Über die Lage in der Côte d’Ivoire

Untergang im Unterhemd

Der Machtkampf in der Côte d’Ivoire wurde mit der Festnahme von Laurent Gbagbo beendet. Der neue Präsident, Alassane Ouattara, ruft nun die verfeindeten Lager zur Aussöhnung auf, doch auch seinen Truppen wird vorgeworfen, Massaker gegen Zivilisten verübt zu haben.

Der 65jährige im weißen Unterhemd blickt etwas verwirrt in die Kameras. Dann wischt er sich mit einem Handtuch den Schweiß von der Stirn. Um ihn herum stehen Soldaten in Uniform. Nach einer Minute zieht einer der Militärs ihm ein buntes Hemd an. Der kräftige Mann sagt nun erst einmal gar nichts mehr. Hinter ihm sieht man seine Ehefrau, die für ihre flammenden religiösen Predigten bekannte Anhängerin der evangelikalen Christen, Simone Gbagbo.
So sah es aus, als am Montag der seit dem Jahr 2000 amtierende Präsident der Côte d’Ivoire festgenommen wurde. Laurent Gbagbo wurde in einem Wohnraum seiner seit zehn Tagen belagerten Residenz aufgegriffen und in die Luxusanlage Hôtel du Golf in Abidjan, das Hauptquartier seines politischen Rivalen und Nachfolgers, Alassane Ouattara, transportiert.
Nach Angaben des Korrespondenten der Pariser Abendzeitung Le Monde, Jean-Philippe Rémy, wurden Laurent Gbagbo und seine Gattin »misshandelt, aber nicht gelyncht, wie man in dieser aufgeladenen Stimmung hätte erwarten können«. Die Bilder von Laurent Gbagbo im Unterhemd werden unterdessen von vielen Menschen im Land und im übrigen Afrika, auch solchen, die nicht zu seinen Sympathisanten zählten, als Zeugnis der Demütigung durch eine ausländische Macht aufgefasst. Grund dafür ist vor allem die mutmaßlich führende Rolle von Soldaten der früheren Kolonialmacht Frankreich bei der Festnahme.
»Gutes tun und nicht darüber reden«, war offenbar das Motto der französischen Armee in den vergangenen Tagen im Einsatzgebiet Abidjan. Indessen ist nicht nur der Charakter ihres Einsatzes umstritten. Unklar ist auch, ob und in welchem Ausmaß französische Soldaten an der letzten Operation gegen Gbagbo beteiligt waren.
In ersten Meldungen der französischen Presseagentur AFP und anderer Nachrichtenagenturen wurde am Montag angekündigt, französische Soldaten hätten den ehemaligen Staatschef in seiner Residenz in Cocody festgenommen. Die Agentur Reuters zitierte dazu Alain Toussaint, den Repräsentanten Gbagbos in Europa, mit den Worten: »Präsident Gbagbo wurde durch die französischen Spezialkräfte festgenommen und den Anführern der Rebellen übergeben.« Rund eine Stunde später folgte das Dementi. Der französische Generalstab in Paris erklärte, zu keinem Zeitpunkt seien französische Soldaten in den Garten oder in die Residenz eingedrungen. Frankreichs Botschafter in Abidjan, Jean-Marc Simon, behauptete, Laurent Gbabgo sei von den Repu­blikanischen Streitkräften der Côte d’Ivoire (FRCI) festgenommen und ins Hôtel du Golf gebracht worden. Kurz vor Mitternacht stellte aber die konservative französische Tageszeitung Le Figaro einen Artikel mit der deutlichen Überschrift ins Netz: »Die Auflösung in der Côte d’Ivoire war durch die französische Unterstützung möglich.« Demnach seien 200 französische Soldaten am Sturm auf Gbagbos Residenz beteiligt gewesen.
Rund 24 Stunden zuvor hatten französische Einheiten Munitionsdepots im Umfeld der Residenz Gbagbos bombardiert und diese von Hubschraubern aus beschossen. Dem war am Sonntag ein Beschuss der Residenz des französischen Botschafters in Abidjan vorausgegangen, die in unmittelbarer Nachbarschaft zum Wohnsitz des Präsidenten liegt. Jean-Philippe Rémy deutet allerdings an, dass es sich auch um eine Granate der Truppen Ouattaras gehandelt haben könnte, die beim Beschuss der Residenz auf jene des französischen Botschafters gefallen sei.

