Über den Europride 2011 in Rom

Mit Lady Gaga für die Liebe

Elf Jahre nach dem Worldpride 2000 fand wieder eine internationale LGBT-Parade in Rom statt. In dieser Zeit hat sich für italienische Homo-, Bi- und Transsexuelle politisch kaum etwas geändert. Versuche, die Bekämpfung von Homophobie und die Gleichstellung auf gesetzlicher Ebene durchzusetzen, sind bisher immer gescheitert.

Am Tag des Europride ist ganz Rom im Gaga-Fieber. Die Songs der Pop-Lady dröhnen von den Wagen, zwischen federgeschmückten Drag Queens und Engeln in hochhackigen Riemchenstiefeln. Hunderttausende ziehen vom Hauptbahnhof zum Kolosseum, an der römischen »Gay Street« vorbei bis zum Circus Maximus. Das Abendlicht legt sich wie ein goldener Tüllschleier über die Ruinen auf dem Palatin. Die Menge wartet verzaubert vor der imposanten Kulisse auf den großen Auftritt der Diva. Luftballons in Penisform steigen in den Nachthimmel.
Endlich ist es so weit, Lady Gaga betritt die Bühne: »Ciao Roma!« Sie trägt ein langes schwarzes Kleid mit weißen Quadraten, das letzte Modell aus der Kollektion von Versace. Das ist nicht der einzige Tribut an das italienische Publikum. Stefania Giovanna Angelina Germanotta präsentiert sich als »einfache Italo-Amerikanerin«. Erst über die Musik, die Kunst und die Mode sei sie zu einem Mitglied der internationalen LGBTI-Bewegung geworden, »ein Kind der Differenz«. In ihrer leidenschaftlichen Ansprache fordert sie dazu auf, die angestaute Wut »heute und an jedem Tag« auf die Straße zu tragen und »für Freiheit und volle Gleichberechtigung« zu kämpfen.

Einmal nur droht die Stimmung zu kippen: Als sie glaubt, sich bei Roms Bürgermeister Gianni Alemanno, einem ehemaligen Faschisten, für die Organisation der Veranstaltung bedanken zu müssen, wird ihr mit gellenden Pfiffen geantwortet. Lady Germanotta weiß um den politischen Charakter ihres Auftritts: »Wir sind nicht nur zum Feiern hier, wir sind hier, um unsere Liebe zu verteidigen!« Dann schreitet sie zum Klavier und spielt wie angekündigt »Born This Way« und als einzige Zugabe »Edge Of Glory«.
Vor elf Jahren, ausgerechnet im Heiligen Jahr der katholischen Kirche, war der Worldpride in Rom gegen den Protest des Vatikans durchgesetzt und ohne die Unterstützung der linksliberalen Stadtverwaltung organisiert worden.
Seither hat sich für die LGBT-Community in Italien wenig geändert. Dass die European Pride Organizers Association (EPOA) nach Warschau in diesem Jahr Rom zum Schauplatz ihrer internationalen Parade gemacht hat, war deshalb kein Zufall. »Wie Polen und einige andere Länder Ost­europas stehen wir leider unter dem Einfluss eines gewissen religiösen Integralismus«, sagt Andrea Maccorone, Mitglied des italienischen Organisationskomitees. Mark Frederick Chapman, Präsident der EPOA, wird deutlicher: »Der Hass gegen LGBT-Personen ist weit verbreitet und wird von faschistischen und ultrareligiösen Gruppen geschürt. Die römisch-katholische Kirche nährt diese Stimmungen mit ihren konfusen Verlautbarungen zur Homosexualität.« Italien ist das einzige Gründungsland der Europäischen Union, in dem es keinerlei rechtliche Anerkennung für gleichgeschlechtliche Partnerschaften gibt. Für Vladimir Luxuria, die vor einigen Jahren als erste Transsexuelle in das italienische Parlament gewählt wurde, geht die Homophobie der rechtskonservativen Parteien Italiens »Arm in Arm mit dem Fundamentalismus der Taliban«.

