Der Wahlkampf in Berlin hat begonnen

Dümmer wird’s nicht

Was ist los, wenn die CDU »Zukunftsmächte erschließen« will, die SPD »Berlin verstehen« möchte, die Linkspartei sich um Müllschlucker sorgt und die Grünen Berlin zu einer »Mitsprachestadt« machen wollen? Genau: Der Wahlkampf hat begonnen.

Berlin liegt in Trümmern: »Schulleiter mutieren zu Verwaltungsbeamten«, »Taxichaos am Hauptbahnhof«, »Leistungsdruck schon in der 3. Klasse«, »Ödnis am Alex«, »der nächste Winter kommt bestimmt, Berlin ist immer noch nicht vorbereitet«, und falls noch jemand Zweifel hat: »Unbekannt und dennoch überfordert: die einheitliche 115-Nummer für die Verwaltung«. Es ist ein Wunder, dass überhaupt noch Leben möglich ist in der Hauptstadt. Wenn man es denn Leben nennen möchte.

Dieser deprimierende Befund kommt von der Berliner CDU, die in einer bemerkenswerten Fleißarbeit pünktlich zum beginnenden Wahlkampf die 100 Probleme der Stadt nebst 76 »Ergänzungsproblemen« zusammengetragen hat. Nein, mangelnde Liebe zum Detail kann man den Christdemokraten nicht vorwerfen: »Berlin immer noch nicht gesichert«, »multiresistente Krankenhauskeime«, »Bürokratenmarathon vor Sportveranstaltungen«. Was halt dabei herauskommt, wenn zehn Jahre lang die Sozialisten und Kommunisten regieren.
Aber bei aller Gründlichkeit hat die Partei ein nicht ganz unerhebliches Problem in ihrem Katastrophenbericht vergessen: »Niemand kennt den Spitzenkandidaten der CDU.« Und das Ergänzungsproblem: »Kaum einer will die CDU wählen.« Dabei wäre es schade, wenn die patenten Lösungen für all die rot-roten Altlasten im 78seitigen Wahlkampfmanifest der CDU verstaubten. Eine für das Überleben der Stadt elementare Aufgabe könnte vergessen werden: »Zukunftsmächte erschließen, z.B. Ältere und Asiaten«. Unsicherheiten im Satzbau zeigen sich hier: »Berlin muss Standort für Entwicklungen werden wir stark genug wachsen.« Deshalb ist diese Forderung nur konsequent: »Die Deutschkenntnisse werden durch Förderkurse vor der Einschulung auf ein ausreichendes Niveau gehoben.« Vielleicht klappt es ja bis zur nächsten Wahl.
Den Spitzenkandidaten der FDP dürfte ebenfalls niemand kennen. Man muss seinen Namen nicht wissen, denn man wird ihn in keiner wich­tigen politischen Funktion erleben müssen. Für die liberale Splitterpartei geht es darum, in der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus noch unter den ersten Zehn zu landen und nicht von der Tierschutzpartei oder der NPD überholt zu werden. »Die FDP hier in Berlin kann man nicht als politikfähig bezeichnen. Ich glaube, dass mit dieser Yuppie-Boy-Group hier im Abgeordnetenhaus kein Staat zu machen ist.« Damit ist alles gesagt, und zumindest zum Dank für diese hübsche Charakterisierung kann man den Namen des CDU-Spitzenkandidaten dann doch einmal nennen: Frank Henkel.

Anders als die CDU hat die SPD nach zwei Legis­laturperioden, in denen sie den Regierenden Bürgermeister stellte, nur noch einen Wunsch: »Berlin verstehen«. Mit diesem Slogan zieht sie in den Wahlkampf. Da das eine große Aufgabe ist, kann man annehmen, dass die Wähler ihr weitere fünf Jahre Zeit geben werden, daran zu arbeiten.
Ob der bisherige Koalitionspartner weitermachen will? Die Linkspartei bestreitet den Wahlkampf vor allem mit Weinerlichkeit. »Die Berliner­innen und Berliner werden viel verlieren, wenn die Linke nicht stärker wird«, klagt sie. Die Partei fühlt sich verkannt. »Die SPD rühmt sich jetzt mit unseren Leistungen«, wird gejammert.
Aber nicht nur das: »Wir haben den Weg für eine Gesetzesänderung geebnet, damit die vorhandenen Müllschlucker weiter genutzt werden können. Manche Abgeordnete der anderen Parteien werben nun ebenfalls für den Erhalt der Müllschlucker.« Es ist so ungerecht. Dabei ist klar: Die Linkspartei ist die einzig legitime Vertreterin der Berliner Müllschlucker, denn: »Der Großstadtmensch geht seit Jahrzehnten im Hochhaus über den Gang und kippt – wenige Meter von den eigenen vier Wänden entfernt – die Reste seines bunten Lebens in einen Schacht.« Das ist die poetischste Charakterisierung des typischen Wählers der Linkspartei, die überhaupt denkbar ist.
Die Partei hängt aber nicht nur an der Vergangenheit. Nein, sie öffnet sich auch den neuen Zeiten: »Immer mehr Menschen aus den Bezirken, in denen es viele Müllschlucker gibt, sind auch bei der Mülltrennung aktiv.« So spannend kann Lokalpolitik sein! Es droht allerdings Ungemach durch die »Ellenbogenmentalität nach Bionade-Manier«, sprich: durch mülltrennende Grüne.
Die Grünen stehen allerdings vor ganz anderen Problemen. Die Berliner haben einen Hang zu putzigen Maskottchen – Knautschke, Knut, Wowi. Die grüne Spitzenkandidatin Renate Künast passt nicht in diese Reihe, in den Umfragen landet sie nur auf dem zweiten Platz. Dabei glänzen die Berliner Grünen mit kreativen Spitzenleistungen. »Endlich habe ich einen ›Spruch‹ für mein Wahlkampfplakat«, verkündet etwa die Tempelhofer Kandidatin Claudia Maiwald im Wahlkampfblog. »Mit Hilfe einer großen Schüssel Erdbeerbowle haben mein Team und ich viele Slogans entwickelt und zum Schluss haben wir uns einstimmig auf ›Claudia Maiwald: Grüner wird`s nicht!‹ festgelegt.« Ein unglaublich einfallsreicher Hammer-Spruch! Und so passend: Genau einen Tag später fiel der grüne Wahlkampfleiter André Stephan der Polizei auf, weil er mit seinem Wagen an einer grünen Ampel einfach stehenblieb. Grüner wird’s nicht – der Mann war betrunken hinter dem Steuer eingeschlafen.

Ebenso gelungen sind die Sprüche, die auf den Wahlplakaten der Partei zu lesen sein werden – auf der Wahlkampfseite der Grünen sind sie bereits zu sehen. »Eine Stadt für gleich und anders«, heißt es da ebenso wie: »Eine Stadt für Soja und Soljanka«. »Eine Stadt für Solarstrom und Grillkohle«, für »Köfte und Klopse«, für »Frühschicht und Späti« – wem das nicht gefällt, der kann im »Sprüche-Generator« seinen eigenen Slogan entwerfen. Bei den Grünen darf jeder mitmachen. Schließlich möchte Künast »Berlin zu einer Mitsprachestadt machen«. Angesichts des Wahlkampfs wäre es weitaus schöner, in einer Stadt des Schnauzehaltens zu wohnen.