Gregor Podnar im Gespräch über die slowenische Kunst- und Kulturszene

»Slowenien hat sich reprovinzialisiert«

Zwischen 1996 and 2003 war Gregor Podnar Kurator der renommierten Škuc Gallery in Ljubljana. 2003 eröffnete er im Rahmen der Künstler-Assoziation DUM in Kranj seine eigene Galerie, die später nach Ljubl­jana umzog. Fünf Jahre später eröffnete er seine zweite Galerie in Berlin, wo er heute hauptsächlich lebt. Podnar vertritt viele internationale Künstler, die meisten aus Osteuropa, darunter auch das slowenische Künstlerkollektiv Irwin, welches neben der Band Laibach die wichtigste Gruppe der Neuen Slowenischen Kunst (NSK) war.
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Sie betreiben eine Galerie in Ljubljana und eine in Berlin. Aber Sie leben die meiste Zeit in Berlin. Gefällt Ihnen Ljubljana nicht?
Als Kleinstadt ist es recht pittoresk, aber was den Kunsthandel angeht, ziemlich bedeutungslos. Dies ist eine kleine Galerie, wir müssen uns auf einen Standort konzentrieren, und da ist Berlin einfach die größere Stadt, wo wir ein entscheidend größeres Publikum haben.
Wie würden Sie jemandem, der die Stadt nicht kennt, Ljubljana beschreiben?
Eine touristische Kleinstadt, die visuell sehr ansprechend ist. Viele junge Menschen. Die Stadt wirkt sehr attraktiv. Spätestens nach ein bis zwei Wochen spürt man aber das Kleinstädtische.
Trotzdem spielt sich alles in Ljubljana ab, oder gibt es außerhalb der Hauptstadt noch eine relevante Kunst- oder Kulturszene in Slowenien?
Ljubljana ist das Zentrum des Kunstbetriebs. Es gibt aber auch kleinere Städte, wo kleine Kunst­räume gute Arbeit machen. Aber auch Ljubljana selbst ist eine kleine Stadt mit nur knapp über 250 000 Einwohnern. Wenn man sie etwa mit Lettlands Hauptstadt Riga vergleicht, sieht man, wie klein sie ist. Lettland hat ähnlich wenige Einwohner wie Slowenien, knapp über zwei Millionen, aber in Riga leben mehr als 700 000 Menschen.
Maribor ist im kommenden Jahr die Kulturhauptstadt Europas. Existiert in Maribor überhaupt eine relevante Kunst- und Kulturszene?
Für die Größe der Stadt – sie hat rund 117 000 Einwohner – auf jeden Fall. International gesehen ist sie noch weniger bedeutend. Sie hat aber Selbstbewusstsein, dadurch, dass sie die Hauptstadt der slowenischen Steiermark ist, und so ­de­finieren sich die Menschen dort auch. Es wird gerade ein Museum für zeitgenössische Kunst errichtet. Das zeigt, wie hoch die Ambitionen sind. Die Größe der Stadt ist das eine, das andere ist das Einzugsgebiet. Slowenien hat nicht viele große Städte, deswegen verteilt sich vieles auf das Land. Man muss auch den Zusammenhang zwischen Maribor und Graz berücksichtigen. Graz ist sozusagen die Hauptstadt der Reststeiermark. Diese historische Verbindung könnte als Grundlage für eine Zusammenarbeit ausgebaut werden.
Wie kommt es eigentlich, dass ein so kleines Land wie Slowenien mit nicht einmal zwei Mil­lionen Einwohnern so viele Avantgardekünstler und Philosophen hervorbringt?
Es sind nicht wirklich viele, keine große Menge. Aber die, die es aus der Masse herausgeschafft haben, sind Fremdkörper im eigenen Land. Das heißt, sie müssen sich international umso mehr behaupten. Vor Ort ist es ein sehr traditioneller Standort, es gibt kaum ein lokales Publikum, mit dem sie sich auseinandersetzen können. Das natürliche Terrain slowenischer Künstler und Intellektueller ist die internationale Szene.
Würden Sie das Land bzw. die Mainstreamkultur insgesamt eher als provinziell bezeichnen?
Als ich nach Slowenien Anfang der Neunziger zurückkam, war es für mich zunächst ein echtes Hochgefühl. Es war wirklich eine sehr offene Gesellschaft, so habe ich es empfunden. Dann hat sich das aber wieder reprovinzialisiert.
Sie meinen, die Gesellschaft hat sich in den neunziger Jahren zurückentwickelt?
