Über die Reform des internationalen Währungssystems

Die Retter aus dem Palais Royal

Bei der Suche nach einem weniger krisenanfälligen Kapitalismus sind einige bedeutende Finanzpolitiker auf die Idee verfallen, das Bretton-Woods-System wiederzubeleben. Der US-Dollar soll dabei jedoch keine dominierende Rolle mehr spielen.

Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit erschien 1993 ein Ausblick auf die Weltwirtschaft der kommenden Jahrzehnte. »Die Ohnmacht der Mächtigen« lautete der Titel des Buches. Verfasst hatte es Günter Reimann, ein bizarrer Außenseiter im wirtschaftspolitischen Diskurs.
In den zwanziger Jahren war Reimann Wirtschaftsredakteur der KPD-Zeitung Die Rote Fahne gewesen, 1933 wurde er als jüdischer Kommunist zur Emigration in die USA gezwungen. Dort wurde er reich, indem er den dortigen Kapitalisten, Banken und Finanzbehörden sein Wissen verkaufte. Seine wöchentlich erscheinenden International Reports on Finance and Currencies waren bis zu ihrem Verkauf an die Financial Times 1983 eine feste Institution, die trotz ihres immensen Preises – ein Jahresabonement kostete zeitweise die unvorstellbare Summe von 2 000 US-Dollar – über immerhin 4 000 Abonementen verfügte. Unter ihnen befanden sich neben Großunternehmen, Banken und wirtschaftswissenschaftlichen Instituten immerhin auch 70 Zentralbanken, die nur allzu gerne auf die Analysen des Marxisten zurückgriffen.
In seinem Buch von 1993 sprach Reimann, der nach eigener Auskunft aus seinen politischen Auffassungen »nie einen Hehl gemacht hatte«, dem Kapitalismus nur eine geringe Überlebenschance zu. Vier Jahre nach dem Ende der realsozialistischen Regime, die Reimann als staatskapitalistisch bezeichnet hatte, nahm er vor allem die Währungspolitik seit den siebziger Jahren in Augenschein. Die Ausdehnung der Geldmenge müsse in einer »Krise des internationalen Geld- und Währungssystems« münden, da das akkumulierte Kapital nicht in den Verwertungsprozess, sondern ins »Niemandsland« der Spekulation zurückkehre, urteilte Reimann. Stagnation und Inflation seien die Merkmale dieser neuen Ordnung. All dem könne lediglich »durch die Einführung eines international anerkannten goldwertigen Standards der Währungen« entgegengewirkt werden. Mitten in der Epoche des »Endes der Geschichte« und des allseits konstatierten Siegeszuges des Kapitalismus mag das die wenigen Leser des Buches überrascht haben.

Vermutlich kennt Horst Köhler Günter Reimanns Buch nicht. Dennoch hat sich der Ex-Bundespräsident nach seinem Rückzug aus der Politik ähnliche Gedanken gemacht. Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach seinem Rücktritt hielt der ehemalige Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) Ende Januar eine Rede über die »Reform des internationalen Währungssystems als Projekt kooperativer Weltwährungspolitik«. Der Titel könnte auch von Reimann sein. Das wichtigste Problem ist für Köhler das »Übermaß an billigem Geld in der Welt«. Ohne eine Lösung dieses Problems, so warnte er, werde es »keine Ruhe an der Krisenfront« geben, die weniger als 20 Jahre nach dem Erscheinen der »Ohnmacht der Mächtigen« nun allgemein mit dem Kapitalismus identifiziert wird.
In seiner Rede über die »Reform des internationalen Währungssystems« stellte Köhler eine Initiative vor, die er kürzlich zusammen mit 17 weiteren international renommierten Finanzpolitikern begründet hat: die Palais-Royal-Gruppe, benannt nach einem Pariser Nobelrestaurant, in dem sich die Initiatoren erstmals trafen.
Mit dabei sind unter anderen ein weiterer ehemaliger Direktor des IWF, Michel Camdessus, der als informeller Sprecher der Initiative fungiert, sowie der ehemalige US-Notenbankchef Paul Volcker und die chinesische Finanzexpertin Xiaolian Hu. In ihrem am 18. Januar erschienen Gründungsmanifest »Reform of the International Monetary System: A cooperative approach for the Twenty First Century« verdeutlichen sie, dass es ihnen weniger um eine Analyse der vergangenen Krise geht als um Vorschläge für ein weniger krisenanfälliges internationales Finanzsystem. Ausgehend von der Ansicht, »dass das Krisenmanagement der G20 in den letzten zwei Jahren die schon lange bestehenden strukturellen Schwächen des Internationalen Währungssystems nicht beseitigt hat«, hat die Palais-Royal-Gruppe Ansatzpunkte für eine Reform des internationalen Währungssystems erarbeitet.
Dabei kommt dem IWF eine Schlüsselrolle zu. Nach den Vorstellungen der Gruppe sollen die Finanzministerrunde der G20 und der Rat des IWF verschmolzen werden. Dieses Gremium soll »mit einem umfassenden Mandat« ausgestattet werden, den Kapitalverkehr zu überwachen sowie gegenüber den jeweiligen Wirtschafts- und Finanzpolitiken der 189 IWF-Mitgliedsstaaten eine Kontrollfunktion zu übernehmen. Dass die Rechte des IWF dabei sehr weit gefasst werden sollen, konnte man den Worten Camdessus’ in einem Interview mit der Zeit entnehmen. Gefragt, ob der IWF dann nicht zum »Kern einer Weltwirtschaftsregierung« werde, antwortete er: »Man könnte es so nennen. Ich spreche aber lieber von einem neuen Geist der kooperativen Koordination.« Dass die größeren Länder in der »Welt­wirt­schafts­regie­rung« auch noch mehr Verantwortung tragen sollen als die kleinen, erinnert stark an die Befürchtungen des Chefideologen der alten Sozialdemokratie, Karl Kautsky, der einen »Superimperialismus«, eine Kooperation aller großen imperialistischen Mächte, heraufziehen sah.

