Kongress der Verschwörungstheoretiker zum 11. September

Die Staubschnüffler geben nicht auf

Der Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 naht. Deutsche Verschwörungstheoretiker bereiten sich auf das ­Jubiläum vor und wollen mit einer De­mons­tration und einem Kongress end­lich die vermeintliche Wahrheit an die Öffentlichkeit bringen.

Deutsche Verschwörungstheoretiker stellen sich derzeit auf einen harten Wettbewerb ein. Der zehnte Jahrestag der Anschläge vom 11. September naht. Pünktlich zum Jubiläum wollen Szeneanhänger deshalb die besten Indizien für die in diesen Kreisen unumstrittene These vorlegen, dass die US-Regierung damals alles selbst ein­gefädelt hat. Die Gründe sind für die Verschwörungstheoretiker offensichtlich. Für Dollars, Öl und zur Legitimation von Angriffskriegen – für ­alles, was man zur Weltherrschaft eben braucht –, ließ die US-Regierung einige Tausend Staatsbürger sterben und einige imposante Gebäude sprengen.

Überaus beliebt ist bei den Hobbydetektiven, die immer noch nach der smoking gun suchen, derzeit die These vom Einsatz von Nanothermit. So berichten einschlägige Blogs wie »The Real Stories« (TRS) oder »Alles Schall und Rauch« (ASR) von dieser Sprengstoffkomponente, die angeblich im Staub von Ground Zero gefunden wurde und die für die Verschwörungstheoretiker nur den Schluss zulässt, dass eine gezielte Explosion den Zusammenbruch von Gebäude Nummer sieben des World Trade Center verursachte, in das kein Flugzeug gerast war. Doch auch Evergreens werden weiterhin verbreitet. So erhielten zwei in Tel Aviv ansässige Mitarbeiter der israelischen Firma Odigo, die auch einen Firmensitz in der Nähe des World Trade Center hatte, zwei Stunden vor den Anschlägen einen völlig unspezifischen und mit antisemitischen Flüchen gespickten Hinweis auf einen bevorstehenden Terrorangriff. Das wird von Verschwörungstheoretikern als Indiz dafür angesehen, dass auch die israelische Regierung bei der vermeintlichen Inszenierung des Geschehens mitwirkte.
Solche Thesen dürften auf den diesjährigen Veranstaltungen der 9/11-Detektive zu hören sein. Am 10. September soll in Karlsruhe eine Demons­tration unter dem Motto »11. September 2011 – Für die Opfer und die Wahrheit« stattfinden. Wie TRS zu entnehmen ist, wird sie vom »Schall und Rauch/Infokrieg-Stammtisch Karlsruhe« veranstaltet. Wie ASR ist auch »Infokrieg« ein Blog des sogenannten 9/11-Truth-Movement, das sich selbst als Zusammenschluss von »Wahrheitssuchenden« versteht und von einer großangelegten Weltverschwörung und einer systematischen Desinformationspolitik durch Regierungen, Behörden und die Presse ausgeht.
Diese Bewegung hat auch Verbindungen zu rechtsextremen und esoterisch-religiösen Kreisen. Nach Informationen des Internetprojekts »Esowatch«, das sich der Kritik »irrationaler Überzeugungssysteme« widmet, wurde beispielsweise auf ASR, das von dem Schweizer Geschäftsmann Manfred Petritsch alias »Freeman« betrieben wird, zu Spenden für die Nazi-Website Altermedia aufgerufen. Der wegen rechtsextremer Äußerungen aus der CDU ausgeschlossene frühere Bundestagsabgeordnete Henry Nitzsche wurde auf dem Blog als einer der »wenigen deutschen Patrioten« bezeichnet.

