Die Vereinten Nationen und der Klimawandel

Prognose Absaufen

Der Klimawandel ist inzwischen ein Thema für den UN-Sicherheitsrat, da er die Existenz vieler Menschen akut bedroht. Über seine genauen Konsequenzen streiten sich die Naturwissenschaftler. Eine vom Uno-Klimarat akzeptierte Prognose des Anstiegs des Meeresspiegels wird die zukünftige Politik maßgeblich bestimmen.

Als Klaus Töpfer, der frühere Direktor des UN-Umweltprogramms und Vizepräsident der Welthungerhilfe, kürzlich das Engagement einer UN-Einsatztruppe in der Hunger- und Dürreregion am Horn von Afrika (Jungle World 31/11) forderte, ging es ihm zunächst rein pragmatisch um die Sicherung der Verteilung der Hilfsgüter an die hungernde Bevölkerung. Man kann aber annehmen, dass Töpfer, der das in Potsdam ansässige Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) leitet, die wissenschaftliche Brisanz der Dürrekatastrophe in Ostafrika nicht entgangen ist.
Die schwerste Dürre seit etwa 60 Jahren, die Gebiete in Somalia, Äthiopien und Kenia betrifft, widerspricht faktisch Vorhersagen des Inter­govern­mental Panel on Climate Change (IPCC) der Uno. In den Zukunftsszenarien, die das IPCC über die Folgen der Klimaerwärmung für Ostafrika entworfen hatte, ging es von zunehmenden Regenfällen in der Region aus. Tatsächlich ist im Zeitraum von 1980 bis 2009 aber eine Abnahme der Regenmenge in der Regenzeit, der long rain season von März bis Juni, zu beobachten. Dies kulminierte in der aktuellen Dürrekatastrophe.

Dokumentiert werden die entsprechenden Daten in einer von A. Park Williams und Chris Funk jüngst im Fachblatt Climate Dynamics veröffentlichten und auf Springerlink.com frei zugänglichen Studie. Williams und Funk zeigen in ihrer Arbeit sehr deutlich, dass die langsame Austrocknung Ostafrikas mit der seit Jahren zu beobachtenden und gut dokumentierten stetigen Erwärmung des Indischen Ozeans zusammenhängt. Ihre Kritik an den Vorhersagen des IPCC ist dabei methodisch fundiert. Sie kritisieren vor allem die Simulationsmodelle, die denjenigen Studien zugrunde liegen, die für Ostafrika steigende Regenfälle prognostizieren. In diese Modelle seien auch Daten eingespeist worden, die nicht mit den tatsächlichen Messdaten korrelierten. Das Problem ist nicht nur ein mathematisches, da auf Grundlage dieser Daten die Investitionen der Entwicklungshilfe in die Landwirtschaft und die Planungen, zum Beispiel für die Wasserversorgung der Region, erfolgen. Dass solche Planungen anders ausfallen, wenn man annimmt, dass die Regenfälle zu- statt abnehmen, ist leicht nachvollziehbar. Leichter jedenfalls als die Aus­einandersetzungen innerhalb der Klimaforschung selbst.
Die Klimaforschung erlebt zurzeit, wie jeder Forschungszweig, in den viel Geld investiert wird, einen Aufschwung, den man allein anhand der Publikationsmenge mit den großzügig geförderten Forschungsgebieten Atomphysik und Molekulargenetik vergleichen kann. Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied zu den meist im Geheimen tagenden Atomwissenschaftlern und den schnell in die ebenso geheime Privatwirtschaft abgewanderten Genetikern, etwa des Gentechnikkonzerns Monsanto. Dieser Unterschied hängt auch mit den veränderten Anforderungen der Öffentlichkeit an wissenschaftliche Großprojekte zusammen. Die Klimaforschung ist, auch weil ihre Ergebnisse im globalen Rahmen von der Uno zusammengeführt und durch deren Klimarat zur »Weltgültigkeit« erhoben werden, mittlerweile um eine Transparenz bemüht, die in der Geschichte der Wissenschaften beispiellos ist. Wobei dieses Bemühen mit den katastrophalen Fehlern in früheren Berichten des IPCC zusammenhängt, etwa den dilettantisch falschen Prognosen für die Geschwindigkeit der Gletscherschmelze im Himalaya-Gebiet.