Beide Gebäude liegen in unmittelbarer Nachbarschaft und waren bis 2005 sogar durch einen Tunnel verbunden. Letzterer stammte aus der Ära Félix Houphouët-Boignys, des Gründers und ersten Präsidenten der Côte d’Ivoire nach der Unabhängigkeit. Er war ein enger Partner Frankreichs, nahm auf dessen strategische Interessen Rücksicht und gilt als Erfinder des Ausdrucks Françafrique. Der Begriff sollte bei ihm die »Intimfreundschaft« zwischen beiden Ländern ausdrücken, wird aber heute in Frankreich nur noch von Kritikern der »neokolonialen Sonderbeziehungen« zu afrikanischen Staaten benutzt. Laurent Gbagbo ließ diesen Tunnel im Jahr 2005 zumauern, ein deutliches Zeichen für sein angespanntes Verhältnis zur früheren Kolonialmacht.

Zu diesem Zeitpunkt war Gbagbo nicht mehr der Marxist und Gewerkschafter, als der in den acht­ziger Jahren aufgetreten war – damals hatten ihn seine Aktivitäten unter Houphoët-Boigny erst ins Gefängnis und dann ins französische Exil geführt, wo er Mitglied der Sozialistischen Partei wurde. Gbagbo setzte während seiner Präsidentschaft immer mehr auf eine Mischung aus Machtpolitik und Nationalismus, er nutzte den religiösen Eifer seiner Frau und ihrer Anhänger. Dennoch gehörte die Abgrenzung gegen Frankreich und dessen Dominanz, die auf wirtschaftlicher Ebene durchaus vorhanden ist, zu den Grundlagen seines politischen Erfolgs.
Auch unter Gbagbos Präsidentschaft blieb der wirtschaftliche Einfluss Frankreichs im Land sehr stark, so konnte der Milliardär und Transportunternehmer Vincent Bolloré, der bis dahin Eigentümer der Eisenbahnlinien des Landes war, auch den Hafen von Abidjan erwerben. Allerdings förderte Gbagbo die Konkurrenz, etwa chinesischer Unternehmen, mit den Franzosen stärker als sein Vorgänger. Nicolas Sarkozy glaubt nun, die fran­zösischen Interessen seien unter dem neuen Präsidenten besser geschützt. Als Premierminister von 1990 bis 1993 hatte Ouattara zahlreiche Privatisierungen zugunsten französischer Unternehmen durchführen lassen, davor und danach war er als Leiter der Afrika-Abteilung sowie als Vizedirektor beim Internationalen Währungsfonds (IWF) tätig. Aus diesen Gründen zog Frankreich Ouattara seinem Vorgänger vor – und vermutlich weniger wegen des umstrittenen Ausgangs der Wahl vom 30. November, die mutmaßlich durch beide Seiten manipuliert wurde. Es wäre auch tatsächlich das erste Mal, dass die französische Regierung sich an einer manipulierten Wahl in ihrer Einflusszone in Afrika stören würde.

Die Rechtsgrundlage für Frankreichs Eingreifen im Machtkampf in der Côte d’Ivoire lieferte die UN-Resolution vom 30. März. Diese sieht vor, dass Maßnahmen gegen den Einsatz von Artilleriewaffen in Wohngebieten zum Schutz von Zivilisten ergriffen werden sollten. Tatsächlich hatte Gbagbos Armee in Abobo, einem Stadtteil im Norden von Abidjan, Verbrechen gegen Zivilisten verübt. Wegen Massakern an Zivilisten aufgrund ethnischer Zugehörigkeit werden derzeit allerdings eher die Truppen Alassane Ouattaras kritisiert. Bei der Einnahme der Stadt Duékoué im Westen des Landes am 28. März massakrierten diese vermutlich etwa 800 Personen, darunter bewaffnete Anhänger Gbagbos, aber auch Kinder, Frauen und Greise, die der »falschen« ethnischen Gruppe angehörten, nämlich der Gruppe der Guéré, die mehrheitlich Laurent Gbagbo unterstützten. Am Freitagabend veröffentlichte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch einen Bericht über die Gräuel im ivorischen Bürgerkrieg. Ihre Vorwürfe richten sich überwiegend gegen die Truppen Ouattaras, die an Hunderten Menschen Massaker und Vergewaltigungen verübt haben sollen. Die UN forderten am Montag den künftigen Präsidenten auf, nach seinem Sieg ein »Blutbad« zu vermeiden.