Die Fotografien von Robert Mapplethorpe. Eine Retrospektive in Berlin

Im Kopf Licht und Schatten

Patti Smith hat ihr Versprechen eingelöst. Sie hatte Robert Mapplethorpe vor seinem viel zu frühen Tod zugesagt, dass sie die Geschichte der beiden erzählen wird. In ihrem kürzlich erschienenen Buch »Just Kids« beschreibt sie, wie beide sich als Künstler selbst erfanden, als sie nach New York City kamen, bettelarm waren, ihren Vorbildern in die Hotspots folgten und schließlich sehr unterschiedliche Wege gingen. Erst waren sie ein ganz gewöhnliches Liebespaar, später mussten sie immer wieder herausfinden, was sie für einander sein konnten, denn Robert Mapplethorpe war schwul. Eine heterosexuelle Liebesbeziehung, wie Patti sie sich anfangs wünschte, war somit nicht möglich. Die beiden waren Verbündete, Freunde, Geliebte, Kollegen, und einer war die Muse des anderen.
Smith und Mapplethorpe sind beide 1946 geboren, beide kamen in den sechziger Jahren nach New York und fanden keinen Platz in der Ära der Hippies und der politischen Turbulenzen. Gemeinsam suchten sie nach einer Künstleridentität, doch erst in den Siebzigern fanden sie ihre Rollen: Sie als Musikerin, er als Fotograf. Das war auch die Zeit, in der sie sich langsam voneinander entfernten und andere Beziehungen eingingen. In Zeiten der analogen Fotokunst war Fotografieren eine kostspielige Angelegenheit, zu teuer für Mapplethorpe. Zunächst bastelte er vor allem Collagen, die er mit Fundstücken aus Märkten, Sexshops oder Antiquariaten gestaltete. Sein Vorbild war dabei Marcel Duchamp. Erst als sein wohlhabender Freund, der Sammler und Mäzen Sam Wagstaff, ihm Anfang der Siebziger den Auftrag verschaffte, mit einer Polaroid zu fotografieren, hatte er die benötigten Produktionsmittel zur Verfügung. Wag­staff war es auch, der ihm seine erste richtige Kamera, eine Hasselblad, schenkte und ihm den Zugang zu den Archiven des Metropolitan Museum of Art öffnete. Damit konnte sich Mapplethorpe erstmals ein Bild von der Geschichte der Fotografie machen.
Patti Smith war sein erstes Modell. Nur sich selbst hat er öfter fotografiert. Es gibt dieses berühmte Foto von ihr, das er für ihr erstes Album »Horses« aufnahm. Smith posiert darauf im weißen Hemd und in schwarzer Hose. »Ich warf mir mein Jackett über die Schulter wie Frank Sinatra. Ich hatte den Kopf voller Zitate. Er nur Licht und Schatten im Kopf«, schrieb sie über das Bild. Es ist ein ikonisches Bild, es steht für Punkrock, Slackerstyle, androgyne Weiblichkeit sowie prekäre Bohemian-Kultur, all das, was heute als Beginn eines bestimmten Zweigs der Popkultur romantisiert und derzeit in einer umfassenden Retrospektive in der C/O Berlin ausgestellt wird. Ein ganzer Raum ist Mapplethorpes Bildern von Patti Smith gewidmet.
Die Berliner Ausstellung ist ein Rückblick auf Mapplethorpes Schaffen, der auch die Veränderung des Kunstmarktes in den letzten 30 Jahren und die Rolle reflektiert, die Mapplethorpe dabei spielt. Manche seiner über 1 500 Polaroids werden hier zum ersten Mal ausgestellt. Aufgenommen hat er sie in seinen Zwanzigern. Die ästhetische Sprache ist bei weitem noch nicht so geschliffen und reduziert wie in seine späteren Fotografien. Aber auch hier geht es ihm schon darum, die Grenzen zwischen Akt und Stillleben, Objekt und Subjekt zu verwischen. Ein Thema, das seine künstlerische Geschichte durchzieht. Die Polaroids waren immer auch eine Gemeinschaftsarbeit, das Modell konnte umgehend auf die Aufnahme reagieren, Posen konnten verbessert werden. Ähnlich verfuhr er mit seinen zahlreichen Selbstporträts: Indem er seine eigene Nacktheit präsentierte und gleichzeitig der Fotograf war, sein Blick mit dem des Betrachters deckungsgleich wurde, verschwimmen die Grenzen zwischen Sehen und Gesehenwerden, Fotografieren und Fotografiertwerden.
