Solidarität mit dem ägyptischen Protest in der Westbank und im Gazastreifen 

Freiheit ist ansteckend

In der Westbank und im Gaza-Streifen solidarisieren sich die Menschen mit dem Aufstand in Ägypten. Vor allem die Hamas scheint ein Übergreifen der Unruhen nach Gaza zu fürchten und unterdrückt gewaltsam den Protest.

Nach dem Umsturz in Tunesien, der Revolte der ägyptischen Bevölkerung, dem »Tag des Zorns« in Syrien und den Unruhen in Jordanien und im Jemen ist die Lage im Westjordanland sowie im Gaza-Streifen bislang ruhig geblieben. Doch auch in den palästinensischen Gebieten gab es Reaktionen auf die politischen Entwicklungen der vergangenen Tage.
In Ramallah löste die Polizei am vorvergangener Sonntag eine Demonstration vor der ägyptischen Botschaft mit Gewalt auf und verhaftete mehrere Personen. Einige Tage später wurde eine kleine Solidaritätsdemonstration »für das ägyp­tische Volk« im Zentrum der Stadt ebenso gewaltsam aufgelöst. Nur etwa 30 Personen seien gekommen, berichtete die palästinensische Nachrichtenagentur Maan. Ähnlich wie in Tunesien und Ägypten war der Aufruf zur Demonstration über Facebook verbreitet worden. Zuvor hatten Mitglieder der Fatah im Zentrum von Ramallah für den ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak demonstriert. Auf Plakaten bezichtigten sie den ägyptischen Oppositionsführer und ehemaligen Chef der Wiener Atombehörde, Mohammed El Baradei, ein »Agent der CIA« zu sein.

Auch im Gaza-Streifen wurde am Montag vergangener Woche eine kleine Demonstration von Unterstützern des Aufstandes gegen den ägyptischen Herrscher von der Hamas aufgelöst. Sechs Frauen und zwei Männer, darunter der Journalist Asmaa al-Ghoul, wurden verhaftet. Die Frauen wurden später wieder freigelassen, eine von ihnen berichtete, von Polizistinnen verprügelt worden zu sein. Die Nahost-Beauftragte von Human Rights Watch, Sarah Leah Whitson, kritisierte das Vorgehen der Hamas. Die solle mit ihrer »willkürlichen Einmischung in friedliche Demonstrationen wegen Ägypten oder anderen Dingen« sofort aufhören.
Die Regierung der Autonomiebehörde schweigt sich derzeit zu den Revolutionen in Tunesien und Ägypten aus. Die Behörde äußerte lediglich die Hoffnung, dass Ägypten die Unruhen »überwinden« möge. Der palästinensische Autor und Aktivist Omar Barghouti schrieb, dass die Behörden in Ramallah und in Gaza keinerlei Proteste tolerierten. »Die Fatah und die Hamas können sich auf fast nichts einigen. Aber ihr gemeinsamer Nenner ist die Unterdrückung jeglichen Ungehorsams und der Freiheit.«

