Massenentlassungen in Kuba

Die Partei soll es richten

Kuba soll effizienter werden. Doch die Regierung tut sich schwer, vor allem auf dem Arbeitsmarkt neue Strukturen zu schaffen. Der Parteitag im April soll darüber entscheiden.

»Am Boulevard San Rafael ist zwar deutlich mehr als früher los, aber die Leute verkaufen alle das Gleiche: schwarz gebrannte und geklaute CDs oder Nahrungsmittel«, erzählt Gabriel Calaforra. »Es gibt einfach nicht viel im Angebot«, fährt der kubanische Intellektuelle fort. Einst war der Mann von Ende siebzig im diplomatischen Auslandsdienst Kubas beschäftigt. Mittlerweile ist er längst pensioniert, beobachtet die Entwicklung auf der Insel und gilt als Kritiker der Regierungspolitik. »Alle in Kuba warten auf den Parteikongress im April«, meint Calaforra. »Dort soll über die Maßnahmen entschieden werden, über die derzeit in den Betrieben und in den Nachbarschaftsversammlungen diskutiert wird«, sagt er. »Auch ich war auf so einer Versammlung unten in der Nachbarschaft.«
Er wohnt im Zentrum von Havanna, nicht weit vom Prado und der Akademie der Wissenschaften entfernt. Diese ist im Capitolio untergebracht, einem Gebäude, das wie eine Replik des Weißen Hauses in Washington aussieht.

In den Straßen ist deutlich mehr los. Die zahlreichen Entlassungen, die in Kuba derzeit stattfinden, machen sich dort bemerkbar. Bis zum 1. April sollen 500 000 Staatsbedienstete entlassen werden, und ein erheblicher Teil von ihnen sucht bereits nach neuen Arbeitsmöglichkeiten.
Die sind in Kuba allerdings rar. Zwar setzt die Regierung von Raúl Castro offiziell auf die Freiberuflichkeit, aber die Möglichkeiten, die es derzeit gibt, sind außerordentlich bescheiden. »Arbeitsmarktreformen mit angezogener Handbremse«, lautet das Urteil von Ökonomen im universitären Dienst, die auf die fehlenden Arbeitsmöglichkeiten für die Entlassenen hinweisen. Doch nicht nur wer seine Stelle verliert, hat es schwer, denn attraktive Jobs sind seit rund 20 Jahren in Kuba schwer zu finden. Seit Beginn der neunziger Jahre befindet sich Kuba in einer ökonomischen Dauerkrise. Zwar hat man die Parole »Kuba muss privater werden« ausgegeben und auch festgelegt, wie privatwirtschaftlich die Inselökonomie zukünftig sein soll, aber über den Weg zu diesem Ziel ist man sich offenbar noch nicht ganz einig. So kündigte Finanzministerin Lina Pedraza in ihrer Rede vor dem Parlament im Dezember an, dass bis 2015 nicht weniger als 1,8 Millionen Kubaner von der staatlichen Lohnliste gestrichen und in der Privatwirtschaft untergebracht werden sollen. Angesichts von 4,9 bis 5,1 Millionen Erwerbstätigen in Kuba eine unglaubliche Zahl, denn niemand weiß, wo all die Menschen unterkommen sollen. Insgesamt wurden 178 Berufe für die Freiberuflichkeit freigegeben. Darunter sind aber viele eher exotisch, wie Drescher, Früchteschäler oder Statist, die nicht sonderlich stark ins Gewicht fallen. Reformorientierte Ökonomen wie Pavel Vidal und Omar Everleny Pérez vom Studienzentrum der kubanischen Wirtschaft für die Freigabe weiterer Berufe, plädieren daher für Reformen in der Landwirtschaft, wo die meisten Jobs entstehen könnten, sowie für mehr Feiräume für kleine Genossenschaften.
Doch bisher hält sich die Regierung in den Büros am Platz der Revolution zurück und beschränkt sich darauf, den Effekt der bisherigen Maßnahmen zu beobachten. Bis Ende 2010 wurden etwas mehr als 75 000 Lizenzen für die »Arbeit auf eigene Rechnung«, wie die Selbständigkeit in Kuba genannt wird, vergeben. Rund 8 000 weitere Anträge befanden sich nach Angaben der Granma, der Zeitung der kommunistischen Partei Kubas, in der Bearbeitung. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Massenentlassungen aber noch kaum begonnen. Das ist mittlerweile der Fall, und Gabriel Calaforra kritisiert, dass die Reformen ausgesprochen schlecht vorbereitet worden seien: »Kaum ein Kubaner weiß, wie er kalkulieren, dass er Rücklagen bilden muss, um die Abgaben zahlen zu können. Da wird munter drauflosgewirtschaftet und über die Konkurrenz macht man sich erst Gedanken, wenn es so weit ist«, schildert Calaforra ein verbreitetes Problem. Auf der Nachbarschaftsversammlung, wo die Reformvorschläge der Regierung im Hinblick auf den Parteikongress im April diskutiert wurden, hat er zudem darauf hingewiesen, dass die neuen Privaten mit viel zu hohen Steuersätzen belastet werden. »Das kann in einem Land ohne Steuerkultur doch kaum funktionieren«, gibt Calaforra zu bedenken. Gleichwohl ist auch er für ein Ende der Stagnation und begrüßt, dass sich endlich etwas tut auf der Insel.

