Willkürliche Sabotage ist nicht politisch

Lächerliche Willkür

Die Bahnsaboteure in Berlin treffen vor allem unbeteiligte Bürger. Da war sogar die RAF noch politischer!

Wenn ausgerechnet der Berliner Verfassungsschutz zur Ehrenrettung der radikalen Linken eilt, dann muss etwas ordentlich schiefgelau­fen sein. Beschwichtigend erklärt die Leiterin der Behörde, Claudia Schmid, dass die Brandanschläge auf die Bahn von einer isolierten Ein­zelgruppe ohne Rückhalt in der Szene verübt worden seien. Das Ganze sei ein »Eigentor« gewesen, »weil damit die ganz normale Bevölkerung getroffen wird«.
Es gehört zum Job der Verfassungsschützerin, militante Politik zu diskreditieren und lächerlich zu machen, klar. Doch bei den Anschlägen des »Hekla-Empfangskomitees« erledigen das die Militanten selbst. Völlig richtig resümiert Frau Schmid, dass sich so etwas nicht vermitteln lasse und diese Aktion daher allen Grundsätzen linker Militanz widerspreche.

Es ging um Sabotage. Berlin sollte lahmgelegt, die Normalität und das reibungslose Funktionieren der Stadt sollten unterbrochen werden. Der Krieg, den die Metropolen mit unterschiedlicher Intensität in der globalen Peripherie führen, sollte zumindest symbolisch in sie zurücktragen werden. Irgendwie so.
Praktisch, inhaltlich und rhetorisch tritt das »Hekla«-Komitee in die Fußstapfen des unaussprechlichen »Grollen des Eyjafjallajökull«. Der Eyjafjallajökull ist der isländische Vulkan, der 2010 mit seiner Eruption den Flugverkehr über Nordeuropa lahmgelegt hat. Inspiriert davon zündete diese Gruppe im Mai eine Kabelbrücke der Deutschen Bahn in Berlin an. Drei Stellwerke, 800 Fahrscheinautomaten und die Onlinebuchung der Bahn fielen dadurch aus. Mindestens 500 000 Menschen saßen fest oder mussten laufen. 500 000 willkürlich Betroffene.
Die Gruppe flehte geradezu um Verständnis: »Wir zweifeln nicht daran, dass es richtig war, für eine kurze Zeit den Alltag vieler zu zerreißen, so dass sie mal kurz überhaupt nichts machen konnten, außer wieder nach Hause zu gehen oder nach anderen Wegen zu suchen, um von A nach B zu kommen. (…) Wir nehmen aber die Hunderttausenden ernst, die mit fragendem Gesicht und irritiert an den funktionslosen Bahnsteigen standen. Haben wir an diejenigen gedacht, die vielleicht eine Abmahnung von ihrem Chef bekommen werden, weil sie zum dritten Mal zu spät kommen? Haben wir daran gedacht, dass jemand vielleicht die Beerdigung ihrer besten Freundin verpasst? Haben wir daran gedacht, dass Menschen ihre Urlaubsflieger verpassen? Ja, haben wir. (…) Wir nehmen den Ärger der von unserer Aktion betroffenen Menschen ernst – wir haben ihn auch bewusst in Kauf genommen.« (»Das Grollen des Eyjafjallajökull: Kabelbrand.Kurz.Schluss: Ein Nachtrag«, 23. August 2011.)

Wenn Linke in Deutschland etwas abbrennen oder es ordentlich krachen lassen, dann wird gewohnheitsmäßig die »Grande Dame« der linken Militanz, die Rote Armee Fraktion, bemüht. »Wir erleben eine Renaissance der Roten Armee Fraktion«, diktiert Rainer Wendt, der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, routiniert der Bild-Zeitung. Hingegen nimmt Christfried Tschepe vom Fahrgastverband IGEB überraschend die RAF in Schutz. Denn der »RAF-Terrorismus zielte auf die oberen Zehntausend. Diese Art von Terrorismus zielt auf das Volk«, empört er sich. Er liegt damit weder völlig falsch noch völlig richtig. Denn in schlechter Stadtguerilla-Tradition will auch das »Hekla-Kommitee« dem »Volk dienen« und an eine vermeintlich existierende radikaldemokratische Empörung gegen die »Herrschenden« anknüpfen. So betont die Gruppe, dass die Bundeswehr den Krieg in Afghanistan »ohne Zustimmung der Bevölkerung« führe. Mit Zustimmung wäre es offenbar okay.
Den Vorwurf des Terrorismus weist die Gruppe von sich und begibt sich selbst auf Terroristenjagd: »Vielleicht wird die Sabotage der Hauptstadt als das Werk von Idioten oder von Terroristen gebrandmarkt – oder als das von terroristischen Idioten. Wir sagen: Lächerlich! Die Terrorist_innen sitzen in den Regierungen, den Aufsichtsräten und Chefetagen, zerstören die Lebensgrundlagen auf dem Planeten und schenken den Banken Milliarden, während sie die Ärmsten verhungern lassen.« Man kann und muss der bewaffneten und über Leichen gehenden Linken der siebziger Jahre vieles vorwerfen. Aber bei allem Wahnsinn haben sie zumindest noch den Anspruch gehabt, nur die Täter zu Opfern zu machen. Regierungsangehörige, Aufsichtsräte und Generäle trifft man nicht in der S-Bahn.