Steve Jobs und die Ich-Maschine

Die Ich-Maschine mit dem Apfel

Steve Jobs, der bisherige Geschäftsführer von Apple, hat in der vorigen Woche aus gesundheitlichen Gründen seinen Posten gewechselt und ist nun Aufsichtsratsvorsitzender des Konzerns. Um den Kurs der Apple-Aktie muss man sich keine Sorgen machen.

Steve ohne Job. Der Kalauer liegt auf der Hand und wurde in den vergangenen Tagen immer wieder für die Nachricht bemüht, dass der Chef von Apple »zurückgetreten« sei. Das stimmt nicht ganz, denn Jobs agiert nun als Vorsitzender des Aufsichtsrates der Firma. Macht- und Besitzverhältnisse werden sich kaum ändern. Jobs ist lediglich nicht mehr, wenn man so will, Intendant und Chefdramaturg von Apple Inc., Kalifornien.
Dennoch, die Nachricht, dass Steve Jobs aufhört, in seiner bisherigen Funktion in Erscheinung zu treten, hat dazu geführt, dass die Apple-Aktie, die sich von den derzeitigen Turbulenzen der Finanzmärkte beinahe vollkommen unberührt zeigt, nach Bekanntgabe der Personalie am Abend des 24. August bis zu fünf Prozent nachgab. Nun ist Tim Cook, der bisherige COO (Chief Operating Officer), der neue Präsident, der CEO (Chief Executive Officer), wie es in der Verwaltungssprache des Kapitals militärisch heißt, und allenthalben scheint klar, dass sich die »langfristigen Fundamentaldaten« durch den Personalwechsel nicht ändern werden, ergo keine »Gewinnrisiken« bestehen. Das Unternehmen bleibt insgesamt mehr als stabil.
Während Standard & Poor’s gerade die USA von AAA auf AA+ herabgestuft hat, bestätigen alle Rating-Agenturen die Kaufempfehlungen für die Apple-Aktie, mit Kurszielen um 500 US-Dollar. Derzeit liegt die Aktie bei 383 US-Dollar. Da werden also, entgegen dem allgemeinen Trend, weitere Zugewinne erwartet. Ohnehin hat die Aktie seit den hohen Kursverlusten 2009 über 400 Prozent zugelegt. Noch Ende der neunziger Jahre lag der Preis für eine Aktie von Apple zwischen fünf und zehn US-Dollar, das Unternehmen galt damals als fast pleite und die Konkurrenz von Dell polemisierte, Apple solle »den Laden am besten dicht machen«. Steve Jobs, der nach internen Streitereien 1985 Apple verlassen hatte, wurde 1996 zurückgeholt und fungierte seit 1997 als Geschäftsführer – bis zum Januar 2001 mit dem Zusatz »vorrübergehend«. Was danach kommt, wird auch in der Sprache der Ökonomie nur wie ein Märchen beschrieben: Da ist von der »Erfolgsstory« die Rede, vom »Kultkonzern Apple«. Cook sei »Thronfolger« von Jobs, dem »Weltveränderer« und »Revolutionär«, dem »Rockstar«, »Visionär« und »Maß aller Dinge«. Jobs hat »Fans« und gilt nicht nur diesen als »Guru«.
Wahrscheinlich ist Steve Jobs der letzte lebende Mensch, der den all-american dream des Aufstiegs vom Tellerwäscher zum Millionär leibhaftig werden ließ – einschließlich der tragisch-grausamen Erkrankungen, die Jobs Gesundheit ebenso wie seinen Machtstatus belasten. Ein – zumindest symbolisch – drastischer Traum, der mit einer Bezahlung weit jenseits vom Tellerwäscher-Niveau beginnt und freilich nicht beim läppischen Millionär endet: Das Jahresgehalt von Steve Jobs beträgt einen Dollar! Das Guinness-Buch der Rekorde führt ihn deshalb als den am miesesten bezahlten Geschäftsführer der Welt. Allerdings hält Jobs knapp fünfeinhalb Millionen Apple-Aktien. Man kann sich ausrechnen, welches Vermögen das beim derzeitigen Kurs ist. Mit 8,3 Milliarden Dollar wird Jobs immerhin auf Platz 110 der vom Magazin Forbes erstellten Liste der reichsten Menschen der Welt geführt.
Vor knapp drei Wochen notierte Apple Inc. mit 337,2 Milliarden US-Dollar Aktienkapital sogar als das teuerste Unternehmen der Welt, und das heißt, um die Zahlenwerte etwas greifbarer zu machen, dass die kalifornische Computerfirma bei derzeitiger Finanzmarktsituation so viel wert ist wie die 32 im Euro Stoxx Banks Index aufgeführten Banken zusammen, wie das irische Finanzportal Business World kürzlich errechnete; anders gesagt, kostet die Firma Apple beinahe 24mal so viel wie die Commerzbank, gemessen am gegenwärtigen Aktienkapital.

