Hat sich »Tal der Wölfe – Palästina« in einem Kino in Istanbul angesehen

Israel besiegen

Die türkische Produktion »Tal der Wölfe – Palästina« rechnet mit den Verantwortlichen des Angriffs auf die Gaza-Aktivisten ab.

Innen- wie außenpolitisch gehört eine harte Haltung gegenüber Israel mittlerweile zu den Markenzeichen des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Außenminister Ahmet Davutoglu hat einmal erklärt, wenn auch nur halb­öffentlich, dass man eines Tages in Jerusalem beten werde, was viele als Anspielung auf eine islamische Rückeroberung ganz Palästinas gewertet haben. Mit der gewaltsamen Erstürmung des türkischen Schiffs »Mavi Marmara«, das die Gaza-Blockade durchbrechen sollte, hat Israel zur Verschärfung der Konflikte zwischen beiden Ländern beigetragen. Den Tod von neun türkischen Aktivisten werden die Türken so rasch nicht vergessen. Nun ist mit »Tal der Wölfe – Palästina« ein Actionfilm in der Türkei und 20 anderen Ländern angelaufen, der zeigt, wie ein türkisches Rächertrio den Angriff auf die »Mavi Marmara« durch die Ermordung des israelischen Kommandanten rächt.
Der Streifen kommt, sei es Zufall oder nicht, ein knappes halbes Jahr vor den türkischen Parlamentswahlen in die Kinos. Erdogan könnte sich aufgerufen fühlen, im Wahlkampf sein antiisrae­lisches Profil zu schärfen, während sein ehemaliger Mentor Necmettin Erbakan versucht, ihn als Handlanger der israelischen Politik darzustellen, weil der Ministerpräsident die Politik Israels zwar kritisiert, aber bisher nur wenige Taten hat folgen lassen. Allerdings sieht es bisher nicht so aus, als würde der Film in der Türkei ein großer Kassenschlager.

Als der Film am vergangenen Samstag in Istanbul seine Premiere feiert, ist nur ein Drittel der Plätze besetzt. Gekommen sind drei Vierergruppen kopftuchbewehrter Frauen, die immer dicht beieinander bleiben. Der Rest des Publikums ist fast ausschließlich jung und männlich. Einige könnte man sich auch gut in einem Film mit Bud Spencer vorstellen, sowohl vor als auch auf der Leinwand, nicht nur von der Statur her, sondern auch wegen der coolen Art. Sie stopfen sich Popcorn in den Mund und warten, dass der Film beginnt. Bei »Tal der Wölfe – Palästina« schwankt man ständig zwischen Empörung und dem Gefühl, dass man die Geschichte einfach nicht zu ernst nehmen sollte. Fast der gesamte Film besteht aus Ballerei. Die Hauptfigur, Polat Alemdar, erschießt am laufenden Band israelische Soldaten. Die Eingangssequenz zeigt das Auslaufen und die Erstürmung der »Mavi Marmara«. Israelische Soldaten, die sich von einem Hubschrauber abseilen, schießen an Bord des Schiffes erbarmungslos um sich. Ein wenig von dem verzweifelten Widerstand seitens der Besatzung wird auch gezeigt.

Polat Alemdar macht die Vergeltung zu seiner ganz persönlichen Angelegenheit. Als er an einer israelischen Straßensperre im besetzten Palästina seinen Pass vorzeigen muss, stellt sich heraus, dass er Türke ist. Der Soldat verzieht verächtlich seinen Mund und fragt, warum er nach Israel gekommen sei. Alemdar antwortet, er sei nicht nach Israel, sondern nach Palästina gekommen und werde den Leiter des Einsatzes gegen die »Mavi Marmara« töten. So offen zu sein, ist für ihn kein Problem, denn er wird dem Soldaten im nächsten Moment das Gewehr entreißen und seine Mission beginnen.
Neben ihm steht praktischerweise auch gleich die weibliche Hauptfigur, eine amerikanische Jüdin, deren Großeltern, wie der Film andeutet, wohl von den Nazis ermordet wurden. Sie wird von Polat Alemdar mitgerissen und landet bei einer palästinensischen Familie, wo sie sich zu solidarisieren beginnt und auch gleich von ihrer Tablettenabhängigkeit geheilt wird. An ihrer Herkunft nimmt die Familie keinerlei Anstoß, nur einmal hält ihr eine Palästinenserin vor, dass sie keine richtige Frau sei, weil sie keine Kinder habe. Insgesamt wird in diesem Film sehr wenig gesprochen. Polat Alemdar kommt in 90 Minuten auf schätzungsweise 30 Sätze. Dialoge dienen lediglich als Vehikel zur Verbreitung ideologischer Botschaften, wie etwa in Anspielung auf den Holocaust: »Kein einziger Araber hat einen Juden in Polen getötet«.
In der Pause wird noch einmal kräftig Popcorn nachgeordert. Insgesamt reagiert das junge Publikum eher verhalten. Zwei-, dreimal lachen ein paar Leute bei den faden Gags, für die einer der Kumpane von Polat Alemdar zuständig ist. Schließlich kommt es zum großen Showdown. Wie in der Anfangsszene auf der »Mavi Marmara« seilen sich Kommandos von einem Hubschrauber ab. Doch wenn die israelischen Soldaten unten ankommen, sind sie bereits tot, erschossen von Polat Alemdar, der mit seiner Panzerfaust den Hubschrauber zersiebt, bevor er in Flammen aufgeht und in Zeitlupe zu Boden stürzt. Erwartungsgemäß versammelt der Film alle denkbaren Klischees: Die israelischen Soldaten ermorden die Palästinenser wie Fliegen. Ein Soldat soll eine neue Patrone ausprobieren und zielt zuerst auf eine Schafherde. Doch dann entschließt er sich, lieber den Fahrer eines Kleinlasters zu erschießen. Am Rückspiegel seines Fahrzeugs hat der Ermordete Fotos von zwei kleinen Kindern befestigt.
Polat Alemdar fällt ein alter Mann in die Hände, der offensichtlich bei der israelischen Armee eine große Nummer ist. Der Alte erklärt, er habe die Macht, ihm alles auf der Welt zu geben. Alemdar fragt: »Möchtest du feilschen?« Alles sei nur eine Frage des Preises, antwortet der Alte. Alemdar entgegnet ihm jedoch, er wolle nur Rache üben und dann zufrieden nach Hause fahren. Die Figur des Alten lässt kein antisemitisches Stereotyp aus.

