Im russischen Sotschi ensteht ein olympischer Luxusferienort

Als sei schon Stalin dort gewesen

Während für Umweltschutz kein Geld da ist und die Arbeiter auf den Baustellen ausgebeutet werden, wird für einen olympischen Luxusferienort in Sotschi teure Reklame gemacht.

Wer sich weder für Sport noch für Geldwäsche in der Baubranche oder die Zerstörung ungenutzter Naturflächen interessiert, den lassen die bevorstehenden Olympischen Winterspiele in Sotschi kalt.
Das trifft insbesondere auf junge Moskauer Schöngeister zu, deren Blick für den ästhetischen Gehalt einer Sache sich häufig genug den banalen und wenig beschaulichen Realitäten im Land verschließt. Und Sotschi steht nun einmal nicht für anspruchsvollen visuellen Genuss. Zur Befriedigung des Massenbedürfnisses nach Kitsch wurden drei niedliche Figuren, nämlich Schneeleopard, Eisbär und Hase, zu Olympia-Maskottchen gekürt. Der Geldadel wiederum soll mit exklusiven Immobilienangeboten in bester Lage geködert werden. Die unübersehbare Werbekampagne hierfür hat unlängst kunstbeflissene Ästheten auf den Plan gerufen.
Im etwa 40 Kilometer vom Flughafen Sotschi entfernt gelegenen Skiparadies Krasnaja Poljana entsteht neben Sprungschanzen und Mediendörfern für diejenigen, die die Winterspiele journalistisch begleiten, auch ein neuer Luxusferienort, der nach seiner Fertigstellung als heimische Alternative zu den bei der russischen Elite beliebten mondänen französischen und Schweizer Alpenskidörfern etabliert werden soll. Der Name des Olympiaprojekts Gorki-Gorod spielt auf die fast gleichnamige Moskauer Residenz des russischen Premierministers Wladimir Putin an, finanziert wird es aus Mitteln der Sberbank, der staatlichen Vneshekonombank, der Stadt Sotschi und des Krasnodarer Gebiets. Die Bauarbeiten sind in vollem Gang und sollen bis 2013 beendet werden. Zeit also, nach potentiellen Käufern zu suchen.
In der Moskauer Innenstadt sorgen riesige Werbeplakate für Gorki-Gorod für Aufmerksamkeit und Irritationen. Vor ganz in Weiß gehaltenen neoklassizistischen Bauten sieht man darauf etwa zwei ebenfalls in Weiß gekleidete junge, blonde Sportler mit roten Sportgeräten: links eine Eiskunstläuferin und rechts daneben einen Snowboarder. Hinter ihnen befinden sich zwei entsprechende Statuen, offenbar in weißen Marmor gehauen, in der Ferne sieht man schneebedeckte Berge. Der Malstil des Bildes erinnert an stalinistische Darstellungsformen und verherrlicht die totale Perfektion von Körper und Architektur. Emotional wird der Betrachter nicht berührt, die starr in die Ferne gerichteten Blicke des Paares strahlen eisige Kälte aus.
Nachdem das Kulturportal openspace.ru mit einem kritischen Artikel auf die Gorki-Werbung hingewiesen hatte, zogen andere Medien nach. Eine breite Diskussion entwickelte sich allerdings erst, als der britische Guardian einen Vergleich zu Leni Riefenstahls faschistischer Kinoästhetik zog. Dabei zitierte die Zeitung die bekannte russische Kunsthistorikerin und -kritikerin Jekaterina Degot mit der Einschätzung, dass sich die Werber der verantwortlichen Designagentur Doping-Pong zweifellos von nationalsozialistischer Kunst hätten inspirieren lassen.
Um diese These zu bestätigen, bedarf es nur eines Blickes auf die Webseite der Petersburger Künstler, denn als solche wollen sich die Mitarbeiter von Doping-Pong verstanden wissen. Da wird mit Hakenkreuzsymbolik gespielt, und man stößt auf einen durch Fotos illustrierten Ringkampf zweier junger nackter Frauen, »Fa« versus »Antifa«, bei dem »Antifa« unterliegt, während sich »Fa« zum Zeichen des Sieges in eine NS-Fahne hüllt. Schöpferin der wohl erotisch gemeinten Bildstrecke ist Katja Zaschtopik, die vor einigen Jahren von der Petersburger »Nationalsozialistischen Gesellschaft« für ihre Verdienste um die Verbreitung von NS-Propaganda gewürdigt worden war.
