Über das Transsexuellengesetz 

Der Staat und das Skalpell

Das Bundesverfassungsgericht hat eine der wesentlichen Bestimmungen des bestehenden Transsexuellengesetzes für verfassungswidrig erklärt.

Transsexuelle Menschen müssen sich nicht länger einer Operation unterziehen, damit ihr empfundenes Geschlecht auch rechtlich anerkannt wird. Das hat das Bundesverfassungsgericht am 11. Januar in einer Grundsatzentscheidung festgestellt. Die Vorschriften des Transsexuellengesetzes, die eine geschlechtsangleichende Operation und dauerhafte Fortpflanzungsunfähigkeit zur Voraussetzung für eine rechtliche Geschlechtsänderung machten, sind nun nicht mehr anwendbar.
Ginge es nach der Bundesregierung, würde es hierzulande wahrscheinlich auch heutzutage noch keine Möglichkeit geben, den Geschlechts-eintrag im Geburtenbuch zu ändern. Bereits die Einführung des Transsexuellengesetzes im Jahr 1980 wurde erst durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts herbeigeführt. Das Gericht hatte damals erklärt, eine rechtliche Anerkennung des empfundenen Geschlechts müsse zumindest nach einer geschlechtsanpassenden Operation möglich sein. Im Transsexuellengesetz wurden daraufhin zwei Verfahren festgelegt, um ein Leben im empfundenen Geschlecht zu führen.

Nach der sogenannten kleinen Lösung konnten Transsexuelle einen neuen Vornamen wählen, der Eintrag im Geburtenbuch blieb jedoch unverändert. Die »große Lösung« bezog sich auf die Änderung des Geschlechtseintrages und damit auf die rechtliche Zuordnung zum empfundenen Geschlecht. In beiden Fällen musste die Transidentität in aufwendigen Verfahren durch Gutachten bestätigt werden. Für die »große Lösung« kamen aber weitere Voraussetzungen hinzu. Wer sein Wunschgeschlecht eintragen lassen wollte, musste älter als 25 Jahre, unverheiratet und dauerhaft fortpflanzungsunfähig sein. Außerdem war eine Operation nötig, die »eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechtes erreicht«. Gemeint ist damit die Amputation von Penis und Hoden beziehungsweise die Verkleinerung der Brüste und die Entfernung von Gebärmutter und Eierstöcken. Ohne diese Eingriffe war die rechtliche Anerkennung bisher nicht möglich.

»Der Zwang zur Operation war ja eigentlich schon seit Inkrafttreten des Gesetzes verfassungswidrig«, sagt Katrin Alter, die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (DGTI). »Nur haben damals viele Transmänner und -frauen das Transsexuellengesetz als Fortschritt gesehen, weil es erstmals überhaupt eine Anerkennung des Geschlechts ermöglichte. Deshalb haben sie sich anfangs nicht dagegen gewehrt.« Später kam es jedoch immer wieder zu Verfahren. Die Altersgrenze von 25 Jahren wurde schon 1982 vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben, das Erfordernis der Ehelosigkeit als eine weitere Voraussetzung zur rechtlichen Anerkennung wurde 2008 abgeschafft. Mit der kürzlich getroffenen Grundsatzentscheidung endet nun der Zwang, sich für die rechtliche Anerkennung einer geschlechtsangleichenden Operation mit einhergehender Sterilisation unterziehen zu müssen. Manfred Bruns, Sprecher des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) und ehemaliger Bundesanwalt, stellt fest: »Mittlerweile hat das Bundesverfassungsgericht eine solche Menge von Vorschriften für ungültig erklärt, dass vom Transsexuellengesetz nur noch Trümmer übrig sind.«
Anlass für die Entscheidung war die Verfassungsbeschwerde einer Transfrau, die mit ihrer Partnerin eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen wollte. Das wurde ihr vom Standesamt verweigert, mit dem Hinweis, sie habe lediglich ihren Vornamen geändert und sei daher rechtlich gesehen ein Mann. Die Lebenspartnerschaft stehe nur gleichgeschlechtlichen Paaren offen, in Betracht komme aber eine Ehe. Die Frau sah sich vor die Wahl gestellt, eine Partnerschaft einzugehen, die ihrem Selbstverständnis widersprach – oder eine Operation vorzunehmen, bei der Penis und Hoden amputiert werden. Das Bundesverfassungsgericht hielt das für unzumutbar und für verfassungswidrig. Die rechtliche Änderung des Geschlechts dürfe nicht ausnahmslos von einer Operation abhängig gemacht werden. »Praktisch bedeutet dies, dass der Zwang zur operativen Angleichung der Geschlechtsmerkmale und zur Herstellung der Fortpflanzungsunfähigkeit vom Tisch ist«, sagt Bruns vom LSVD. Für Katrin Alter ist das ein deutlicher Schritt zu mehr Selbstbestimmung: »Bis jetzt mussten sich viele keine Gedanken darüber machen, ob sie eine Operation wollten oder nicht. Es gab ja keine andere Möglichkeit, rechtlich anerkannt zu werden.«

