Über die Probleme der Hamburger Polizei

Die Angst der Polizei vor dem Gericht

Videoüberwachung und strenge Auflagen für Demonstrationen gehörten jahrelang zur Strategie der Hamburger Polizei. Nun könnten Gerichtsurteile dieser Praxis ein Ende bereiten.

Die Hamburger Polizei hat sich in den neun Jahren, in der sie unter der Verantwortung der von der CDU geführten Innenbehörde stand, offenbar zu einem rechtsfreien Raum entwickelt. Gleich mehrere gerichtliche Entscheidungen, die in den vergangenen Wochen getroffen wurden, bescheinigen der Hamburger Polizeiführung die Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze. So stellte das Verwaltungsgericht fest, dass die bei einer Demonstration im Jahr 2008 verhängte Auflage zur Begrenzung der Länge von Seitentransparenten rechtswidrig war, denn die der Auflage zugrundeliegende Gefahrenprognose sei völlig unzulänglich gewesen. Zudem wurde das von der Polizei standardmäßig praktizierte Seitenspalier bemängelt. Dem ging ein Beschluss in einem Eilverfahren des Hamburger Oberverwaltungsgerichts (OVG) im Zusammenhang mit einer Kundgebung gegen eine NPD-Versammlung voraus. Auch hier kritisierte das Gericht, dass die polizeiliche Gefahrenprognose unzulänglich war und die Gegendemonstranten zu Unrecht per Auflage aus der Innenstadt verbannt werden sollten.
Auch bei der Videoüberwachung der Reeperbahn droht der Polizei eine höchstrichterliche Niederlage. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ließ die Revision gegen ein Urteil des OVG zu, das nur teilweise die Rechte der Anwohner verletzt sah. Beobachter gehen davon aus, dass das BVerfG Bedarf für eine klarere Einschränkung der staatlichen Überwachungsbefugnisse sieht. Schon in der vergangenen Woche erklärte das BVerfG die Ingewahrsamnahme von Demonstranten, die im Jahr 2003 gegen die Räumung des Bauwagenplatzes »Bambule« protestiert hatten, für rechtswidrig. Drei Aktivisten hatten geklagt, weil sie, nachdem sie ihre Personalien angegeben hatten, noch stundenlang für eine erkennungsdienstliche Behandlung festgehalten wurden.

Diese Entscheidungen dürften dem neuen Innensenator Michael Neumann (SPD) den Amtsantritt nicht leichter gemacht haben. Denn sie betreffen zentrale Konzepte des polizeilichen Handelns, die als erfolgreiche Strategien zur Kriminalitätsbekämpfung nicht nur unhinterfragt von der bis Februar regierenden CDU vertreten, sondern auch von der oppositionellen SPD mitgetragen wurden. Insbesondere die versammlungsrechtliche Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist brisant. Sie könnte der Auftakt für weitere Gerichtsurteile sein, die im Zusammenhang mit den polizeilichen Auflagen für Demonstrationen erwartet werden.
Seit 2002 verfolgt die Polizei bei Demonstrationen ein Konzept, das als »Hamburger Linie« mittlerweile bundesweit Modellcharakter hat. Ein Katalog von Auflagen, wie etwa der standardmäßigen, einschließenden Begleitung der Polizei, soll disziplinierend bei Demonstrationen wirken. Der Rechtsanwalt Marc Meyer, der Anmelder von Demonstrationen vertritt, geht davon aus, dass die Polizei mit weiteren juristischen Niederlagen rechnen muss: »Die grundrechtsfeindliche Auflagenpraxis der Hamburger Polizei halte ich für evident. Die aktuellen Entscheidungen der Gerichte sind ein deutliches Signal, dass die Polizei in Hamburg wieder zu einer verfassungsgemäßen Auslegung von Grundrechten zurückkehren muss.«

Auch die Zulassung der Revision vor dem Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die Kamera­überwachung der Reeperbahn kann als Rückschlag für die Polizeiführung gewertet werden. Die Videoüberwachung als Allheilmittel zur Bekämpfung von Kriminalität wird ohnehin schon länger von Politikern und Datenschützern kritisiert. Denn trotz des Einsatzes von Kameras ist beispielsweise die Zahl der Körperverletzungsdelikte im Bereich der Reeperbahn in der Vergangenheit um bis zu 75 Prozent gestiegen. Wenn eine höchstrichterliche Grundsatzentscheidung gegen die Hamburger Praxis ergeht, könnte es zum Ausstieg aus der flächendeckenden Überwachung des öffentlichen Raums kommen. Ein solches Ergebnis könnte auch zu einem grundlegenden Konflikt zwischen dem SPD-Innensenator und dem Polizeiapparat führen. Das würde zumindest einer Hamburger Tradition entsprechen, schon in den achtziger und neunziger Jahren waren die damals zuständigen SPD-Senatoren immer wieder von Vertretern der Polizei vorgeführt worden. Dass die CDU und die Schill-Partei 2001 an die Regierung kamen, kann man auch auf eine konzertierte Kampagne der Springer-Presse und der Polizeiführung zurückführen. Damals galt in Polizeikreisen die Redewendung: »SPD-Senatoren kommen und gehen, die Polizei bleibt bestehen.« Wegen der Personalpolitik des Rechtspopulisten und einstigen Innensenators Ronald Schill, die von seinen Nachfolgern aus der CDU fortgesetzt wurde, gilt die Führung der Hamburger Polizei als Vertreterin autoritärer und repressiver Sicherheitsstrategien. Das hat mit trotziger Beharrlichkeit der Polizeieinsatzleiter, Peter Born, erst kürzlich bestätigt.

In einer von ihm konzipierten Einsatzrichtlinie sollen Demonstrationen künftig durch Farbkategorien hinsichtlich ihres Gefahrenpotentials etikettiert werden. »Grün« steht für friedliche Versammlungen, »Gelb« für solche, die anlassbezogen Gewalt anwenden. In die Kategorie »Rot« fallen Demonstrationen, bei denen Inhalte keine Rolle spielten und »mit jederzeitigen unkalkulierbaren Gewaltaktionen« zu rechnen sei. Da in Borns Einsatzrichtlinie keine Mischbezeichnungen vorgesehen sind, steht diese Kategorisierung im Widerspruch zum Gebot einer differenzierten und deeskalierenden polizeilichen Lagebeurteilung. Christiane Schneider, innenpolitische Sprecherin der Bürgerschaftsfraktion der Linkspartei, hält das Farbenspiel der bei Demonstrationen für unrechtmäßig. Sie forderte Innensenator Neumann auf, »diese rechtswidrige Polizeipraxis, die mit Feindbildern operiert, unverzüglich einzustellen.« Ob Neumann, schon kurz nach seinem Amtsantritt als Innensenator, ausgerechnet gegenüber der Polizei seine Durchsetzungsfähigkeit testen möchte, ist eine andere Frage.