Proteste gegen die Militarisierung der Drogenpolitik in Mexiko

Der Krieg ist außer Kontrolle

Der Widerstand gegen die Militarisierungspolitik der mexikanischen Regierung unter Präsident Felipe Calderón im Kampf gegen die Drogenkartelle nimmt stetig zu. Kaum ein Wochenende vergeht ohne Demonstrationen und Aktionen gegen den »Krieg gegen die Drogen« und die allgegenwärtige Gewalt.

»Die Militarisierung bringt uns nicht weiter. Sie sorgt für immer neue Gewalttaten gegen Frauen, Kinder und Jugendliche. Wir brauchen einen Dialog, eine friedliche Lösung und Gerechtigkeit in Mexiko«, sagt Perla de la Rosa. Sie ist eine bekannte Schauspielerin aus Ciudad Juárez und geht immer wieder auf die Straße, für mehr Bildung und Kultur an den Schulen Mexikos, gegen die Gewalt und für die Rechte der Frauen. So auch am vorvergangenen Wochenende, als in Mexiko-Stadt der »Marcha de las Putas«, die mexikanische Version der weltweit stattfindenden »Slutwalks«, durch das Zentrum der Metropole zog. Auf Transparenten wurde gefordert, die zahlreichen Entführungen und Morde aufzuklären, denen Frauen in Ciudad Juárez zum Opfer fallen, protestiert wurde auch gegen den Krieg, den die Regierung Felipe Calderóns gegen die Drogenkartelle führt.
Mehr als 50 000 Soldaten hat der Präsident dafür in den Kampf geschickt. Einigen Erfolgen wie der Festnahme mehrerer Führungspersonen der Kartelle, die den Handel und Transport des Kokains aus Kolumbien organisieren, steht die Eskalation der Gewalt auf allen Ebenen gegenüber. »Für unsere Kinder ist die Gewalt längst etwas Alltägliches«, erklärt der Soziologe Jorge Burciaga, der mit Jugendlichen arbeitet und ebenfalls aus Ciudad Juárez stammt, der derzeit wohl gefährlichsten Stadt der Welt. Allein im vergangenen Jahr wurden in der Stadt, die an der Grenze zu den USA liegt, mehr als 3 100 Menschen ermordet.

Von dieser Eskalation der Gewalt haben immer mehr Mexikanerinnen und Mexikaner genug, und deshalb gehen die Menschen in Mexiko immer öfter auf die Straße. Im Mai waren es mehr als 100 000, die an einem viertägigen Friedensmarsch teilnahmen. Im Juni war es die »Karawane für den Frieden mit Gerechtigkeit und Würde«, die durch das Land zog und auch in Ciudad Juárez mit Beifall empfangen wurde. Initiiert hat sie der mexikanische Journalist Javier Sicilia. Dessen Sohn war Ende März zusammen mit sechs weiteren Personen vermutlich von Drogenhändlern ermordet worden. Sicilia hatte daraufhin einen offenen Brief verfasst, der eine enorme Wirkung in der mexikanischen Bevölkerung hatte, die seitdem unvermindert anhält.
Sicilia und seiner Bewegung, die in mehr als 100 Gruppen organisiert ist, geht es darum, mit einer umfangreichen Strategie »das Land neu aufzubauen«. Die Täter und Auftraggeber der Verbrechen sollen endlich festgenommen, die Militarisierung des Landes soll beendet sowie die omnipräsente Korruption und die verbreitete Straflosigkeit bekämpft werden. Die Bewegung will durchsetzen, dass endlich gezielt gegen das organisierte Verbrechen vorgegangen wird. Genau das leisten die von Calderón eingesetzten Soldaten und Bundespolizisten, die zu Zehntausenden im Einsatz sind, nämlich nicht. »Es wird nicht ermittelt, geforscht und nachgefragt – es wird nur kontrolliert und Präsenz gezeigt«, kritisieren Aktivisten in Ciudad Juárez genauso wie in Chilpancingo, der Hauptstadt des im Süden gelegenen Bundesstaates Guerrero. Die Folgen dieser Politik seien verheerend, denn Mexiko nähere sich in Sachen Straflosigkeit peu à peu Kolumbien an, wo 97 Prozent der Menschenrechtsverbrechen ungeahndet bleiben, sagt Vidulfo Rosales. Der Anwalt des Menschenrechtszentrums Tlachinollan im Bundesstaat Guerrero kritisiert die Militarisierungsstrategie der Regierung, weil sie tief in die Grundrechte eingreift. Das ist eine Einschätzung, die auf der regierungskritischen Plattform »Juárez Dialoga« geteilt wird. Dort engagiert man sich für eine Stadt, in der Kultur- und Bildungsprojekte einen Stellenwert haben. Das ist angesichts der derzeitigen Kämpfe nicht der Fall.

Doch die Gewalt nimmt nicht nur im Norden des Landes, wo die meisten Kartelle operieren, enorm zu, sondern auch im Süden und im Zentrum Mexikos. Gewaltakte im Ferienort Acapulco, aber auch in der Industriemetropole Guadalajara und in Mexiko-Stadt sind keine Ausnahmen mehr, wodurch die »Bewegung für Frieden mit Gerechtigkeit und Würde« weiter an Zulauf gewonnen hat. Sie stand auch mit Abgeordneten im Dialog.
Vor ein paar Tagen wurden die Gespräche abgebrochen, weil die Bewegung kritisiert hatte, dass trotz aller Vermittlungsversuche der repressive Kurs der Regierung beibehalten werde. So wurde von der Parlamentsmehrheit das »Gesetz zur nationalen Sicherheit« verabschiedet, obwohl Analytiker der Autonomen Universität von Mexiko (Unam) und anderen Instituten kritisiert hatten, dass dieses Gesetz einem »Spionagegesetz« gleiche. Das Gesetz habe, so die Experten, einen antidemokratischen Charakter, da es zentrale Kontrollinstanzen ausklammere. Die bisherige Strategie, die dem Militär zahlreiche Funktionen überträgt, die in den Aufgabenbereich der Polizei fallen, wird beibehalten. Dies widerspreche den Verfassungsgrundsätzen, überdies werde die Privatsphäre der Mexikaner weiter eingeschränkt, kritisieren Javier Sicilia und viele andere Intellektuelle in Mexiko. Zu ihnen gehört auch der Rektor der Unam, José Narro Robles. Er hatte bereits Anfang August gemeinsam mit anderen Persönlichkeiten eine Reihe von Vorschlägen gemacht, um »die Sicherheitsstrategie Mexikos zu korrigieren«.
Anfangs blieben diese Vorschläge unbeachtet, doch schließlich erklärte sich auch Präsident Felipe Calderón dazu bereit, über diese Vorschläge zu reden. Es sei von großer Nützlichkeit, über Strategien zu sprechen, wie sich die ökonomischen Strukturen des organisierten Verbrechens schwächen und das soziale Netz und der Respekt für die Menschenrechte stärken ließen, hieß es vergangene Woche aus dem Präsidentenpalast. Da hatte die »Bewegung für den Frieden mit Gerechtigkeit und Würde« bereits zu Protesten im ganzen Land gegen die Verschärfung der Militarisierungsstrategie aufgerufen. Perla de la Rosa und ihre Freundinnen und Freunde aus Ciudad Juárez werden sicherlich dabei sein.