Welche Bedeutung die Politik den geschlechtsanpassenden Operationen bisher zugemessen hat, zeigt ein Blick auf die Entstehungsgeschichte des Gesetzes. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung begründete die Notwendigkeit einer Kastration vor der rechtlichen Geschlechtsänderung mit der »Überlegung, dass es nicht angängig wäre, jemandem die Eheschließung mit einer anderen Person männlichen Geschlechts zu ermöglichen, solange er sich geschlechtlich noch als Mann betätigen kann«. Diese Ansicht teilte der Bundesrat, hielt aber die Möglichkeit der bloßen Vornamensänderung schon für zu liberal. In seiner Stellungnahme hieß es: »In Wahrheit ist für alle Transsexuelle charakteristisch, dass sie eine Anpassung an das andere Geschlecht erstreben.« Die Möglichkeit der Vornamenswahl ohne vorhergehende Operation führe nur dazu, dass »Personen, bei denen eine gewisse transsexuelle Veranlagung vorhanden ist, voreilig den ›Umstieg‹ zum anderen Geschlecht versuchen, obwohl andere Auswege gegeben wären«. Die Regelung dürfe aber keinesfalls so gestaltet sein, »dass sie transsexuelle Neigungen fördert«.
Seitdem hat das Bundesverfassungsgericht nicht nur allmählich das Gesetz verändert, sondern auch die dahinterstehende Ideologie in Frage gestellt. So formulierte es 2005 in einer Entscheidung deutlich: »Die dem Transsexuellengesetz zugrunde liegenden Annahmen über die Transsexualität haben sich inzwischen in wesentlichen Punkten als wissenschaftlich nicht mehr haltbar erwiesen.« Jetzt hat das Gericht nicht nur den Zwang zur operativen Geschlechtsanpassung aufgehoben.
Auch die dauernde Fortpflanzungsunfähigkeit, die damit bisher zumeist einherging, darf nicht länger Voraussetzung für die rechtliche Anerkennung des Geschlechts sein. Zwar gibt sich das Bundesverfassungsgericht zunächst konservativ und stellt fest, der Gesetzgeber verfolge ein berechtigtes Anliegen, wenn er ausschließen wolle, »dass rechtlich dem männlichen Geschlecht zugehörige Personen Kinder gebären oder rechtlich dem weiblichen Geschlecht zugehörige Personen Kinder zeugen, weil dies dem Geschlechterverständnis widerspräche und weitreichende Folgen für die Rechtsordnung hätte«. Dennoch entschieden die Richter, dass die Erzeuger- beziehungsweise Gebärendenrolle im Einzelfall durchaus im Widerspruch zur rechtlichen Zuordnung stehen könne, solange sichergestellt sei, dass einem Kind eine Mutter und ein Vater zugewiesen werde. Somit kann eine Transsexuelle etwa in allen rechtlichen Bereichen als Frau, lediglich im Verhältnis zum Kind als Vater gelten. Mit dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts könnte die herrschende biologistische Geschlechterkonzeption irritiert werden.