Holger Schmidt spricht im Interview über Antisemitismus bei Linken und über seinen Kreisverband

»Auch die Grünen hatten ihre Israel-Debatte«

Der Bonner Politikwissenschaftler Holger Schmidt hat sich in seinem kürzlich erschienen Buch »Antizionismus, Israelkritik und ›Judenknax‹. Antisemitismus in der deutschen Linken nach 1945« (Bouvier-Verlag) mit der Frage beschäftigt, wie speziell die radikale Linke in Deutschland eine »Israelkritik« entwickelt hat, die vom Antisemitismus kaum mehr zu unterscheiden ist. In einem kurzen Kapitel geht er auch auf die Auseinandersetzungen in der Partei »Die Linke« ein. Holger Schmidt ist seit Ende vorigen Jahres selbst Kreisvorsitzender der »Linken« in Bonn.
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In der Debatte um die Linkspartei argumentieren deren Politiker immer wieder damit, dass die Partei ja durch und durch antifaschistisch sei und deshalb gar nicht antisemitisch sein könne. Ist es sinnvoll, so zu argumentieren?

Nein. Seit 1945 sind in Westdeutschland bei der radikalen Linken und in der DDR bei der SED durchaus antifaschistische Positionen mit antizionistischen, bisweilen antisemitischen Positionen vermischt worden. Häufig wurde von Linken ja gerade umgekehrt argumentiert: Weil wir antifaschistisch sind und aus der deutschen Vergangenheit gelernt haben, müssen wir uns auf die Seite der Araber bzw. Palästinenser schlagen. Der Antifaschismus war insofern eingebettet in ein antiimperialistisches Weltbild, der Zionismus wurde zumeist dem imperialistischen Lager zugerechnet.
Ich halte diese Argumentation aber auch deshalb nicht für schlüssig, weil der Antisemitismusbegriff, von dem dabei ausgegangen wird, auf ­einer sehr simplen Vorstellung von Antisemitismus beruht. Er bezieht sich nur auf explizit und offen geäußerte judenfeindliche Einstellungen. Es wird nicht gesehen, dass sich Antisemitismus ebenso wie andere Unterdrückungsverhältnisse auch in anderen Haltungen äußern kann, in Einstellungen oder Wahrnehmungsmustern, die vielleicht nicht unmittelbar als Antisemitismus zu erkennen sind.

Die Bundestagsfraktion der Linkspartei hat einen Beschluss gefasst, in dem sie feststellt, dass Israel-Kritik nicht grundsätzlich antisemitisch sei. Sie haben in Ihrem Buch durchaus einen Zusammenhang von beidem konstatiert.

Man sollte sich vor Augen führen, dass sich nach Gründung des Staates Israel ein Teil der antisemitischen Ressentiments auf den jüdischen Staat richtete. Und dass die Linke eine Geschichte hat, in der die Beurteilungen israelischen Handelns stark von antisemitischen Mustern durchzogen sind. Um zu beurteilen, ob eine Kritik an Israel antisemitisch ist oder nicht, muss man einerseits das Umfeld, also den Kontext der Äußerung betrachten, und anderseits, welche Stereotype verwendet werden. Ein notorisch gewalttätiges, unversöhnliches, nur auf den eigenen Vorteil bedachtes oder gar im Auftrag von Dritten, Imperialismus oder USA, als Fremdkörper handelndes Israel ist eine Neuauflage alter antisemitischer Stereo­type.

Also hätte dieser Beschluss der Linksfraktion anders ausfallen müssen?

Allerdings! Er hätte deutlich differenzierter ausfallen müssen. Ich fand ihn eigentlich überflüssig, denn dass man an israelischer Regierungspolitik Kritik üben kann, ist ja selbstverständlich und hat auch nie jemand bestritten. Dieses Recht braucht man nicht gemeinsam zu beschließen. Aber wenn man schon eine solche Resolution verabschiedet, hätte man konsequenterweise auch klarstellen müssen, welchen Kriterien eine Israel-Kritik zu genügen hat.

Haben Sie in Ihrer Untersuchung auch anti­semitische Züge jenseits des Antizionismus in der linken Bewegung nach 1945 festgestellt?

Geht es um abstraktere Macht oder Geld, wird mitunter ein Zusammenhang mit Juden konstruiert. Gerade bei der Haltung zu den USA ergaben sich Überschneidungen mit antisemitischen Positionen. Da ist der Begründungszusammenhang der, in den USA hätten die Juden überproportional viel Einfluss und würden de facto die US-Politik bestimmen. Antisemitismus tauchte aber zum Beispiel auch im Häuserkampf der siebziger Jahre in Frankfurt auf. Die Investoren, die Wohnungen abreißen und neue bauen lassen wollten, wurden deutlich als Juden gekennzeichnet, und so wurde das antisemitische Klischee bedient, wonach das ort- und zeitlose Geld des Finanzkapitals im Besonderen mit Juden verbunden sei.

Sie schreiben, dass seit Ende der achtziger Jahre eine selbstkritische Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus in der Linken begonnen habe.

Anfang der achtziger Jahre ging eine solche linke Kritik am Antisemitismus vor allem von jüdischen bzw. aus jüdischen Familien stammenden Linken aus. In den Achtzigern entwickelte sich dann eine längere Diskussion bei den Grünen über die Positionen zum Nahost-Konflikt und die Haltung zu Israel, die in etwa vergleichbar ist mit der derzeitigen Debatte in der Linkspartei. Es ging bei den Grünen anfangs auch darum, sich auf die Zwei-Staaten-Lösung zu einigen. Das war ein Konflikt zwischen der antiimperialistischen Tradition eines Kampfes an der Seite der Palästinenser und einer stärker im Realo-Flügel angesiedelten Haltung, sich mit der Zwei-Staaten-Lösung zu arrangieren und diese zu unterstützen.