Die Unruhen in Ägypten wirken sich im Gaza-Streifen derzeit auch ökonomisch aus. Die Waren werden knapp und teuer. Es gibt widersprüch­liche Behauptungen darüber in den Medien, wer den Grenzübergang bei Rafah, an der Grenze zu Ägypten, geschlossen habe.
Anfang vergangener Woche seien Beduinen aus dem Sinai zur Grenze gekommen. Sie hätten sich Feuergefechte mit ägyptischen Grenzpolizisten geliefert. Dabei soll es auch Tote gegeben haben, was aber nicht bestätigt werden konnte. Weiter hieß es, die ägyptischen Polizisten hätten ihre Posten verlassen, weshalb Tausende Paläs­tinenser in Ägypten festsäßen. Es gab aber auch Meldungen, wonach die Hamas die Grenze geschlossen hat. Wegen der Unruhen in Ägypten sind auch viele Banken geschlossen worden, was zu einem Mangel an Bargeld geführt hat. Das Benzin wird knapp, da der Lastwagenverkehr lahmgelegt wurde. Auch der Handel durch die Schmugglertunnel ist fast völlig zum Erliegen ­gekommen.
Die britische Hilfsorganisation Oxfam berichtet, dass in »normalen« Zeiten, also bis vor zwei Wochen, etwa 80 Prozent aller Waren durch diese Schmugglertunnel in den Gaza-Streifen gelangt seien, darunter auch Benzin. Israel habe die Warenterminals an den Grenzübergängen Kerem Shalom und Karni geschlossen. Die Brotpreise seien im Gaza-Streifen gestiegen, weil das Mehl knapp werde.
Eine israelische Militärsprecherin dementierte diese Behauptungen von Oxfam und bezeichnete sie als »Propaganda und üble Provokation«. Kerem Shalom, der Übergang für Lastwagen mit Hilfsgütern für den Gaza-Streifen, sei täglich geöffnet, außer am Freitag und Samstag. Der Terminal Karni, wo über Förderbänder und riesige Schleusen Mehl und andere Waren nach Gaza transportiert werden, sei in dieser Woche sogar an drei Tagen geöffnet gewesen und nicht, wie üblich, nur zweimal. »Sie können gerne kommen und sich selber überzeugen, dass die Übergänge offen sind«, sagte die Sprecherin.
Trotz der geschlossenen Grenze sollen prominente Mitglieder einer Terrorgruppe der Hizbollah, die vor zwei Jahren in Ägypten verhaftet worden waren, aus dem Gefängnis ausgebrochen und nach Gaza entkommen sein.
Zwischen der Hamas, die sich 2007 in Gaza an die Macht geputscht hat, und der Fatah, die im Westjordanland herrscht, gibt es bekanntlich eine tiefe Feindseligkeit. Tawfiq al-Tirawi, der ehemalige Geheimdienstchef der Autonomiebehörde und Mitglied des ZK der Fatah, nahm den Aufstand in Ägypten zum Anlass, um die Menschen in Gaza zu einer Revolte gegen die Hamas-Regierung aufzurufen. »Das Volk von Gaza sollte es Ägypten nachmachen und die Freiheit beschneidende Diktatur beenden.« Tirawi ruft auf Facebook zu einer »Revolution der Würde« auf, mit einer großen Demonstration in Gaza-City am 11. Februar. Die parteilose Gruppe um Tirawi, die am 28. Januar gegründet wurde, hat schon mehrere tausend Sympathisanten, zumindest auf Facebook. Die Gruppe bezichtigt Mann zufolge die Hamas, im Gaza-Streifen einen »zionistisch-iranischen Plan« verwirklichen zu wollen. In einem Fünf-Punkte-Plan ruft die Gruppe zur Überwindung der Spaltung des »palästinensischen Volks« auf. Sie plane eine »friedliche Intifada für die Einheit und gegen das Emirat der Finsternis«.
Der Anführer der Hamas, Salah al-Bardawil, erwiderte abschätzig, dass weder Facebook noch Tirawi die Regierung in Gaza erschüttern könnten: »Gaza ist die Revolution an sich, ein Leuchtfeuer für die arabische Welt.« Al-Bardawil rief die Politiker im Westjordanland auf, ihre Kooperation mit den Israelis einzustellen.
Ein Verschwinden von Hosni Mubarak könnte für die Palästinenser schwerwiegende politische Folgen haben. In den vergangenen Jahren spielte der ägyptische Herrscher eine zentrale Rolle als Vermittler. Für die Hamas und Israel war Mubarak der einzige, der mit beiden Seiten reden konnte. Durch indirekte Verhandlungen in Kairo brachte er einen Waffenstillstand zustande.
Noch kann über den Ausgang der ägyptischen Revolte nur spekuliert werden. Ob Ägypten weiterhin als neutraler Vermittler auftreten kann und das Vertrauen der zutiefst untereinander verfeindeten Palästinenser in Ramallah und im Gaza-Streifen sowie der Israelis genießen wird, ist offen. Jeder Wechsel kann sich auf die Beziehungen mit einer dieser drei Parteien auswirken.