Im ersten Quartal dieses Jahres erzielte Apple mit seinen Produkten eine Bruttogewinnspanne von 38,5 Prozent; die Verkaufszahlen der Elektronikgeräte sind immens, im zweiten Quartal verkaufte Apple 3,76 Millionen I-Macs und Macbooks, 4,69 Millionen I-Pads, über 18,65 Millionen I-Phones und 9 Millionen I-Pods. Für die I-Phones markiert die Zahl übrigens ein Wachstum zum ersten Quartal des Vorjahres von 113 Prozent. Eine Revolu­tion, die vollständig in den Bilanzen aufgeht; Bilanzen, die letztlich anzeigen, dass die Revolution, die mit Apple und dem Firmenmitbegründer Steve Jobs verbunden sein soll, keine von Weltveränderung ist, sondern von Weltinterpretation. Tatsächlich wäre dahingehend die berühmte elfte Feuerbachthese von Marx zu paraphrasieren: Bisher haben die Computer die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.
Das Wort Computer bezeichnete früher nicht nur die Rechenmaschinen, sondern auch den Beruf derjenigen, die mit diesen Maschinen arbeiteten, die sie mit Informationen fütterten und programmierten. Und das hieß zu Zeiten, als die Trennung zwischen Hardware und Software noch nicht so geläufig war, die Rechenmaschine selbst zusammenzubasteln, den kybernetischen Apparat zu verlöten. Das passierte 1976 in Kalifornien in einer Garage: Steve Jobs, Steve Wozniak und Ronald Wayne bauten den ersten Apple zusammen. Technisch bestand die Idee darin, Taschenrechner mit den damals noch ganze Büroetagen füllenden Großrechnern zu verschmelzen.
Erweitert wurde überdies die bisherige Matrix der Kalkulation, wurden die Zahlen durch Schrift und Bild, durch Typographie im wörtlichen Sinne ergänzt. Anders gesagt: Das Computing, also das Rechnen, wurde bedienbar und sichtbar gemacht, jedoch nicht als Rechnen selbst, nicht als abstrakte Aneinanderreihung von Zahlen. Die Lösung kam mit der sogenannten graphischen Benutzeroberfläche, nämlich mit einem Betriebssystem, das die wesentliche Verbindung zwischen Mensch und Maschine auf die Erscheinung, den Bildschirm konzentrierte. »Fenster«, »Schreibtisch«, »Finder«, schließlich der »Cursor« sind zwar keine Erfindungen von Apple, wurden aber mit den Entwicklungen von Apple und Apple-Macintosh-Computern standardisiert.
Revolutioniert wurde damit das Prinzip des Fernsehens, aber nicht im Sinne der Veränderung, sondern eben im Sinne der Interpretation des televisionären (virtuellen) Raums: Tastatur und Maus sind nur noch Peripherie, werden funk­tional-konsequent schließlich durch den Touchscreen synästhetisch abgelöst.
Dass das nicht nur eine Frage der Programmierung ist, sondern dass diese technologische Rationalität ein Design verlangt, indes vor allem ein Design, das die Gestaltung der Software mit der Gestaltung der Hardware verkoppelt und vice versa, ist die Erkenntnis, die als eigentliches Erfolgsrezept von Apple gelten kann und mit dem Namen Steve Jobs verbunden ist.