Am Streit um die Schmelzgeschwindigkeit der Himalaya-Gletscher, wie derzeit bei dem um den Regenfall in Ostafrika, wird ein weiteres Grundproblem der Klimaforschung deutlich. Die Zentren der Forschung befinden sich in den führenden Industrieländern, die vom Klimawandel am stärksten betroffenen Regionen liegen dagegen in der Regel in den Armutszonen der Welt. Wenn der Klimawandel so weitergeht, werden manche dieser Gegenden bald gar nicht mehr bewohnbar sein. Sollte als Folge der Erderwärmung der Meeresspiegel bis zum Ende dieses Jahrhunderts tatsächlich um einen Meter ansteigen, würde das für einige Landstriche und ganze Staaten im Südpazifik das Ende bedeuten. Wegen dieser möglichen Konsequenzen sieht sich die Klimaforschung mit Ansprüchen an ihre Prognosen konfrontiert, die weit über die Frage wissenschaft­licher Methodik hinausgehen. Marcus Stephen, der Präsident des kleinen südpazifischen Inselstaats Nauru, verglich Mitte Juli in einem Beitrag in der New York Times die Bedrohung durch den Meeresspiegelanstieg mit derjenigen durch Atombomben und den internationalen Terrorismus. Er forderte die Anerkennung dieser Bedrohung durch die UN und die Ernennung eines Sonderbeauftragten für Klima und Sicherheit. Auch viele andere Vertreter kleiner Inselstaaten fühlen sich durch den steigenden Meeresspiegel wie durch eine Kriegssituation bedroht. Der UN-Sicherheitsrat diskutierte daraufhin in einer von der deutschen Delegation einberufenen Sitzung die Bildung einer UN-Einsatztruppe. Diese »Grünhelme« sollen in extremen Fällen klimatischer Bedrohung die Sicherheit und das Überleben der Bewohner der betroffenen Regionen garantieren.

Völlig falsch liegen die Vertreter der Inselstaaten mit ihrer Einschätzung nicht. Wenn der Lebensbereich der Bevölkerung dieser Staaten im Wasser verschwindet, würde das bisher nie dagewesene Flüchtlingsströme hervorrufen. Der UN-Sicherheitsrat hat die Gründung einer besonderen Umwelteinsatzgruppe aber zunächst abgelehnt und die Beantwortung der Frage, ob sie tatsächlich notwendig werden könnte, den Wissenschaftlern überlassen. Vor allem die Vertreter Chinas plädierten dafür, die Beschäftigung mit dem Anstieg des Meeresspiegels den Experten der Klimaforschung zu überlassen.
Diese müssen nun in den kommenden zwei Jahren einen Bericht erarbeiten, in dem sie eine eindeutige Prognose abgeben, um wie viele Meter der Meeresspiegel bis zum Jahr 2100 ansteigen wird. Einfach ist das nicht, denn die aktuellen wissenschaftlichen Arbeiten schwanken bei ihren Vorhersagen hinsichtlich des Anstiegs des Meeresspiegels zwischen Werten von einem bis über fünf Metern. Die stark voneinander abweichenden Werte zeugen aber eher von Methodenvielfalt und Lebendigkeit der Klimaforschung als von Beliebigkeit. Verfolgen ließ sich dies anhand der Berichte der International Union of Geodesy and Geophysics Conference (IUGG), die von Ende Juni bis Anfang Juli in Melbourne stattfand. Mehr als 4 000 Forscher diskutierten dort über die richtige Prognose. Wobei sich der Streit, wie auf wissenschaftlichen Konferenzen üblich, eher an den Daten und Methoden entzündete als an den bloßen Ergebnissen.
Solche Streitereien sind natürlich nie ganz frei von politischen Implikationen, aber im Kern geht es in der Regel doch um wissenschaftliche Methoden. In Melbourne wurde deutlich, dass auch die Naturwissenschaften ihre Gegenstände in Abhängigkeit von ihren Instrumenten und Theorien verändern. So entbrannte ein erkenntnistheoretisch interessanter Streit über die Frage, inwieweit ein Anstieg des Meerespiegels erst durch die Satellitenmessung, die im Jahr 1993 begann, feststellbar wurde oder ob der Meeresspiegel unabhängig davon anstieg. Entscheiden ließ sich der Streit wie die meisten auf der Konferenz nicht. Aus wissenschaftlicher Sicht kann so ein Streit auch gar nicht entschieden werden, denn beweisen lassen sich die meisten vorhergesagten Klimaveränderungen erst dann, wenn sie eingetreten sind. Das Dilemma dabei ist, dass es dann in vielen Fällen für die Betroffenen, zum Beispiel für die Bevölkerung der Südpazifikinseln, zu spät ist, um etwas dagegen zu tun. Dass etwas getan werden muss, ist dagegen unstrittig. Mittlerweile sind sich alle Forscher darüber einige, dass es eine menschengemachte Erderwärmung gibt. Wissenschaftlich einwandfrei dokumentiert ist sie für den Indischen Ozean. Darüber hinaus lässt sich ein allgemeiner Anstieg des Meeresspiegels feststellen, nur fällt er an verschiedenen Orten höchst unterschiedlich aus. Deswegen müssen für verschiedene Orte verschiedene Prognosen folgen und darauf aufbauend jeweils passende politische Handlungskonzepte.
Das Verfahren des Klimarats bleibt daher problematisch. Die Uno setzte eine Kommission von 18 Wissenschaftlern aus zehn Ländern ein, die aus den verschiedensten Prognosen einen eindeutigen Wert für den Anstieg des Meeresspiegels herausdestillieren und damit festschreiben soll. Dies hat Folgen für die politischen Entscheidungsprozesse, die sich an diesem Wert orientieren. Wegen der Verschiedenheit der Auswirkungen des Klimawandels auf einzelne Regionen ist dieses Verfahren fragwürdig.