Für mich geht das einher mit der Politisierung der Gesellschaft. Eine Sache war – gleich nach der Unabhängigkeit Sloweniens – der fragwürdige mediale und parteipolitische Umgang mit dem historischen Streit um die Rolle der Partisanen und der Domobranzen, der »Heimwehr«, die als Kollaborateure mit den deutschen Besatzern zusammengearbeitet haben. Das war eine unbewältigte Geschichte, genauso wie die fehlende Rechtsverfolgung der Täter, die während der blutigen Anfangsphase des Aufbaus des Kommunismus nach dem Zweiten Weltkrieg unmenschlich gewütet haben. In dieser Tradition sehe ich auch die jüngsten, parteienübergreifenden Korrup­tionsfälle in der slowenischen Politik, die für die Überführten geringe oder gar keine rechtlichen Folgen nach sich ziehen.
Seit wann setzte diese Entwicklung ein?
Aus meiner Sicht um 1996, als es zur großen Koalition kam, die für mich unverständlich war. Da fragte man sich, was die Inhalte der verschiedenen Parteien sind. Das konnte man aus sachpoli­tischer Sicht nicht mehr nachvollziehen. Das war der Punkt, an dem das Land eine neue Richtung eingeschlagen hat. Nach außen wurde der Gegensatz zwischen »Rechten« und »Linken« immer stärker medialisiert, als ob es um ideologische Kernfragen gehen würde, dabei war das Hauptproblem immer mehr die unangemessene Einmischung der Politik in die Wirtschaft, weil dies die Anfälligkeit des Staates gegenüber Korruption, Miss- und Vetternwirtschaft begünstigte.
Kann man sagen, dass Slowenien in den ersten Jahren der Unabhängigkeit eine Ausnahmeerscheinung war? Man hatte fast den Eindruck, es gibt dort überhaupt keine politischen oder gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, kein Links und Rechts, kein Arm und Reich.
Zumindest das Gefühl war so. Natürlich ist eine Gesellschaft nach dem Zerfall eines Systems immer etwas offener, da müssen die Grenzen erst ausgelotet werden. Die Stimmung war auf jeden Fall sehr positiv und hat sehr viel Energie freigesetzt. Die Polizei, um ein wichtiges Beispiel zu nennen, hat dann aber mehr und mehr Befugnisse bekommen und im europäischen Vergleich ist es eine sehr kontrollierte und bürokratisierte Gesellschaft geworden.
Und da wurde es auch provinzieller?
Die Leute waren sich anfangs bewusst, dass sie in einem kleinen Land leben, und haben das auch reflektiert. Aber Provinzialismus fängt dann an, wenn man nicht mehr reflektiert, wo man ist. Selbst einem New Yorker, der zu sehr von seiner Stadt vereinnahmt ist, kann man provinzielles Gehabe unterstellen. Das können sich vielleicht Großstädter eher leisten, aber in kleinen Ländern prägt so etwas schnell die ganze Gesellschaft.
Hat der EU-Beitritt zu einer Öffnung geführt?
Nein, im Gegenteil. Diese Offenheit rührte teilweise noch von der relativen Freiheit her, die der Zerfall Jugoslawiens mit sich brachte, weil es plötzlich Freiräume gab, die Teile der Gesellschaft ausgenutzt haben. Es war eine relativ liberale Gesellschaft. Dieser positive Schwung wurde mit in die Staatsgründung der Republik genommen. Und dann war der Beitritt zur EU eigentlich eine Ernüchterung. Auch für die Akteure der zeitgenössischen Kunst. Die Manfiesta, eine nomadische Biennale für zeitgenössischen Kunst, die 2 000 in Ljubljana stattfand, ist für mich ein Parameter gewesen. Wir haben erfahren müssen, dass dieses Ereignis von der traditionalistischen Lobby vereinnahmt wurde. Wir international tätigen Kulturschaffenden konnten diese Großveranstaltung nicht zur Verbesserung der Infrastruktur nutzen. Da wussten wir, dass es schwer werden würde in der Zukunft, so kam diese Einsicht bereits einige Jahre vor dem EU-Beitritt.
Es soll zurzeit eine »Jugo-Nostalgie« geben. Ist das eine gesellschaftliche Reaktion auf den neuen Partikularismus?
Ich würde sagen, dass dies nicht nur eine Reaktion ist. Es gab ja tatsächlich positive Momente im Zeitalter des Spätsozialismus. Die Stimmung war nicht nationalistisch, ganz im Gegenteil, sehr verständigend. Sehr viele junge Leute habe die Zeit damals als positiv erlebt. Das war die Zeit nach dem Tod Titos, in der zweiten Hälfte der Achtziger. Sie hat sehr viele positive Energien freigesetzt. Dazu gehörte auch die Demokratisierungsbewegung. Und es gab ein politisches Machtvakuum, in dem freies Denken möglich war, manchmal mehr als in unseren regulierten Gesellschaften heute.
Spielt diese Jugo-Nostalgie auch in der Kunst eine Rolle?
