Zum 200. Geburtstag der Schriftstellerin Fanny Lewald

Schönen Dank, meine Herren!

Zum 200. Geburtstag der Schriftstellerin Fanny Lewald.

Wie eng gebunden ist des Weibes Glück!« pflegte ihr Vater den seinerzeit noch lebenden Johann Wolfgang von Goethe zu zitieren, »schon einem rauen Gatten zu gehorchen, ist Pflicht und Trost.« Dass er das tat, um weibliche Fügsamkeit ins scheinbar Unvermeidliche zu propagieren, vermutete Fanny Lewald schon als 16jährige. Sie hingegen haderte mit zweierlei: zum einen mit der gesellschaftlichen Stellung der Frau, die auch ihr geliebter Vater im Grunde traurig fand, zum anderen mit der Missachtung, der die jüdische Bevölkerung Preußens von Seiten der Christen ausgesetzt war.
Geboren am 24. März 1811 als älteste Tochter einer jüdischen Kaufmannsfamilie mit insgesamt zehn, aber zwei früh verstorbenen Kindern im ostpreußischen Königsberg, empfand sie sich als doppelt geschlagen. »Es war damals in Königsberg noch eine Ehrensache für einen Juden«, vermerkt sie bitter in ihren »Lebenserinnerungen« über ihren Großvater, »von Christen achtungsvoll behandelt zu werden.«
Des Judentums entledigte sich Fanny Lewald durch eine Taufe noch in jungen Jahren, die sie aber ohne innere Anteilnahme über sich ergehen ließ, wie die Konversion auch ein damals durchaus üblicher Schritt für junge Leute aus dem jüdischen Bürgertum war, die nicht zeitlebens mit Einschränkungen rechnen wollten. Dennoch: Ganz abstreifen ließ es sich nicht, wie das jüdische Bürgertum Ostpreußens dann auch hin- und hergerissen war zwischen patriotischer Pflicht und Sympathien für die gen Russland durchmarschierenden französischen Truppen. »In Frankreich und wohin die franzö­sische Herrschaft sich ausbreitete«, schreibt Fanny Lewald, »waren die Juden emanzipiert; in Preußen lasteten Unfreiheit und Verspottung auf ihnen. Es ist also natürlich, dass in jener Zeit sich in vielen Juden die Frage regte: ob Freiheit unter einem fremden Herrscher nicht der Knechtschaft unter einem heimischen Fürstenstamme vorzuziehen sei?«
Die Rolle, die ihr als Frau zugeschrieben war, machte ihr zeitlebens jedoch mehr zu schaffen und brachte sie gegen ihre Geschlechtsgenossinnen auf, da sie früh eine große Abneigung gegen »die sogenannte schwache Weiblichkeit« zu hegen begann. Vor allem aber litt sie unter der quälenden Langeweile, die den Bürgertöchtern damals vorbehalten war, denn ihnen blieb jede weiterführende Schulbildung und jede anregende Aktivität, die für die Söhne als selbstverständlich galt, versagt. Den ganzen Tag nur nähen, sticken, Strümpfe stopfen und zu wissen, dass sie sich ihren Lebensunterhalt niemals alleine verdienen sollte, trieb Fanny Lewald nahezu in den Wahnsinn.
1832 – noch dauerte die Reise mit der Postkutsche 72 Stunden – brachte der Vater die unzufriedene Tochter nach Berlin. Dort musste sie mit anhören, wie er davon sprach, »wie sehr lieb es ihm sein werde, für mich ›eine passende Partie‹ zu finden, und wie er mich zum Teil deshalb mit sich genommen habe. Ich hätte vor Scham und Zorn aufschreien mögen in diesem Augenblicke.«
Fanny weigerte sich, sich verheiraten zu lassen, auch weil sie insgeheim noch in ihren Cousin verliebt war. Mit Ende zwanzig galt sie damals bereits als »alte Jungfer«. Außerdem musste sie feststellen, dass ein Onkel Teile ihrer Briefe als die seinen ausgegeben und in Druck gegeben hatte.