Die antiisraelische Haltung war beim Fundi-Flügel stärker?

Tendenziell ja.

Und würden Sie grundsätzlich sagen, dass die Linke umso antisemitischer ist, je radikaler sie ist?

Was die vergangenen Jahrzehnte bis Ende der achtziger Jahre angeht, ist das so. Immer mit wenigen Ausnahmen, vor allem bei Personen, die eine eigene jüdische Familiengeschichte hatten. Anfang der Neunziger hat sich das aber geändert. Da hat in der radikalen Linken ein Bruch statt­gefunden mit der Entstehung der sogenannten antinationalen, später antideutschen Linken.

Die Partei »Die Linke« kommt in Ihrem Anfang des Jahres erschienenen Buch nur am Rande vor. Sie schreiben, dass es offen sei, wohin sich die Partei entwickeln werde. Für wie offen halten Sie nach den Debatten der vergangenen Wochen und Monate die Entwicklung?

Ich denke, es ist noch nicht entschieden, wie genau sich die Partei in Zukunft positionieren wird. Ich halte es aber für wichtig, dass die Diskussion jetzt offen weitergeführt wird. Aus meiner Sicht geht es hierbei nicht um einen Flügelkampf, den die Parteiströmung um das Forum Demokratischer Sozialismus (FDS) mit dem Rest der Partei austrägt, sondern ich meine, dass eine kritische Haltung zum antizionistischen Konsens der radikalen Linken auch in anderen Spektren der Partei existiert und entwickelt werden kann und muss.

Sie haben eben in Hinsicht auf die Grünen erklärt, dass es dort eher der Realo-Flügel gewesen sei, der als erster dem Antizionismus abschwor. Ist nicht das FDS der »Linken« mit den damaligen grünen Realos vergleichbar? Immerhin äußern sich die FDS-Anhänger wesentlich weniger antiisraelisch als viele andere.

Es ist richtig, dass es eine Parallele gibt, aber es ist falsch, das nur so zu interpretieren. Ich fand es zum Beispiel, so richtig sein Motiv war, nicht sehr überzeugend, dass Gregor Gysi 2008 die Solidarität mit Israel als Teil der deutschen Staatsräson hervorhob. Da wurde unbewusst der antistaatliche Reflex vieler Linker provoziert, die sich eben nicht vom Staat vorschreiben lassen wollen, welche Haltung sie einnehmen. Gysi hätte besser deutlich machen sollen, dass es ein Ausdruck linker, oder sagen wir: humanistischer, emanzipatorischer Räson ist, Israel anzuerkennen, sein Recht, sich zu verteidigen und seine Existenz zu sichern.

Ist der Eindruck richtig, dass die Partei im Westen stärker antizionistisch ist als im Osten?

Im Westen, wo die Partei ein Sammelbecken verschiedenster linker Gruppierungen ist, ist das antizionistische Weltbild fester verankert als im Osten. Dort hat die PDS nach 1990 die Haltung zu Israel, wie sie die SED jahrzehntelang einnahm, bewusst revidiert. Zumindest offiziell als Partei.

Sie selbst sind Kreisvorsitzender der »Linken« in Bonn. Ihr Kreisverband hat etwa 200 Mitglieder. Gibt es da eine mehrheitliche Meinung zu Israel oder ist das auf der Lokalebene bei Ihnen gar kein Thema?

Bisher war dies kein größeres Thema, der Diskussionsprozess hat ja jetzt erst begonnen. Aber klar, auch bei uns existiert keine einheitliche Meinung dazu. Es finden sich die alten Positionen der siebziger und achtziger Jahre genauso wie solche, die erkennen, dass man eben jene überwinden muss. Ich weiß also nicht, ob ich für die Mehrheit meines Kreisverbandes spreche, für unseren Vorstand jedoch schon.

Und wie sieht dessen Position aus?

Wir sind der Meinung, dass die Festlegungen der ersten Resolution der Bundestagsfraktion richtig sind, wenn der Text insgesamt auch sehr zusammengestellt wirkt: Die Linke sollte keine Boykott­aktionen gegen Israel unterstützen, auch nicht die Gaza-Flottille und ebensowenig eine sogenannte Ein-Staaten-Lösung. Stattdessen müssen wir gemeinsam dazu kommen, alte antizionistische und antiisraelische Argumentationsmuster zu überwinden und das Existenzrecht und die ­Grundsolidarität mit Israel als Teil einer aufgeklärten, linken Position begreifen.

Das sieht in anderen Kreisverbänden, etwa in Duisburg, aber ganz anders aus, oder?

Wir gehören mit unserer Position in Nordrhein-Westfalen zurzeit wahrscheinlich zu einer Minderheit. Doch die Diskussion, die wir jetzt führen, kann ja weiterentwickelt werden.

Wie soll denn die Debatte weitergeführt werden? Basisdemokratische Abstimmungen sind angesichts der Mehrheitsverhältnisse vielleicht gar nicht so zweckmäßig?

Es gibt natürlich einen harten Kern von Leuten, deren antizionistisches Weltbild man nicht mehr wird revidieren können. Aber man muss anerkennen, dass es viele Mitglieder gibt, die bisher überhaupt nicht in diese Diskussion einbezogen wurden, und viele interessierten sich kaum dafür. Es gibt daher auch viele, die, wenn sie sich jetzt mit dem Thema befassen, für vernünftige Argumente durchaus zugänglich sind. Wir brauchen Aufklärung, Gespräche, Debatten, Veranstaltungen – dann bin ich optimistisch, dass man etwas erreichen kann.