Dass es vor der Veranstaltung dennoch kaum Kontroversen gab und nur die neofaschistischen Splittergruppen Militia Christi und Fiamma Tricolore zu einem Sit-in gegen die Parade aufriefen, ist keiner größeren gesellschaftlichen Akzeptanz, sondern einer veränderten Taktik der Gegner geschuldet. Dem Europride sollte möglichst wenig Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die Einladung an Lady Gaga folgte deshalb weniger einer kommerziellen Logik, erklärt Paolo Patanè, Vorsitzender der italienischen Schwulenvereinigung Arcigay, sie war vielmehr eine bewusste »politische Entscheidung«. Kein namhafter italienischer Künstler hätte sich angeboten, gratis für die LGBTI-Bewegung einzutreten. Dank der Vermittlung des amerikanischen Botschafters in Rom, David Thorne, wurde der Kontakt zu Lady Gaga hergestellt, die sofort bereit war, sich zu engagieren.
Der römische Europride stand somit indirekt unter der Schirmherrschaft der USA. Vor dem Auftritt des Stargasts verlasen die Veranstalter eine Grußbotschaft der amerikanischen Außenministerin Hillary Clinton, in der sie betont: »Die Menschenrechte sind Rechte der Homosexuellen, die Rechte der Homosexuellen sind Menschenrechte.«
Im aktuellen Jahresbericht von Amnesty International wird festgestellt, dass in Italien »Aggressionen gegenüber LGBT-Personen bedauerlicherweise häufig vorkommen, nicht zuletzt, weil entsprechende Antidiskriminierungsgesetze fehlen«. Insbesondere die abschätzige Haltung einiger Politiker habe ein Klima zunehmender Intoleranz erzeugt. Erst im April wurde eine Gesetzesvorlage, der zufolge homophobe Tatmotive als erschwerende Umstände zu bewerten wären und strafmaßverschärfend wirken sollten, trotz intensiver Bemühungen um eine Kompromissformulierung in der Justizkommission des Parlaments abgelehnt. Paola Concia, die für die Ausarbeitung des Antidiskriminierungsgesetzes verantwortlich zeichnet, wurde vor dem Abgeordnetenhaus zusammen mit ihrer Lebensgefährtin als »Scheißlesbe« beschimpft. Nur wenige Tage später hetzte Carlo Giovanardi, der christlich-konservative Staatsekretär im Familienministerium, gegen eine Plakatwerbung der Einrichtungskette Ikea, auf der unter dem Slogan »Wir sind offen für alle Familien« ein schwules Paar zu sehen war. Die italienische Familie sei verfassungsrechtlich geschützt und gründe auf der Ehe von Mann und Frau, die Ikea-Werbung sei »beleidigend und von schlechtem Geschmack«.
Angesichts dieser Situation wird verständlich, warum die zweiwöchige Veranstaltung »Pride Park«, die der Parade vorausging, überwiegend im Zeichen des Kampfes um rechtliche Anerkennung und Absicherung stand. Mitten auf der Piazza Vittorio, im einzig wirklich multiethnischen Viertel der italienischen Hauptstadt, hatte die LGBT-Bewegung mehrere Dutzend weiße Zelte aufgeschlagen. Wo sonst nur die Kinder aus dem angrenzenden Chinatown Basketball spielen und indische und pakistanische Migranten auf den Bänken in der Sonne dösen, gab es Podiumsdiskussionen und Filmvorführungen. Das Rainbow-Netzwerk der gleichgeschlechtlichen Eltern, die Rechtsabteilung der linken Gewerkschaft CGIL und verschiedene Gruppen der Homosexuellen Christen boten hier ebenso ihre Beratungsdienste an wie die Transgender-Assoziation Libellula.

Doch trotz der insgesamt bedrückenden Situation wurde auch gefeiert. Die traditionellen römischen Gay-Clubs »Coming out« und »Alibi« schenkten Bier und Cocktails aus, es gab viel Musik, die vom Webradio Deegay.it live übertragen wurde, der Frauenbuchladen »Tuba« bot gute Literatur an und präsentierte die neuesten Dildo-Modelle. Für alle, die trotzdem lieber ganz woanders sein wollten, lockten mehrere Tourismusagenturen mit Reisen in die vermeintlichen LGBT-Paradiese im Ausland. So gelang für zwei Wochen auf der Piazza Vittorio, was im italienischen Alltag so schwer zu realisieren ist: Die LGBT-Community lebte inmitten des heterosexuellen Mainstream. Sogar die Neofaschisten aus dem nahegelegenen rechten Centro Sociale Casa Pound störten sich nicht an der Veranstaltung, vielleicht wirkte aber auch die unübersehbare Polizeipräsenz abschreckend.
Nach Jahren der Stagnation sollte der Euro­pride »frischen Wind« in die italienische Hauptstadt bringen. Die Veranstalter wollten die Öffentlichkeit wieder für die Ausweitung der Bürgerrechte sensibilisieren. Zufällig fiel der Europride nun in eine Phase des politischen Aufbruchs. Zwei Wochen nach den Kommunalwahlen, die nicht nur in Mailand und Neapel neue Linkskoalitionen ins Amt brachten, und einen Tag vor die erfolgreichen Volksentscheide gegen vier Gesetzesvorlagen der rechten Regierung war die Parade trotz aller Euphorie um Lady Gaga sehr politisch. Obwohl sich auch eine kleine Abordnung konservativer und mehrere Gruppierungen katholischer Homosexueller am Pride beteiligten, überwog die antiklerikale Stimmung gegen »Nazinger« und seine Verbündeten im italienischen Parlament. Gleichzeitig sandte der Europride eine Botschaft an die linke und linksliberale Opposition, die sich wegen der fortgesetzten Niederlagen des rechten Lagers im Aufwind befindet, endlich auch gegen den katholisch-konservativen Widerstand für eine rechtliche Gleichstellung von Queers zu sorgen.