Ungewollter Wunschkandidat

Obwohl ihn niemand wollte, beteuerten am Ende alle, es sei eine »glückliche Entscheidung«, sie seien »sehr zufrieden«. Der Mann garantiere »Kompetenz und Unabhängigkeit«, er könne »Marktvertrauen« schaffen und die »Glaubwürdigkeit« seines Landes in Europa verteidigen. Als Ignazio Visco am Donnerstag vergangener Woche zum neuen italienischen Notenbankgouveneur bestimmt wurde, war die Erleichterung groß, endlich einen Nachfolger für den zum Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) aufgestiegenen Mario Draghi gefunden zu haben. Kurzfristig wurde er wie ein Erlöser gefeiert, als ob er Italien im Alleingang aus der Krise führen könnte.
Der Nominierung war ein viermonatiger Streit in der rechten Regierungskoalition vorausgegangen. Umberto Bossi, der Vorsitzende der Lega Nord, wollte »einen Mailänder« im höchsten Amt der Banca d’Italia und muss nun ausgerechnet einen Neapolitaner akzeptieren. Finanzminister Giulio Tremonti wünschte sich einen engen Vertrauten seines Ministeriums an der Spitze der Notenbank, um zukünftig vor Kritik an seiner Politik sicher zu sein. Ministerpräsident Silvio Berlusconi, der Tremonti seit Monaten nicht mehr wohlgesinnt ist, wollte genau dies verhindern. Deshalb duldete er nicht nur, dass Nicolas Sarkozy sich in diese inneritalienische Angelegenheit einmischte, sondern schien sogar den Wunschkandidaten des französischen Präsidenten zu unterstützen. Sarkozy wollte, dass das EZB-Vorstandsmitglied Lorenzo Bini Smaghi nach Rom zurückberufen werde, damit in Frankfurt sein vakant werdender Posten von einem Franzosen besetzt werde könnte.
Dass schließlich ein Überraschungskandidat ernannt wurde, scheint indessen dem Drängen des italienischen Präsidenten geschuldet zu sein. Giorgio Napolitano wollte »Kontinuität« und bekam sie. Visco arbeitet seit 1972 bei der Banca d’Italia, war zwar zwischendurch ein paar Jahre Ökonom bei der OECD in Paris, gehört aber seit vielen Jahren wieder zum Führungsgremium der Zentralbank. Weil er einst bei dem italienischen Keynesianer Federico Caffè studierte, stand er im Ruf, ein linker Ökonom zu sein. Doch diese Zeiten sind vorbei, der nunmehr 62jährige wird sich nicht mit der »Occupy«-Bewegung solidarisieren. In seiner ersten Stellungnahme zur Nominierung ließ Visco keinen Zweifel daran, dass auch er die Forderungen seines Vorgängers nach einer harten Sparpolitik unterstützen wird wie alle diesbezüglichen Vorgaben der EZB.