zustimmung seitens der höher qualifizierten Techniker und Angestellten eine knappe Mehrheit, aber die Arbeiter hatten ihre Kampfbereitschaft mit unvorhergesehener Stärke demonstriert. Allen war klar: Die Produktion würde sich nicht einschüchtern lassen.

Anfang Dezember hatte der Geschäftsführer von Fiat, Sergio Marchionne, den Gewerkschaften eine innerbetriebliche Vereinbarung vorgelegt, von deren Unterzeichnung er die Investition in die Modernisierung des Turiner Stammsitzes abhängig machen wollte. Er bot an, eine Milliarde Euro in das Stammwerk von Turin zu investieren, um dort in Zukunft neue Modelle der Marken Alfa Romeo und Jeep zu produzieren. Andernfalls drohte er, die Produktion des in Zusammenarbeit mit Chrysler konzipierten neuen SUV-Modells in Detroit anzusiedeln und langfristig überhaupt keine Autos mehr in Italien produzieren zu lassen. Auch vom Premierminister wurde Marchionne untestützt. »Wenn das Nein gewinnt, wäre es richtig, zu gehen«, sagte Silvio Berlusconi.
Die konservativen Gewerkschaften FIM-CISL, UILM, UGL und Fismic akzeptierten die von Fiat diktierten Bedingungen, allein die linke Metallgewerkschaft Fiom weigerte sich, das Abkommen zu unterschreiben. Entsprechend des gewerkschaftlichen Stimmenverhältnisses hätten beim Referendum vergangene Woche gut zwei Drittel der Belegschaft für die Betriebsvereinbarung stimmen müssen. Das Abstimmungsergebnis machte deutlich, dass der Widerstand nicht nur von der Fiom getragen wird, sondern von einer breiten Basis der Fiat-Arbeiter Unterstützung erfährt.
Die Vereinbarung sieht vor, dass der Schichtbetrieb künftig auf sechs Tage in der Woche ausgeweitet wird, während gleichzeitig die täglichen Arbeitspausen um zehn Minuten gekürzt und die halbstündige Kantinenpause ans Schichtende verlegt werden. Die Mitarbeiter sollen statt der bisher üblichen 40 gegebenenfalls 120 Überstunden pro Jahr garantieren. Eine paritätische Kommission aus Unternehmens- und Gewerkschaftsvertretern soll mit Hilfe eines detaillierten Kontrollsystems dafür sorgen, dass die Zahl der Fehl­tage innerhalb der nächsten eineinhalb Jahre drastisch gesenkt wird. Angedroht wird die Aussetzung der Lohnfortzahlung am ersten Krankheitstag.
Bereits im Frühjahr hatte Marchionne die Wiederaufnahme der Produktion im süditalienischen Pomigliano d’Arco von der Zustimmung zu einer ähnlichen innerbetrieblichen Vereinbarung abhängig gemacht. Mit Ausnahme der Fiom hatten schon damals alle Gewerkschaften im Dienste der Standortsicherung für eine Unterzeichnung des Abkommens plädiert. Anstatt sein Vorgehen als offenen Erpressungsversuch zu entlarven, wurde Marchionne als »Modernisierer« des rückständigen mezzogiorno gefeiert. Sogar dem Dachverband der Fiom, der linksgerichteten CGIL, schienen seine Forderungen in diesem »speziellen Fall« gerechtfertigt. Diese Haltung beruhte auf einer groben Fehleinschätzung. Für Fiat war das Referendum in Pomigliano kein »Sonderfall«, sondern ein Testlauf.

