Der Herr der Spitzel

Habib al-Adly droht die Todesstrafe, sollte er verurteilt werden. Doch derzeit sieht es nicht danach aus. Anfang Mai ist er bereits zu zwölf Jahren Haft wegen Geldwäsche und Betrugs verurteilt worden. Der Mordprozess gegen den letzten Innenminister des Regimes Hosni Mubaraks wurde am Sonntag jedoch nach wenigen Minuten erneut vertagt. Bei den Protestierenden und Angehörigen von Adlys Opfern, die vor dem Gerichtsgebäude in Kairo warteten, löste diese Nachricht heftige Wut aus. Steine flogen, sieben Polizeifahrzeuge wurden zerstört, drei Soldaten und ein Polizist verletzt. Während der Revolution in Ägypten wurden mehr als 800 Menschen getötet und über 6 000 teils schwer verletzt. Adly ist des Mordes an Hunderten von Demonstranten angeklagt, von ihm kam der Befehl, auf die Protestierenden zu schießen und Schlägertrupps anzuheuern, um die Demonstrationen anzugreifen.
Der 73jährige Adly war 13 Jahre lang Innenminster. Er kommandierte eine halbe Million Untergebene, ihm unterstand neben der Polizei auch die gefürchtete Sicherheitspolizei, eine Art Stasi, die nicht nur ein ausgefeiltes Spitzelsystem, sondern auch zahlreiche Folterkammern und Geheimgefängnisse besaß. Adly war mitverantwortlich für die systematische Anwendung von Folter und Mord in Ägypten, gerichtet gegen Regimegegner, Islamisten, aber auch gegen organisierte Arbeiter, Arme oder schlicht willkürlich Aufgegriffene. »Al-Adly hat ein Klima der Angst und des Misstrauens geschaffen, das verhindert hat, dass wir uns vertrauen, miteinander reden konnten«, heißt es in einem Demonstrationsaufruf.
Dies spielt im derzeitigen Prozess jedoch keine Rolle, es geht allein um die Morde während der Revolution im Januar und Februar. Die Familien der Opfer sind teils aus dem weit entfernten Sinai angereist, um vor dem Gerichtsgebäude zu demonstrieren, einige haben nun in der Kairoer Innenstadt aus Protest gegen die Verschleppung des Prozesses provisorische Zelte aufgschlagen. Sie fürchten, dass es Adly gelingen könnte, dank seiner guten Kontakte zur alten Staatspartei und zum jetzt herrschenden Militär glimpflich davonzukommen. Wie etwa zwei seiner engsten Vertrauten. Die Polizeigeneräle Omar Faramawy und Ossama al-Marasy wurden am 23. Mai nach wenigen Minuten freigesprochen, marschierten an salutierenden Soldaten vorbei aus dem Gerichtsgebäude – und gingen zurück an ihre Arbeit.