Schon der metaphorisch aufgeladene Firmenname (Apfel als Frucht vom Baum der Erkenntnis etc.) markiert, dass Apple es von Anfang an vermochte, seine Produkte zu anthropomorphisieren und – das ist der entscheidende Schritt in der Werbestrategie des Unternehmens – eben diesen Anthropomorphismus der Geräte als Humanisierung der Wirklichkeit vorzuführen. Es kommt wohl nicht von ungefähr, dass es bei den meisten Rechtsstreitigkeiten, in die Apple involviert ist, um Patente auf Produktgestaltung oder Funktionsdesign geht. So wurde gerade vor Gericht verhandelt, ob Samsung mit seinen Telefonen und Tablet-Computern ähnliche Produkte von Apple kopiert habe. Hier geht es schließlich um eine Art vitalistische Identifikation mit der Ware, also um den Fetisch schlechthin.
Die Computer der früher marktbeherrschenden Konkurrenz IBM wurden in den achtziger Jahren mit dem Slogan »Think!« beworben. Apple setzte dem in der Reklame hinzu: »Think different!« IBM ist beim Denken geblieben, nennt sein erfolgreiches Notebook etwa Thinkpad. Apple geht darüber hinaus, adressiert das Ich – als vermenschlichte Wunschmaschine: I-Book, I-Mac, I-Pod, I-Pad, ­I-Phone, I-Tunes, I-Work, I-Life und I-Movie. Der Durchbruch in den achtziger Jahren kam mit dem Macintosh: »On January 24th Apple Computer will introduce Macintosh. And you’ll see why 1984 won’t be like ›1984‹.« Im damaligen Werbespot zerschlägt eine dynamische Sportlerin den grauen Big-Brother-Überwachungsstaat. Auf Plakaten wurde der Macintosh von Apple neben Marx, Engels, Lenin gestellt. Bereits hier wurde die Weltveränderung im veränderten Interpretieren aufgehoben: Was man früher als WYSIWYG bezeichnete – »What You See Is What You Get« – , galt nur in der Umklammerung der Formel: What you do is what you see because what you see is what you do. Praxis gibt es in der Computerwelt nur als ästhetische Option der Visualität.
Was das für die Apple-Produkte selbst bedeutet, hatte Steve Jobs in seiner charismatischen Führungsfunktion als Chef und Entertainer bei den zahlreichen Produktpräsentationen, den sogenannten Mac-World-Keynotes, vorgeführt: Er agierte nie anders als der Zauberer von Oz, der eine Illusionsmaschine bediente, die überhaupt keine Illusionen produzierte. Präsentiert wurden stets Fakten und Funktionen: 2007, schwarze Bühne, Apple-Logo, Steve Jobs in dunkler Jeans und Rollkragenpullover. Der erste Applaus kommt nach seinem ersten Satz: »Auf diesen Tag habe ich zweieinhalb Jahre gewartet!« Dann sagt Jobs, dass es immer wieder ein revolutionäres Produkte gebe, »that changes everything«. Gemeint ist mit »everything« allerdings »the whole computer industry« (Apple-Macintosh) oder »the entire music industry« (I-Pod), und nicht etwa das Leben jenseits der von Apple-Produkten okkupierten Welt. Jobs kündigt drei Neuerungen an: »Wide-Screen I-Pod«, Mobiltelefon und »a breakthrough Internet Communications Device«. Das Publikum tobt vor Begeisterung, als Jobs verrät, dass es sich dabei um ein Gerät handelt – das I-Phone. Was das ­I-Phone wirklich kann, ist bis heute fraglich, wenn auch angesichts der Umsatzzahlen gleichgültig.

Der Zauberer ist nun von der Bühne weg, aber die Zauberei wird weitergehen (auch wenn manche meinen, dass dem neuen Chef Timothy D. Cook die Ausstrahlung seines Vorgängers fehle). Was demnächst kommt und den Aufwärtstrend der Apple-Aktie bestätigen wird, ist die Fortsetzung der Entwicklung eines mit derzeit über 450 000 verfügbaren Apps zur universellen Phantasmagorie erweiterbaren Taschenrechners, die sich in der kommenden Zeit aller Voraussicht nach auf das digitale Fernsehen konzentrieren dürfte. Am Ende wird es dann die Perfektionierung eines Gerätes sein, das dem Prinzip nach bereits 1976 in der Garage in Kalifornien ausbaldowert wurde: eine Ich-Maschine.