Das Turiner Abkommen ist jedoch keine einfache Neuauflage der süditalienischen Vereinbarung. Es stellt erstmals das Mitbestimmungsrecht grundsätzlich in Frage. Die Belegschaft soll nicht mehr in freien Wahlen über die Zusammensetzung der Gewerkschaftsvertretung bestimmen können, stattdessen sollen zukünftig nur noch diejenigen Gewerkschaften, die das Abkommen unterzeichnet haben, jeweils die gleiche Anzahl Vertreter ernennen und in die Fabriken entsenden dürfen. Diese Betriebsvereinbarung unterläuft nicht nur die vom Unternehmerverband Confindustria unterzeichneten nationalen Tarifvereinbarungen, sie verstößt vor allem gegen das in der italienischen Verfassung festgeschriebene Gewerkschaftsrecht.
Arbeitsminister Maurizio Sacconi begrüßt das Ergebnis, er sieht das Fiat-Abkommen als Modell für andere italienische Großunternehmen. Auch Emma Marcegaglia, die Vorsitzende der Confindustria, kommentierte den Ausgang des Referendums positiv, obwohl der Fiat-Manager mit seiner Politik der Sondervereinbarungen de facto den Ausstieg aus der italienischen Unternehmervereinigung vorbereitet. Tatsächlich markiert das Abkommen für Marchionne einen »historischen Wendepunkt«. Mirafiori könne endlich zu einer »exzellenten Fabrik« umgebaut werden, nachdem mit dem Ausschluss der Fiom »ideologische« und »extremistische« Altlasten entsorgt worden seien.
Obwohl bereits in Pomigliano nicht nur die Mitglieder der Fiom gegen die Vereinbarung gestimmt hatten, bildete sich auch anlässlich der Abstimmung in Turin eine Einheitsfront gegen die linke Metallgewerkschaft. Die Führung der Demokratischen Partei rechtfertigte Marchionnes Pläne als strategische Notwendigkeit, um im globalen Konkurrenzkampf der Autobauer bestehen zu können. Susanna Camusso, die neu gewählte Vorsitzende der CGIL, kritisierte die kategorische Ablehnung der Fiom. Sie schlug vor, das Abkommen der Form halber zu unterzeichnen, damit die linken Metaller wenigstens weiterhin im Unternehmen präsent blieben. Für den Vorsitzenden der Fiom, Maurizio Landini, konnte es in Anbetracht des Angriffs auf verfassungsrechtlich garantierte Arbeitsrechte jedoch keinen »Kompromiss« geben. Da er den Widerstand der Fiom nicht zur patriotischen Verteidigung des Indus­triestandorts stilisierte, sondern den Konflikt auf die arbeitsrechtliche Thematik zuspitzte, bot Landini den verschiedenen sozialen Bewegungen Anschlussmöglichkeiten.

Studenten und prekär Beschäftigte solidarisierten sich im Kampf »gegen die systematische Erosion der sozialen Rechte und gegen die politische Demontage des öffentlichen Bildungssystems«. Auch namhafte Altlinke meldeten sich zu Wort: Mario Tronti, ein Theoretiker des Operaismus in den sechziger und siebziger Jahren, rief die Gruppe »Arbeit und Freiheit« ins Leben. Rossana Rossanda, Mitbegründerin der Tageszeitung il manifesto, forderte in einem offenen Brief an den Staatspräsidenten Giorgio Napolitano, er möge in seiner Funktion als Garant der Verfassung zu den arbeitsrechtlichen Verstößen Stellung beziehen. Im Bündnis »Gemeinsam gegen die Krise« rufen Studentenbewegung und Fiom-Metaller für den 28. Januar zu einem landesweiten Streik auf.
Viele Protestaktionen wurden bereits vor Durchführung des Referendums geplant, bekommen aber infolge des Abstimmungsergebnisses größeres Gewicht.
Die Führung der CGIL revidierte mittlerweile ihre Kritik an der Fiom und distanzierte sich verspätet vom »Autoritarismus« der Fiat-Konzernleitung. In einem Fernsehinterview gestand Camusso, vom hohen Anteil an Nein-Stimmen überrascht worden zu sein. Inzwischen erwägt der Vorstand der CGIL sogar, gegen die verfassungsrechtlichen Verstöße des Fiat-Abkommens Klage einzureichen. Allerdings lässt sich der ­politische Konflikt nicht an die Staatsanwaltschaft delegieren. In den sechziger Jahren begann mit den Fabrikstreiks in Form der »wilden Katze« die soziale Insubordination. Da es derzeit keine Parteilinke gibt, die der Politik des rechten Regierungslagers und den Zumutungen des größten italienischen Unternehmens etwas entgegenzusetzen hätte, werden sich die sozialen Proteste vermutlich ausweiten. Am Freitag voriger Woche kam zeitgleich mit dem Abstimmungsergebnis bei Fiat die Nachricht, dass es der Protestbewegung auf der anderen Seite des Mittelmeers gelungen war, das verhasste System zu stürzen. Vor allem unter den Bloggern verbindet sich seither die Freude über das gute Abschneiden der Fiom mit dem Aufruf, sich die tunesischen Nachbarn zum Vorbild zu nehmen.