Einer der für die Gorki-Reklame verantwortlichen Mitarbeiter von Doping-Pong, Dima Mischenin, versuchte sich von den Faschismusvorwürfen zu distanzieren, wirkte dabei aber wenig überzeugend: Er spiele in seinen Arbeiten zwar mit Hakenkreuzen, aber für eine Siegermacht über den Faschismus stellten diese lediglich einen Teil der Kriegsbeute dar, ähnlich wie Autofabriken oder Forschungsergebnisse von Naziwissenschaftlern. Als Beginn der olympischen Ästhetik betrachtet er Leni Riefenstahls Inszenierung der Spiele in Berlin 1936. Allerdings will er keinen Bezug zur Vergangenheit herstellen, sondern appelliert lieber an futuristische und utopische Ziele. Dass, wie er meint, sein Kunstschaffen einer Fehldeutung unterliege, begründet er mit dem geringen Bildungsstand seiner Kritiker. Beeinflusst hätten ihn schließlich viele unterschiedlichen Künstler und Vorbilder, darunter auch die Gestaltung der olympischen Spiele im japanischen Sapporo 1972.
Im Übrigen nehmen die Autoren des Projekts in Krasnaja Poljana (Rote Lichtung), ähnlich wie Dima Mischenin, Bezug auf den Petersburger Neoklassizismus der neunziger Jahre, dessen Vertreter sich zur Darstellung von imperialer Macht und Größe hingezogen fühlten. Das Architekturensemble sei dann als gelungen zu betrachten, wenn die in zehn bis 15 Jahren »alteingesessenen« Bewohner sagen werden, diese Stadt hätte es schon immer gegeben, selbst Stalin sei hier gewesen. Openspace.ru erkennt in Gorki-Gorod eine Synthese totalitärer Baurichtungen, weg von der einheimischen stalinistischen Bauweise, hin zu deutscher und italienischer faschistischer Architektur. Die nämlich lasse sich besser an russische Neureiche verkaufen, oder genauer gesagt, an die Nachkommen des superreichen Establishments.
Die Debatte um die Werbestrategie für Gorki-Gorod hielt allerdings nur kurz an, weitere Plakate sollen dem ersten folgen. Ansonsten geht in Sotschi alles seinen geregelten Gang. Nach Angaben des für die Vorbereitung und die Durchführung der Winterspiele verantwortlichen Präsidenten des Organisationskomitees »Sotschi 2014«, Dmitrij Tschernyschenko, sind bislang 40 Prozent der olympischen Infrastruktur fertiggestellt, zum Jahresende sollen es 70 Prozent sein.
Ab und an tauchen Informationen auf über ausbeuterische Beschäftigungsverhältnisse eines Teils der Bauarbeiter auf den olympischen Baustellen. Wer über einen geregelten Arbeitsvertrag mit garantiertem Lohn und Sozialabgaben verfügt, darf sich glücklich schätzen. Die Regel scheint dies jedenfalls nicht zu sein, doch wie groß der Anteil der irregulär Beschäftigten tatsächlich ist, lässt sich nur erahnen. Ist eine Kommission zur Überprüfung der Baufortschritte im Anmarsch, bleiben nur die vorschriftsmäßig mit allen nötigen Papieren und Schutzkleidung ausgestatteten Arbeiter zurück.
Wie im gesamten Baugeschäft läuft die Realisierung etlicher Arbeitsschritte in Sotschi über Subunternehmen und Eintagsfirmen. Die halten sich mit schriftlichen Vereinbarungen erst gar nicht lange auf und prellen ihre Untergebenen oft nicht nur um den Lohn, sondern greifen auch schon mal zu physischen Abschreckungsmethoden, um die Arbeitsdisziplin zu erhöhen oder Abtrünnige von einer Anzeige abzuhalten. Business as usual, doch der Unterschied zu anderen Bauprojekten liegt in der Größenordnung und dem enormen Zeitdruck. Ungereimtheiten bei der Abwicklung aufzudecken, würde den Bau­ablauf nur unnötig stören oder in die Länge ziehen.
Das trifft insbesondere auch auf Umweltfragen zu. Von den versprochenen »grünen Standards« ist in Sotschi nichts zu sehen. Für etliche olympische Objekte wie das in Bau befindliche Zentralstadion oder den Güterhafen fehlen selbst die vom Gesetzgeber vorgesehenen Umweltgutachten. Kaum ist von Ökologie die Rede, sind die Kassen leer. Im Frühjahr hatte die russische Regierung für Umweltschutz in den olympischen Gebieten vorgesehene Gelder auf offenbar viel dringlichere Aufgaben umgelegt: Es braucht mehr Werbung für die Spiele 2014.