Kern der Überlegungen ist aber die Fixierung eines »internationalen Referenzpunktes« für die Wechselkurse der Währungen im Weltfinanzsystem. Vor kurzem hatte bereits der Präsident der Weltbank, Robert Zoellick, eine Rückkehr zum Goldstandard für die großen Währungen gefordert (Jungle World 46/2010). Dies wollen die Mitglieder der Palais-Royal-Gruppe aber ausdrücklich nicht. Vielmehr schlagen die Initiatoren die sogenannten Sonderziehungsrechte des IWF als Referenzpunkt weitgehend fixierter Wechselkurse vor. Die Sonderziehungsrechte stellen eine künstliche Verrechnungseinheit dar, die sich derzeit aus Dollar, Yen, Euro und britischem Pfund zusammensetzt und bisher lediglich intern zur Datenberechnung vom IWF genutzt wird. Künftig sollen sie nach dem Willen Camdessus’ und seiner Mitstreiter den Dollar in zweierlei Hinsicht ersetzen. Erstens sollen die Reserven der Notenbanken in dieser Währung gehalten und zweitens soll sie auch für die »Abrechnung von Rohstoffgeschäften« genutzt werden. Bisher ist der US-Dollar vor allem im Ölgeschäft die einzig gültige Währung.

Wie auch schon bei Zoellicks Vorstoß im Herbst verweisen die Ideen der Palais-Royal-Gruppe zumindest währungspolitisch zurück in das bis 1973 gültige Bretton-Woods-System, das den US-Dollar an Gold und die anderen westlichen Währungen mit festen Wechselkursen an den Dollar gebunden hatte. In dem Memorandum der Palais-Royal-Gruppe wird implizit der Bruch mit dem damaligen System als schwerer Fehler beurteilt: Die »Selbstheilungskräfte von Märkten und Volkswirtschaften« seien seit Mitte der siebziger Jahre überschätzt worden, heißt es dort. Im Gegensatz zu Zoellick, der beim G20-Gipfel im vergangenen Herbst kaum Unterstützung für sein Konzept erhielt, greift die Gruppe um Camdessus immerhin den Vorschlag einer Weltmacht auf. Bereits 2009 hatte der Präsident der chinesischen Zentralbank, Zhou Xiaochuan, die Sonderziehungsrechte zur globalen Reservewährung machen wollen. Und jüngst hatte Chinas Präsident Hu Jintao erklärt, dass die Dominanz des Dollars im Weltwährungssystem ein »Produkt der Vergangenheit« sei. So kann es auch nicht verwundern, dass Köhler in seiner Rede in Tübingen darauf hinwies, dass der chinesische Renminbi unbedingt in den Wäh­rungs­korb der Sonderziehungsrechte gehöre. Und auch aus Frankreich wird Unterstützung signalisiert. Präsident Nicolas Sarkozy fordert schon seit längerem eine Stärkung des IWF bei der Regulierung des internationalen Kapitalverkehrs.
Auf wenig Gegenliebe dürfte der Vorschlag der Gruppe aus dem Pariser Nobelrestaurant dagegen in den USA stoßen. Im Interview mit der Zeit verwies Camdessus darauf, dass sich zunehmend ein »multipolares System« herausbilden müsse, in dem die USA ihre Führungsrolle einbüßen könnten. Hier liegt auch der größte Unterschied des Vorstoßes zum Bretton-Woods-System. Während dieses die Dominanz der USA durch die Dollarbindung aller Währungen zementierte, würde der vorliegende Vorschlag die Geschichte der »einzigen Weltmacht« zumindest wirtschaftspolitisch beenden. Vor diesem Hintergrund wird auch deutlich, warum sich zumindest die USA einem »Superimperialismus« mit dem IWF an der Spitze noch längere Zeit verweigern dürften.
Aber auch wirtschaftspolitisch kann bezweifelt werden, dass eine Realisierung der Vorschläge die Krise in Permanenz beenden helfen könnte. In der von struktureller Überakkumulation geprägten Weltwirtschaft hat die expansive Geldpolitik in den vergangenen Jahrzehnten immerhin Absatzmärkte stimulieren können und so ein immer krisenhafteres System notdürftig am Laufen gehalten. Und folgt man Günter Reimann, der Köhlers und Camdessus’ Überlegungen vor immerhin fast zwei Jahrzehnten vorwegnahm, könnte auch durch eine Goldwährung oder einen anderen Referenzpunkt fester Wechselkurse sowie die Begrenzung der Geldmenge »die Überlebenskraft des Kapitalismus« lediglich zeitweise wiederhergestellt werden – »für eine Generation«, wie er prognostizierte.