»Infokrieg« ist der deutsche Ableger der US-amerikanischen Website »Infowars« des führenden US-Verschwörungstheoretikers Alex Jones. Den deutschen »Infokrieg« betreiben die selbsternannten Experten Alexander Benesch und Nicolas Hofer. Besonders auffällig wird auf dem Blog für Anlagen in Gold und anderen Edelmetallen und für Bücher über das Scheitern des Euro und den Zusammenbruch des globalen Finanzsystems geworben. Zugleich kann man Angebote wie den »ABC-Schutzanzug Eurolite«, den »Atemschutz Selecta«, den »Reaktor-Spezialfilter«, spezielle Radiogeräte für Katastrophenfälle oder Links zum »Survival Guide – Dieses Buch könnte ihr Leben retten« oder zum »Neuen Buch vom Leben auf dem Lande« anklicken. Das Eintreten der Apokalypse scheint für die »Infokrieger« nur eine Frage der Zeit zu sein.
Vielleicht veranstalten sie auch deshalb Ende August das »Truthcamp 2011«, eine Art Ferienlager in der Magdeburger Börde. Dort können die Apokalyptiker schon einmal das Bogenschießen für die Zeit nach dem Zusammenbruch der Weltordnung üben. Die auf dem Zeltlager angebotene »Grillflatrate« und »Frühstücksflatrate« wird es nach dem Weltuntergang aber sicher nicht mehr geben.
Die beiden Hauskapellen der deutschen 9/11-
­Truth-Bewegung« werden als »Highlights« des »Truthcamp 2011« angekündigt. Die Duisburger HipHop-Truppe »Die Bandbreite«, die seit der Veröffentlichung ihres Songs »Selbst gemacht« (siehe Jungle World 33/07) bei Verschwörungstheoretikern überaus beliebt ist, soll ebenso auftreten wie Kilez More. Der Rapper nennt seinen Stil »Truthrap« und empfiehlt seine Musik auch mit Songtiteln wie »Infokrieger« als Soundtrack für die »Truther«.
Neben der Demonstration und dem »Truthcamp« ist die »Inside 9/11-Konferenz zum 10. Jahrestag« angesetzt. Sie wird am 10. September von der Redaktion der Monatszeitschrift Compact (siehe Jungle World 49/10) veranstaltet. Der Herausgeber Jürgen Elsässer hat deutsche und einige internationale »9/11-Experten« nach Leipzig geladen. Zu ihnen gehört Paul Schreyer, der Autor von »Inside 9/11. Neue Fakten und Hintergründe zehn Jahre danach«. Dieses Buch erhält derzeit jeder Neuabonnent von Compact als Prämie. Erschienen ist es in der Compact-Buchreihe, dem »publizistischen Brüderchen« des Magazins, wie die Eigenwerbung lautet. Zusätzlich ist in der Reihe seit kurzem auch »Die Schattenregierung. Geheimstrukturen in der US-Politik von 9/11 bis Obama« erhältlich. Es stammt von Elsässer selbst. Verschwörungstheoretiker werden derzeit also mit genügend Lesematerial aus dem Hause Compact versorgt.

Als internationaler Stargast der Konferenz wird Nafeez Mosaddeq Ahmed vom Londoner »Institute for Policy Research and Development« angekündigt, der vor allem mit dem Buch »The War on Truth: 9/11, Disinformation and the Anatomy of Terrorism« auf sich aufmerksam gemacht hat. Die Nachforschungen des Politikwissenschaftlers zum internationalen Terrorismus wurden erstaunlicherweise von der offiziellen, von der US-Regierung beauftragten 9/11-Kommission berücksichtigt. Dabei scheint er für alles nur eine Erklärung zu haben: Die Regierung war’s. So verdächtigt er im Fall des 11. September die US-Regierung, im Fall der Bombenanschläge von London im Jahr 2005 die britische Regierung der ­Täterschaft.
Ahmed dürfte sich also unter seinen Mitdiskutanten wohlfühlen. Der Infokrieger Benesch, der Autor Jan Gaspard, der sich, wie aus seinem Werk hervorgeht, wohl mit »Freimaurern« und »Illuminaten« auskennt, und Sulaiman Wilms, Chefredakteur der Islamischen Zeitung, sind auch als Redner vorgesehen, um mit ihrem Gastgeber Elsässer über die alles entscheidende Frage zu diskutieren: »Welche Struktur hat 9/11 ›gemacht‹ – und was ›macht‹ diese Struktur heute?« Elsässers eigene Theorie von der Kooperation zwischen den »Profiteuren« al-Qaida und US-Regierung ist dabei zwar nicht so aufsehenerregend wie die Erkenntnis über das Nanothermit im Staub von Ground Zero. Am großen Jubiläumswettbewerb um die beste Verschwörungstheorie kann er aber dennoch teilnehmen.