Eine andere Anspielung zielt spezieller auf das türkische Publikum. In einem seiner 30 Sätze behauptet Alemdar gegenüber dem alten Mann, dass die türkische Nation niemals Kinder getötet habe. Auf der Handlungsebene ist dies die Antwort auf einen Mord an einem behinderten Jungen. Auf der historischen Ebene ist es eine Anspielung auf den inhaftierten Chef der PKK, Abdullah Öcalan, der in der Türkei als Kindermörder bezeichnet wird. Zugleich kursieren in rechten türkischen Kreisen angebliche Beweise dafür, dass die Kurden eigentlich Juden sind, zumindest die führende Familie Barzani.
Es gibt zwei Figuren, die offensichtlich dazu dienen sollen, den Vorwurf der politischen Voreingenommenheit zu entkräften. Da ist die engagierte Jüdin, die sich den Palästinensern anschließt. In einer Diskussion mit dem bösen Alten wirft sie diesem sogar vor, er sei gar kein Jude. Der Alte antwortet, das sei jetzt nicht der Ort, um darüber zu diskutieren, wer Jude sei, und dass sie keine Ahnung habe, wie Israel gegründet worden sei. Wer sein Vorurteil hat, braucht es danach nicht zu korrigieren.
Can Dündar schrieb in der Milliyet, die Rolle der Jüdin stimme ihn nostalgisch, denn sie erinnere an die Tochter des byzantinischen Kaisers, die sich Tarkan anschließt. Tarkan ist der Held mehrerer türkischer Zeichenromane und Filme, die, obwohl schon etwas älter, zu den Evergreens des türkischen Fernsehens gehören.
Die andere Figur ist ein Imam, der sich Gedanken darüber macht, warum die Israelis morden. Er kommt zu dem Schluss, dass sie von Angst geleitet werden und deshalb in jedem einen Feind sehen. Die Furcht der Israelis allerdings, so stellt der Film klar, beruht auf Paranoia, denn von muslimischer Seite geht keine Gewalt aus, sondern ausschließlich Gegengewalt, die auch niemals Schwache oder Unschuldige trifft. Also ist die Angst, von der der Imam spricht, krankhaft. Krankhaft wirkt manches an den Film-Israelis, etwa die komisch hochgezogenen Schultern, wenn die israelischen Soldaten marschieren, und plötzlich versteht man auch, warum die amerikanische Jüdin Pillen einwirft, politisch geläutert wird.
Ein weiteres Motiv des Films ist, dass gute Menschen Kinder lieben und viele Kinder haben, während die Israelis wenige Kinder haben und daher schon aus Angst vor der demografischen Entwicklung zu morden beginnen. In einer Fernsehdiskussion zum Film erklärte Hauptdarsteller Necati Sasmaz: »Wir wollten zeigen, dass Israel nicht unbesiegbar ist.«
Von dieser Botschaft ist sicher auch ein Teil des Publikums angetan, als es den Kinosaal verlässt. Ein Jugendlicher redet beschwingt auf seinen Kumpel ein und erklärt noch einmal, wie der Filmheld dies und jenes gemacht hat, und außerdem geht es ums Heiraten. Dabei hat Polat Alemdar die Jüdin kein einziges Mal geküsst.
In der Türkei scheint der Film kein großer Erfolg zu werden, doch es bleibt abzuwarten, wie er in anderen Ländern des Nahen Ostens aufgenommen wird. Angesichts der wachsenden Unruhe in arabischen Ländern muss sich die türkische Führung überlegen, wie sie sich in der neuen Situation als Regionalmacht definert.