Über Gewissheit

»Wir wissen nicht, wer uns angegriffen hat.« Das sagte Norwegens Ministerpräsident Jens Stoltenberg kurz nach den Anschlägen. Viele Online-Redakteure glaubten hingegen mehr zu wissen. »Es war angesichts der riesigen Konkurrenz nicht leicht, sich am gestrigen Tag für den Titel des dümmsten voreiligen Kommentars zu den Anschlägen von Oslo zu qualifizieren«, kommentierte Stefan Niggemeier auf Bildblog, er kürte Manfred Schermer von der Fuldaer Zeitung zum Titelanwärter. Nach dem Bombenanschlag und dem Attentat auf ein Sommercamp auf der Fjordinsel Utøya kritisierte Schermer Norwegens liberale Ausländerpolitik. »Bislang waren die Norweger stolz auf ihre offene Gesellschaft. Die Mitte-Links-Regierung mit Regierungschef Jens Stoltenberg an der Spitze hat im Gegensatz zur Regierung im benachbarten Dänemark auf eine liberale Ausländerpolitik und einen Dialog mit muslimischen Zuwanderern gesetzt. Nun muss sie bitter erfahren, wie ihnen ihre Liberalität gedankt wird.« Auf den »Dialog mit muslimischen Zuwanderern« folgte die Warnung vor dem »feigen Terrorpack«. Diesem »mit Großzügigkeit zu begegnen«, hieße, »ein Feuer mit Benzin löschen zu wollen«. Auf die Idee, die norwegische Regierung für die Anschläge verantwortlich zu machen, kamen andere Online-Redaktionen nicht, aber auch dort wartete man nicht auf eine Stellungnahme der norwegischen Behörden. Spiegel Online brachte nach dem Bombenanschlag »al-Qaida oder von dem Terrorwerk inspirierte Täter« ins Spiel, kurz darauf titelte Welt.de »Norwegen ist Zielscheibe für Islamisten« und spekulierte, dass die »Schlüsselfigur ein kurdischer Islamisten-Führer« sein könnte. »Der Terror ist zurück in Europa«, war die Titelschlagzeile der B.Z. vom Samstag. Am späten Freitagabend hatte die norwegische Polizei bekanntgegeben, dass ein islamistischer Hintergrund auszuschließen und bereits ein Norweger, der sich im rechtspopulistischen Milieu bewege, verhaftet worden sei. Für die Printausgabe der B.Z. kam diese Nachricht wohl zu spät.