Die »Helden von Fukushima« und die deutschen Medien

Sterbehilfe an sich selbst

Die »Helden von Fukushima« machen vor, wie sich die Differenz zwischen Staatsbürger und Mensch aufheben lässt.

Ein Ambulanzarzt erzählte kürzlich eine merkwürdige Anekdote: In der Brieftasche eines Schwerverletzten fand sich ein Umschlag mit dem Vermerk »Patienten-Verfügung«, darin ein Blatt mit dem Satz »Wenn ich unheilbar krank bin, verletzt und dauerhaft besinnungslos, will ich nicht von Maschinen versorgt, sondern eingeschläfert werden.« Der Arzt berichtete dann von der offenkundigen Erleichterung des Genesenden, als er diesen mit dem seltsamen Kassiber konfrontierte. Das Aufatmen des Mannes markierte gleichsam die Differenz zwischen der (staatsbürgerlichen) Rolle und ihrem menschlichen Träger: Der Steuerzahler wollte seinesgleichen im Falle dauernder Maladität nicht zur Last fallen – aber am Leben zu bleiben, war auch nicht schlecht.
Als vorbildlichen Umgang mit jener Differenz präsentieren deutsche Medien derzeit die angelblich angepasste, selbstlose Haltung der Bevölkerung Japans angesichts der Katastrophe von Fukushima, das deshalb mit dem Titel »Land der Disziplin« (Tagesspiegel) versehen wurde. Niemand sollte diesen Titel rein deskriptiv verstehen, dafür hatten bereits am Tag nach Erdbeben und Tsunami mediale Sinnstifter gesorgt, als etwa die Süddeutsche Zeitung »die positive Lehre aus der Katastrophe« formulierte: Es lasse sich »nachdenken über die Hysterie und das Selbstmitleid des eigenen Volkes, der Deutschen, wenn mal ein paar Lokführer streiken oder eine Weiche im Schnee festfriert«. Verständnis für Streikende sollte damit nicht geweckt, vielmehr der Blick auf Größeres gelenkt werden. »Bewundernswert, sogar beneidenswert wirkt die Gelassenheit der Japaner«, hieß es dort, eine »Katastrophe wie das Seebeben« möge »eine Industrienation vielleicht kurzfristig zum Stillstand bringen. In die Knie gezwungen hat es die drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt nicht.«
Das sollte sich nach der tags darauf beginnenden Kernschmelze mit dem Aufstieg des Yen an den internationalen Börsen bestätigen. Dort vertraut man offenbar auf die nahezu völlige Abwesenheit einer Differenz zwischen sozialen Rolle und ihren menschlichen Trägern, wie sie die »Helden von Fukushima« (Taz) unter Beweis stellten. Diese 200 AKW-Mitarbeiter arbeiten schichtweise mit jeweils 50 Personen an der Kühlung der Brennstäbe und der Stabilisierung der Anlage unter einer Strahlenbelastung, die zumindest langfristig für die meisten den Tod bedeutet. Haben sie Erfolg, retten sie damit Tausenden das Leben. Sie tun dies so klaglos, wie die Welt ihren erwartbaren Tod akzeptiert. Anstatt ihres Schicksals mit rigider Kritik kapitalistischer Verwertungslogik zu gedenken, werden sie nicht nur in Japan nekrophiler Verehrung ausgesetzt: »Übermenschlich ist es, den eigenen Selbsterhaltungstrieb zu überwinden. Und deshalb sind diese Arbeiter Helden.« (Taz)
Die Katastrophe kennt manche Überraschung: Wenn sonst nichts mehr geht, können überraschenderweise selbst Polizeiwasserwerfer friedlichen Zwecken dienstbar gemacht werden – als Löschfahrzeuge. Menschen können in der von Staat und Gesellschaft mutwillig in Kauf genommen Katastrophe von Nobodies zu nationalen Helden werden. Sie sind dann im Status ihres Todes tatsächlich identisch: Mensch und tugendhafter Staatsbürger. Wenn sonst nichts mehr geht, haben die Überflüssigen einen makabren Ausweg: aktive Sterbehilfe – diesmal an sich selbst.