Ihr Kenntnisstand zur Zeit der Niederschrift fließt in die Erinnerungen mit ein, daher scheint es bisweilen, als habe Fanny Lewald bereits während der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts gegen hausfrauliche Tätigkeiten agitiert, »allgemeine Kochanstalten« gewünscht und die seinerzeit üblichen arrangierten Ehen verflucht. Als habe sie bereits damals die mangelnde Bildung der Frauen und ihre völlige Unwissenheit in sexuellen Dingen auch unmittelbar vor der Eheschließung beklagt, als habe sie bereits damals ausgerufen: »Es ist, um gar keinem Zweifel über meine Forderung Raum zu lassen, es ist die Emanzipation der Frau, die ich für uns begehre; jene Emanzipation, die ich für mich selbst erstrebt und errungen habe, die Emanzipation zur Arbeit, zu ernster Arbeit.«
Tatsächlich jedoch sind diese, gut formulierten, Erkenntnisse Forderungen einer älter gewordenen Fanny Lewald, die es geschafft hatte, unabhängig zu leben. Eine beachtliche Leistung seinerzeit, wenn bürgerliche Frauen auch zögerlich begonnen hatten, in der Öffentlichkeit in Erscheinung zu treten: Rahel Varnhagen lud in ihren berühmten Salon, Bettina von Arnim oder George Sand arbeiteten als Schriftstellerinnen, Emma Herwegh oder Johanna Kinkel bereiteten die Revolution vor.
Aber noch war die Endzwanzigerin verzweifelt, fühlte sich nutzlos und alt – bis der Onkel nun ganz offiziell einen Text von ihr einforderte, sie ihn lieferte und anschließend acht Taler Honorar in die Hand gezählt bekam. Das war der Wendepunkt in ihrem Leben: Fanny Lewald begann zu schreiben. Mehr als 30 Romane sollten es insgesamt werden, zahlreiche Novellen und Erzählungen, Artikel, Reiseberichte und ihre Lebenserinnerungen, die allein sechs Bände umfassen.
Wer jedes Jahr ein Buch produziert, muss Abstriche an der Qualität machen. Das gilt auch für die Lewald, die ab 1853 auch in der Gartenlaube, dem berüchtigten Familienblatt mit Massenauflage, publizierte, die Fortsetzungs- und Trivialromane schrieb und dabei in erster Linie immer eines im Auge hatte: Geld! Denn zum einen war sie es, die nach dem Tod des Vaters im Jahr 1846 noch für fünf unverheiratete Schwestern aufkommen musste, zum anderen war Geld die unverzichtbare Voraussetzung ihrer Unabhängigkeit und Emanzipation. Die Lewald hatte das begriffen.
Dazu kam: »Mir klopfte das Herz vor Entzücken«, berichtet sie, »wenn ich niederschrieb, was ich über die Liebe, über die Ehe dachte.« Entsprechend widmet sich ihr Debütroman »Clementine« der Lage der Frauen im vorrevolu­tionären Preußen, im zweiten, »Jenny«, geht sie auf den Judenhass der Christen ein.
Doch nicht nur die Befriedigung, ihre Ansichten kundtun zu können, zog sie aus ihrer Arbeit. Fanny Lewald konnte bald von ihren Honoraren leben, zahlreiche Reisen unternehmen und merkte schnell, dass Erfolg auch eine erotische Wirkung erzielt, nachdem sie sich zu den beiden ersten, noch anonym erschienenen Romanen bekannt hatte: »Ich war jetzt nur älter als vor drei Jahren, aber die jungen Männer, welche mich bei den Bällen sonst als altes Fräulein ruhig hatten sitzen lassen, suchten mich nun auf, und ich hatte unter den angenehmsten Tänzern nur zu wählen, sofern ich tanzen wollte. Ich sah noch immer nicht gesund aus, man hatte mich im Oktober noch sehr verblüht gefunden, im Januar fand man mich interessant.«
Doch wenngleich sie bereits nach den ersten Veröffentlichungen finanziell auf eigenen Füßen stand, stand sie doch unter der Potestas ihres Vaters, den sie um die Erlaubnis angehen musste, sich in Berlin eine eigene Wohnung nehmen zu dürfen. Ein Beitrag, den sie für einen Kalender geschrieben hatte, wurde von der Zensur erst zurückgehalten, dann mit der Begründung freigegeben, dass er von einer Frau verfasst sei, und die lang ersehnte Italien-Reise, die sie 1845 endlich antrat, konnte sie auch nur deshalb unternehmen, weil sie einwilligte, sich um eine weibliche Reisebegleitung zu bemühen, die der Schicklichkeit diente.