Die Mehrzahl der in der Retrospektive ausgestellten Bilder stammt aus den Achtzigern. Zwei Themen sind bestimmend: Zum einen wollte Mapplethorpe die Welt der schwulen Hinterzimmer öffentlich machen und Sadomasochismus und homosexuelle Aktfotografie aus der Schmuddelecke holen. Zum anderen war er ein Erforscher der Oberflächen. Es ging ihm immer um die perfekte Form. Egal ob er Kinder, Celebrities, Penisse oder Blüten inszenierte und fotografierte.
Seine Blumenbilder, die ihm zu seinen ersten kommerziellen Erfolgen verhalfen, werden im Raum gegenüber dem Raum mit seinen Penisbildern ausgestellt. Solch eine Spiegelung gab es schon einmal, damals allerdings unbeabsichtigt: Beide Serien wurden 1978 gleichzeitig zum ersten Mal gezeigt, die Blumen in Uptown New York, in der Holly Solomon Gallery, die Penisse downtown, in der damaligen Off-Galerie The Kitchen. Im Berliner Postfuhramt wurden sie in der ehemaligen Küche aufgehängt, eine humorvolle Geste der Berliner Kuratoren.
Robert Mapplethorpe ist am 9. März 1989 an Aids gestorben. Noch 1988 hat er selber die Mapplethorpe Foundation gegründet, die sich heute um die Vermarktung seiner zahlreichen Bilder kümmert und die auch diese Retrospektive mitorganisiert hat. Der Schock, den seine Bilder einst ausgelöst haben, ist nicht mehr erkennbar. Viele der Fotos waren in den Achtzigern und Neunzigern Zensurprozessen ausgesetzt. Eine Aufnahme zeigt ihn mit einer Peitsche im Arsch, er schaut direkt in die Kamera. Was früher ein Skandalbild war, wirkt heute humorvoll. Seine Ästhetik sowie seine Thematiken sind längst Kanon geworden. Akt- und Fetischfotografie und Celebrities schocken heute nicht mehr, sind vielmehr zum elementaren Bestandteil unserer Kultur geworden. Mapplethorpe und seine Zeitgenossen haben die Grenzen zwischen High- und Lowbrow, Mainstream und Underground, Oberfläche und Inhalt eingerissen. Was bleibt ist die Zeichensprache, bestehend aus Crossdressing, identitärer Indifferenz und Collagenhaftigkeit, die längst zum folgenlosen, popkulturellen Selbstbedienungsladen gehört.
In den multidimensionalen Inszenierungen Matthew Barneys, dem Oberflächenkitsch David LaChappelles und den Darstellungen sensibler sowie exzessiver Homosexualität bei Wolfgang Tillmans finden sich Motive wieder, die auch Robert Mapplethorpe verwendet hat. In ihrem Buch »Just Kids« schreibt Patti Smith über ihren Jugendfreund: »Junge Männer werden seinen Gang imitieren. Junge Mädchen in weißen Kleidern werden in seine Locken weinen. Man wird ihn verdammen oder verehren. Seine Exzesse geißeln oder romantisch überhöhen. Am Ende wird man die Wahrheit in seinem Werk finden, der eigentlichen Verkörperung des Künstlers. Sein Werk wird nicht vergehen.« So wie Patti Smith ihm mit ihrem Buch ein Denkmal gesetzt und damit begonnen hat, seine Geschichte festzuschreiben, arbeitet die Berliner Retrospektive am Mythos Mapplethorpes. Seine Inszenierungen sind bereits zum zentralen Bestandteil unserer Bildkultur geworden, jetzt wird er als Künstlertypus reinszeniert. Dass seine Bilder nun ausgestellt und auch nach dem Ende der Retrospektive sicherlich öfter zu sehen sein werden, ist dabei ein begrüßenswerter Nebeneffekt.

»Robert Mapplethorpe. Retrospektive«. C/O Berlin.
Bis 27. März. Katalog zur Ausstellung: 29,80 Euro

Robert Mapplethorpe: The Black Book. Schirmer/Mosel, München 2011, 108 Seiten, 29,80 Euro