Das ist überfällig, denn schließlich hatte Raúl Castro nach seiner Machtübernahme Mitte 2006 viele Erwartungen nach strukturellen Reformen geweckt und nur wenige davon erfüllt. Nun soll anscheinend der große Wurf folgen und Kubas sozialistisches Wirtschaftsmodell erneuert werden. Dass nach Jahren der Stagnation endlich Bewegung in die wirtschaftliche Situation der Insel kommt, begrüßt auch Leonardo Padura, Kubas prominentester Schriftsteller. Er ist seit langem ein Befürworter von Reformen und hat mehrfach gemahnt, dass die Zeit nicht für, sondern gegen die Regierung spielt. Er argumentiert mit der Abwanderung und der Desillusionierung vieler Jugendlicher auf der Insel. »Die In­effizienz der Ökonomie gefährdet den Erhalt der positiven Elemente der kubanischen Revolution«, meint der 55jährige.
Ein gutes Beispiel lieferten die am 11. Februar bekannt gewordenen Statistiken zum Wohnungsbau. Demnach arbeiteten die privaten Bauherren im vergangenen Jahr deutlich effizienter als die öffentlichen Baubrigaden. Während die einen ihren Plan übererfüllten, lagen die anderen unter der Planvorgabe der Regierung, wie die Tageszeitung Juventud Rebelde meldete. Das Phänomen ist nicht neu und kostet die Regierung wichtige Ressourcen. Genau das kann sich die Regierung von Raúl Castro allerdings nicht leisten, wenn das Währungssystem nicht kollabieren soll, und deshalb nutzt sie jede Chance, um Subven­tionen abzubauen.
Die zahlreichen Entlassungen sind dafür genauso ein Beislpiel wie die Preiserhöhungen bei Grundnahrungsmitteln. Erst Ende voriger Woche wurden die Preise von Zucker und Reis merklich erhöht, um die öffentlichen Kassen zu entlasten. »Effizienz2 ist zu einer der wichtigsten Vokabeln in den öffentlichen Reden der Politprominenz seit dem Amtsantritt von Raúl Castro geworden. Er steht für einen »schlanken Staat«, doch wie dies mit dem Selbstverständnis der kubanischen Revolution zu vereinen ist, darüber werden die Delegierten der kommunistischen Partei Kubas zu entscheiden haben. Dass es beachtliche Widerstände gibt, hat der jüngere der beiden Castro-Brüder bereits bei seiner letzten Rede vor dem kubanischen Parlament deutlich gemacht. Ohne Reformen drohe das Ende des kubanischen Experiments, mahnte der Staatschef. Wem das nicht passe, der solle seine revolutionäre Pflicht erfüllen und zurücktreten.