Im März 1848, während der revolutionären Erhebungen in Berlin, befand sich Fanny Lewald in Paris. Nach Berlin zurückgekehrt, monierte sie den Untertanengeist der Deutschen, die Angst der Besitzenden vor möglichen Verlusten und den bürokratischen Kastengeist. »Sie trauen den eigenen Füßen nicht«, heißt es in ihren Erinnerungen, »sie haben Furcht, weil sie nicht mehr bevormundet werden; sie möchten eigentlich gern wissen, ob der König, ob die Glieder des vorigen Ministeriums auch zufrieden sind mit dem, was geschehen ist?«
Es ist nicht verwunderlich, dass Fanny Lewald nicht nur Freunde hatte. In Italien hatte sie sich mit dem verheirateten Adolf Stahr zusammengetan, was einem Skandal gleichkam. Immerhin hatte der Mann mit der ihm rechtmäßig angetrauten Gattin bereits sieben Kinder in die Welt gesetzt. Ihre männlichen Schriftstellerkollegen monierten die Flachheit ihrer Bücher, die zugestanden werden muss, aber sie wurden gehässig dabei. »Herz- und phantasielos«, so urteilte beispielsweise der Dramatiker Friedrich Hebbel über sie und fuhr fort, »dabei eine Wichtigtuerei sondergleichen. Wenn man das wäre, was sie zu sein glaubt!«
Und wem die junge und jüngere Fanny zu demokratisch, zu sozialistisch gesinnt, zu radikal war, der fand die Ältere zu angepasst und bürgerlich, und tatsächlich bestand die Lewald nicht nur darauf, das, was sie sich erarbeitet hatte, auch zu genießen, sie wurde mit den Jahren tatsächlich ruhiger, führte mit Stahr, den sie 1855 endlich heiraten konnte, einen eigenen Salon in Berlin und orientierte sich letztlich gar an der Politik Bismarcks. Damit stand sie aber nicht alleine, sondern repräsentiert geradezu den bürgerlichen Schriftstellertypus des Vormärz, dem angesichts seiner eigenen sozialen und demokratischen Forderungen dann doch die Angst vor dem sogenannten vierten Stand in den Nacken kroch.
Merkwürdig bei der Lewald ist aber auch der Widerspruch zwischen den Heldinnen ihrer Bücher, die letztlich alle doch den sicheren Hafen der Ehe anstreben, und dem Leben ihrer Schöpferin.
Ihre Anpassung an die restaurativen Verhältnisse des Nachmärz warf ihr auch die DDR-Rezeption vor, obwohl Fanny Lewald – die Erinnerungen belegen dies – sich da im Alter radika­lisierte, wo es um die Belange der Juden und Frauen ging: Trotz ihrer eigenen Konversion ärgerte sie sich zunehmend über Juden, die ihr Judentum nicht erinnert haben wollten, und was die Lage der preußischen Frauen anging, verglich sie sie mit der der Sklaven in Amerika. Die Frage der weiblichen Emanzipation verknüpfte sie mit der Forderung nach gleicher Bezahlung. Eine Forderung, die im Übrigen noch immer nicht erfüllt ist.
Fanny Lewald starb im Jahr 1889 in Dresden. »Aber dass die Frau auf der Welt ist, um zu dulden«, hatte sie elf Jahre zuvor, am 11. Dezember 1878 notiert, »das ist ein Ausspruch, den die Männer mit tiefer Überzeugung von dieser Notwendigkeit in ihre Glaubensartikel aufgenommen haben. Ich glaube, es gibt kaum einen Schriftsteller oder Dichter, der dieses Naturgesetz nicht irgendwo und irgendwie verkündet hätte – nicht einen, der auf die einfache Frage: Aber weshalb denn? Die einzig ehrliche Antwort zu geben wagen würde: Weil wir Männer es in der Mehrzahl bequem finden, das sogenannte schwächere Geschlecht zu unterjochen und, wie die Italiener ihre Heiligen, je nach Neigung und Bedürfnis, anzubeten oder mit Füßen zu treten, wie es eben der Herr beliebt. – Aber der Wurm, den man tritt – sticht und wehrt sich, wenn er kann, und man findet es in der Ordnung, denn die Natur hat ihm dazu den Stachel verliehen – und die Frau? – ihr ist von der Natur die Kraft des stillen Duldens verliehen! – Schönen Dank, meine Herren!«