Ein Banker mit Visionen

Es gibt eine kleine Gruppe mächtiger Männer, von denen man wenig hört. Wer eine Notenbank leitet, ist zur Zurückhaltung verpflichtet, denn jede unbedachte und sogar jede bedachte Äußerung kann einen Kurssturz an den Börsen auslösen. Deshalb wurde das kaum verständliche Nuscheln Alan Greenspans, der bis 2006 Vorsitzender der US-Notenbank Federal Reserve Board (Fed) war, als »konstruktive Vieldeutigkeit« gelobt. Als Greenspan 2007 die Worte »Rezession« und »USA« in einem Satz gebrauchte, sank der Dow-Jones-Index um 200 Punkte, obwohl der Rentier eine Rezession für »unwahrscheinlich« erklärt hatte. Dass sein Nachfolger Ben Bernanke im April die erste Pressekonferenz in der Geschichte der Fed abhielt, galt als Sensation, obwohl sogar das selbst nicht für seinen Esprit berühmte Handelsblatt von einer »staubtrockenen Veranstaltung« sprach.
Es erscheint daher verwunderlich, dass Jean-Claude Trichet, der Präsident der Europäischen Zentralbank, in der vergangenen Woche öffentlich die Gründung eines europäischen Finanzministeriums vorschlug, das »Durchgriff auf die Wirtschaftspolitik« hoch verschuldeter Staaten haben soll. Dies »könnte beispielsweise wichtige Haushaltsentscheidungen betreffen oder grundlegende Entscheidungen, die für die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes ausschlaggebend sind«. Deutlicher lässt sich kaum sagen, dass Trichet nicht an den Erfolg der »Rettungspakete« glaubt. Eine Reaktion an den Börsen blieb bislang aus, vermutlich weil die Investoren längst wissen, was Trichet indirekt eingestanden hat. Deutlich wird aber auch, dass Trichet nicht glaubt, die Sparmaßnahmen auf dem üblichen Weg, mit einem Beschluss der jeweiligen Parlamente, durchsetzen zu können. Da er auf die Sparmaßnahmen nicht verzichten will, soll auf parlamentarische Entscheidungen verzichtet werden. Reaktionen empörter Demokraten blieben weitgehend aus. Die Süddeutsche Zeitung lobt Trichets »europäische Vision«, die Financial Times Deutschland urteilt: »Damit der Euro Bestand hat, müssen die Mitgliedsstaaten ein Maß an Souveränität abgeben, das manchmal schmerzen wird.« Allerdings hat man im Vertrag von Lissabon gerade etwas anderes vereinbart. Der Vorschlag Trichets sei daher ein »längerfristiges Projekt«, sagte Steffen Seibert, der Sprecher der Bundesregierung. Die Probleme müssten im »bestehenden rechtlichen Rahmen« gelöst werden, schließlich lassen sich die Parlamente nicht von heute auf morgen entmachten. Der erste Schritt zur Verwirklichung des längerfristigen Projekts, die Wirtschaftspolitik dem Einfluss des uneinsichtigen Pöbels zu entziehen, scheint die Entmachtung der Gewerkschaften zu sein. Vince Cable, britischer Minister für Gewerbe, Innovation und Qualifikation, drohte: »Wenn Streiks die ökonomischen und sozialen Strukturen ernsthaft schädigen sollten, würden wir unter stärkerem Druck stehen, zu handeln.«