Öl und Marionetten

Hier an der türkischen Schwarzmeerküste reagieren die Leute auf die Revolutionen in Tunesien und Ägypten überaus ängstlich. Der kommunistische Café-Besitzer, der nach dem Putsch 1980 zwei Jahre im Knast saß, sagt mit gesenkter Stimme, die USA steckten hinter den Aufständen; die hätten in der Region nämlich wenig Einfluss und wollten sich nun das Öl sichern. Der Barbier, der mich alle zwei Wochen wieder zum Menschen macht, will zuerst gar nichts sagen. Er erinnert sich aber wohl daran, dass wir uns schon bei den Studentenprotesten vor ein paar Wochen darauf geeinigt haben, die Studenten hätten zurecht protestiert. »Sie haben recht, so zu handeln« – mehr ist ihm jedoch zur Lage in Ägypten nicht zu entlocken. Der sozialdemokratische Besitzer einer Köfte- und Fischgrillbude weiß nicht so recht, was er von den Protesten halten soll, sieht aber eher islamistische Puppen an amerikanischen Fäden marschieren.
Die allabendlichen Talkshows im türkischen Fernsehen verhandeln die Revolutionen anhand der Muslimbruderschaft (was passiert, wenn) und der Führungslosigkeit (die dumme führerlose Masse). Letztere, so die Auskunft eines ganz Schlauen, sei auch der Grund, warum die Ereignisse in Ägypten keine Revolution seien. Unterstützung aus der Türkei ist Fehlanzeige: Nur die islamistische HAS (Partei der Volksstimme), eine Abspaltung von Erbakans Saadet-Partei, in der sich der derzeitige türkische Oberpopanz seine Sporen verdiente, veranstaltete Solidaritätsdemonstrationen, als die Muslimbruderschaft auf dem Tahrir-Platz in Kairo kurzzeitig an Bedeutung gewann (obwohl dieser vorübergehende Bedeutungszuwachs vielleicht nur ein von al-Jazeera produzierter Medieneffekt war). Kurz, die Türkei und Deutschland weisen verblüffende Ähnlichkeiten auf: Beide Länder sind laizistisch nur dem Buchstaben nach, beide Länder haben noch nie eine Revolution zu Wege gebracht, beide Länder sind noch in ihren linkesten Ausprägungen konservativ bis auf die Knochen.