Der Mojo-Effekt

Berlin Beatet Bestes. Folge 118. Gábor Szabó: Light My Fire (1968).

Anfang der neunziger Jahre war der Mojo Club an der Reeperbahn die beste Disco Hamburgs, wenn nicht sogar ganz Deutschlands. Anders als in den stroboskopdurchzuckten Technoclubs war die Tanzfläche dort hell erleuchtet. Genau genommen bestand der ganze Mojo Club fast ausschließlich aus Tanzfläche. Sitzgelegenheiten gab es zwar an den Bars links und rechts des Eingangs, aber dort hielt man sich eigentlich nur zum Verschnaufen auf. Im Mojo Club stand Tanzen im Mittelpunkt, und die Tänzer wollten gesehen werden. Das hatte auch mit der Musik selbst zu tun. Der vom Mojo propagierte Dancefloor Jazz, ein Hybrid aus Soul, Funk und Latin der späten sechziger und frühen siebziger Jahre, kann durchaus als Jazz gelten. Sechsminütige improvisierte Jazzversionen von »Light My Fire« luden regelrecht zum expressiven Tanzen ein. Eine modmäßige Smartheit haftete dem Club dennoch an, denn die Betreiber des Mojo Clubs hatten ihre Wurzeln in der Modszene und den Soul-Allnightern der achtziger Jahre. Das Publikum bestand allerdings hauptsächlich aus jungen Leuten, die einfach nur tanzen wollten. Frauen dominierten die Tanzfläche. Ich habe in den ersten Jahren regelmäßig im Mojo Club getanzt, immer war die Tanzfläche bis frühmorgens gefüllt. Zwar sah man in Hamburg keine wilden, akrobatischen Figuren wie die der Northern-Soul-Tänzer, aber es war doch bedeutsam, wie hier jeder Einzelne, mit all seinen Stärken und Schwächen, sichtbar wurde. Anders als in der Anonymität der Disco nahmen sich die Tanzenden hier gegenseitig wahr. Folglich standen um die Tanzfläche immer Zuschauer herum. Wenn meine Freunde und ich selbst nicht tanzten, beobachteten wir interessante Tänzer und analysierten ihre Bewegungen. Oder wir beömmelten uns über diejenigen, die sich besonders intensiv in selbstverliebten Ausdrucks­tänzen verloren. Tanzte eine Frau besonders gut, bewegte ich mich in ihre Nähe und versuchte einige meiner Moves. Mit erhobenem Kinn, Schultern gerade, Arme locker und sehr weich in den Knien, aber ohne sie direkt anzusehen. Eine Art Flirt ohne Anbaggern – ein unverbindliches, aber dennoch einander anerkennendes Spiel.
Eine Platte mit »Mojo Club Musik« befindet sich übrigens seit meiner Kindheit im Besitz meiner Familie. Meine Mutter kaufte die von Bob Thiele produzierte LP »Intercontinental Jazz« des ungarischen Jazzgitarristen Gábor Sza­bó wahrscheinlich als Party-Platte. Auf der LP befinden sich drogenbeeinflusste, instrumentale Jazzversionen von Bob Dylans »Rainy Day Women« (mit der berühmten Aufforderung: »Everybody must get stoned!«), Paul Simons »Fakin’ It«, »Eight Miles High« von den Byrds und »Light My Fire« von den Doors. Gábor Szabós »Sophisticted Wheels« ist auf Volume 8 der Mojo-Club-Samplerreihe »Dancefloor Jazz«.
Der Mojo Club wurde 2003 geschlossen, das Gebäude, in dem er sich befand, abgerissen. Ein neuer Mojo Club wird im September 2012 an derselben Stelle in einem Büro-Doppelturm eröffnet.