Atomkraft war noch nie cool

Berlin Beatet Bestes. Folge 88. Inge Börner, Ingrid Süverkrüp, Günter Göpfert und Skiffle Group: »Strontium 90« (1962).

Atomkraft ist schlecht für die Gesundheit und macht krank, das weiß jedes Kind. Aber so wie Raucher auch nicht ständig an Lungenkrebs denken, hat die Mehrheit der Bevölkerung die Gefahren der Atomkraft bisher verdrängt. Dabei hat die Warnung vor der atomaren Bedrohung in Deutschland eine lange Tradition. Ein Beleg dafür ist diese dritte Veröffentlichung des Labels Pläne. Die Dortmunder Plattenfirma habe ich ja schon öfter vorgestellt, sie zählt zu den ältesten deutschen Independent-Labels. Gegründet wurde sie von Dieter Süverkrüp (der auf dieser, mit acht Songs wirklich ausgedehnten EP auch zu hören ist) und von Gerd Semmer, der als »Vater des deutschen Protestsongs« gilt. Semmer war Wegbereiter der deutschen Ostermärsche und schrieb auch den deutschen Text zu »Strontium 90«:
Strontium 90, Strontium 90/vergiftet Flur und Feld/Denn der Niederschlag fällt auf Mensch und Stadt/Bald strahlen wir wie ein Leuchtzifferblatt/Schluss mit Strontium 90, es vergiftet alle Welt/(…)/Dein Blut wird weiß, du bist in Gefahr/Dein Haar fällt aus, du wirst unfruchtbar/Deine Knochen verrotten, du weißt es nicht/Deine Zähne verfaulen dir im Gesicht.
Ein ungeheuerlicher Text, auch verglichen mit den damals üblichen seichten Schlagertexten. Deswegen ist diese Platte wohl auch in den Läden nie neben den Tonträgern gestanden. Es war noch eine echte Independent-Scheibe, die unabhängig vertrieben wurde. Das Original, geschrieben und aufgenommen von Fred Dallas, erschien 1960 auf der LP »Songs Against The Bomb«. Weitere Anti-Atomsongs im flotten Skifflerhythmus gibt es auf der Platte »Ostersongs 62/63«: »H-Bombendonner«, »Weltuntergangsblues« von Fasia Jansen und eine schöne deutsche Übersetzung von Boris Vians Antikriegslied »Der Deserteur«. Genauso wie die Vorlagen der Lieder stammt auch die Idee der Ostermärsche von britischen Atomkraftgegnern der fünfziger Jahre. Am ersten deutschen Ostermarsch beteiligten sich 1960 rund 1 200 Menschen. Dabei versuchten die Organisatoren bewusst, sich vor der Vereinnahmung durch linke Gruppen zu schützen und den Protest auf eine möglichst breite Basis zu stellen. Zur Hochzeit der Friedensbewegung Mitte der achtziger Jahre nahmen dann Hunderttausende an Ostermärschen teil.
Strontium 90 ist ein häufig auftretendes Spaltprodukt bei der Kernspaltung von Uran in Kernkraftwerken und bei Atombombenexplosionen. Größere Mengen Strontium 90 gelangten bei der Katastrophe von Tschernobyl in die Umwelt.
Wir erinnern uns ja wohl alle noch an 1986. Verstrahltes Obst, das ganze Jahr keine Pilze gegessen und viel Angst. Ich persönlich mag Atomkraftwerke überhaupt nicht. Es gibt doch auch noch andere Möglichkeiten, Strom zu erzeugen. Keiner mag Atomkraft und gefährlich ist sie auch. Stellt die Atomkraftwerke doch alle einfach ab! Und vor allem baut auch keine neuen mehr!