Es gibt in dem Bereich der quasi-alternativen Kultur, was auch immer das dann im Einzelnen heißen mag, eine enge Vernetzung und ein Branding für Jugo-Nostalgie, denn wenn es mit den künstlerischen Inhalten nicht gut bestellt ist, dann müssen Versatzstücke aus Politik und Geschichte herhalten.
Also vor allem eine »jugoslawienweite« Vernetzung?
Ja, weil man natürlich die Szenen noch von früher kennt. Ich vertrete etwa zwei kroatische Künstler, weil Zagreb aus meiner Sicht auch eines der wichtigsten Zentren für konzeptuelle Kunstpraktiken in Europa und weltweit ist.
Sie haben einmal kritisiert, dass es keine »fundierte Kulturpolitik der öffentlichen Hand« in Slowenien gebe. Dies begünstige Vetternwirtschaft. Gibt es solche Vetternwirtschaft nur im Kulturbetrieb?
Das ist mittlerweile ein gesamtgesellschaftliches Problem. Bei kleinen Gesellschaften ist das immer problematischer als bei größeren. In den letzten 20 bis 25 Jahren ist es immer sehr schwer gewesen, in der Wirtschaft Aufträge zu bekommen, wenn man nicht ganz bestimmte Muster befolgte. Da kann man schon von Korruption sprechen. Bei der Kulturpolitik geht es weniger um Korruption als um kleinkarierte, lokale Interessen und deren Begünstigung, statt dass weiter nach vorn und über regionale Belange hinaus gedacht wird. Dafür bedürfte es nicht einmal vieler Mittel, nur etwas mehr Weitsicht. Was bisher auch gefehlt hat, waren private Initiativen, Galerien, Stifter, Mäzene, Sammler, die die Kulturpolitik unter Erfolgs- und Kompetenzzwang setzen.
Sie sprechen von Lokalinteressen, widerspricht das nicht der Tatsache, dass sich der größte Teil des Kulturbetriebs in Ljubljana abspielt?
Vieles spielt sich in Ljubljana ab, aber auf der anderen Seite entstanden in den letzten Jahren immer neue Gemeinden. Mittlerweile gibt es etwa 250 Gemeinden, das ist irrwitzig. Statt einer Zentralisierung findet das Gegenteil statt, eine starke Regionalisierung. Momentan will jedes Dorf zu einer Kreisgemeinde werden, und zwar, um an staatliche Gelder zu gelangen.
Welche Rolle spielen bei der Interessenpolitik die Machtstrukturen aus sozialistischer Zeit?
Sie spielen in Slowenien eine weitaus weniger große Rolle als in vielen anderen postsozialistischen Staaten. Es ist eher so, dass rechte wie linke Parteien sehr ähnliche Modelle der kurzfristigen Bereicherung entwickeln. Vor vier Jahren hat man sich noch lustig gemacht über die Weltwirtschaftskrise – die Quittung kommt jetzt.
Die Krise macht sich bemerkbar?
Ja, ganz gewaltig. Dies ist ein kleiner Staat, der im Moment eine sehr schwere Zeit durchlebt. Es fehlt überall an Geld. Und es gab sehr unschöne Geschichten im Zuge von Privatisierungen, als Firmen zu Grunde gerichtet wurden, damit Provi­sionen eingestrichen werden konnten, während gleichzeitig die Wirtschaft des Landes brach liegt. Es existiert auch ein gewisses Maß an Wirtschaftskriminalität.
Wie wird Ihrer Ansicht nach Slowenien in 20 Jahren aussehen?
Kurzfristig habe ich zwar ein sehr düsteres Bild gezeichnet, aber mittelfristig beruhigt es mich, dass es in der Gesellschaft Sloweniens herausragende Persönlichkeiten gibt und gleichzeitig auch sehr viele Menschen, die mit ihrem eigenen Kopf denken. Ich glaube daher, dass sich das Land zum Besseren entwickeln wird, zu einer offeneren Gesellschaft, zu einer Gesellschaft, die weniger von Parteigezänk und hohlen politischen Phrasen geprägt ist. Ich hoffe, dass junge Menschen ins Spiel kommen, sowohl auf der politischen Ebene, aber noch mehr in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Auch wenn das im Moment nicht so gut aussieht. Sehr viele junge Leute, vor allem Aka­demiker und Studenten, sind in den vergangenen fünf bis zehn Jahren ausgewandert. Viele sehen keine Perspektive in Slowenien. Ich hoffe auch, dass es zu einer stärkeren Einwanderung kommt. In einer dörflich geprägten Situation ist es immer gut, wenn »Störenfriede« hineinkommen und Transparenz schaffen. Ja, für so ein kleines Land wäre es das Beste, wenn es zu einer größeren Öffnung und zu einer Art »Überfremdung« käme.