Über den Manchester-United-Trainer Sir Alex Ferguson

Nicht ohne seinen Kaugummi

Sir Alex Ferguson sitzt seit einem Vierteljahrhundert auf der Bank von Manchester United.
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anuar 1990, dritte Runde im englischen FA-Cup: Manchester United (ManU) setzt sich gegen Nottingham Forest mit einem ebenso unerwarteten wie glücklichen 1:0 durch. Niemand hätte zu diesem Zeitpunkt auch nur ahnen können, dass Mark Robbins’ Treffer und die umstrittene Aberkennung des Gegentors eine der erstaunlichsten Karrieren des britischen Fußballs ermöglichen würden. Denn der Trainer, dem dieser Auswärtssieg nach missglücktem Saisonauftakt den Hals rettete, hieß Alex Ferguson. Er sollte dafür sorgen, dass die Trophäensammlung des englischen Altmeisters, der damals schon seit 1967 auf einen weiteren Titel wartete, sich füllen sollte wie die keines anderen Clubs der Insel. Alex Ferguson, der 1983 bereits den schottischen FC Aberdeen zu einem unerwarteten Europacup-Sieg geführt hatte, bereitete ManU eine glänzende Zukunft, die genau am 6. November 1986 begann. Seither trägt der Schotte die Verantwortung in Old Trafford, dem Stadion des Vereins, und wurde dafür 1999 sogar zum Ritter des britischen Empire geschlagen. Nicht eben der übliche Lebensweg eines Kindes aus einer Glasgower Werftarbeiterfamilie mit traditionell-gewerkschaftlichem Arbeitsethos, aber die würdige Auszeichnung für eine sagenhafte Leistung: Zwölf seiner 19 Meistertitel errang ManU in dem Vierteljahrhundert unter Ferguson und löste damit den FC Liverpool als Rekordmeister ab; dazu gehen noch fünf FA-Cups, zwei Champions-League-Siege, ein Sieg beim Europacup und ein Weltpokalgewinn auf Sir Alex’ Konto. Der Verein wurde zu einem der umsatzstärksten Fußballunternehmen der Welt, aber auch zum globalen Rekordhalter in Sachen Schulden (2010 beliefen sie sich auf 822 Millionen Euro); ManU wurde zum Premier-League-Club mit den weltweit meisten Fans, doch zugleich zum unbeliebtesten Verein Englands (zumindest, bis Roman Abramowitsch für Chelsea einzukaufen begann): ABU – anything but United – heißt es auf vielen englischen Plätzen lapidar, wenn die Zuschauer sich mit dem Lied »Stand Up If You Hate ManU« die Zeit während ereignisarmer Passagen des eigentlichen Matches vertreiben. In gewisser Weise steckte der ABU-Virus, ungewolltes Resultat des zeitgemäß vermarkteten Erfolgs des Vereins, sogar zahlreiche United-Fans an: Um gegen den Einstieg des Sport-Investors Malcolm Glazer zu protestieren, kleideten sich viele statt im üblichen Rot in Grün und Gold, den Farben des Newton Heath Lancaster and Yorkshire Railway Football Club. So hieß United bis zur Umbenennung 1902; als dessen legitimen Nachfolger sehen übrigens nicht wenige Fans den von ihnen 2005 gegründeten FC United Of Manchester an, der mittlerweile immerhin in der siebthöchsten Spielklasse angekommen ist.
Dass ausgerechnet Sir Alex, nahezu allmächtiger Vater des Erfolgs, ganz unumwunden Sympathien für Grün-Gelb und die »Independent Manchester United Supporters Association« hegt, ist bezeichnend für den knorrigen Schotten, der ebenso modern aufstellt, wie er traditionell fühlt. Der Fan steht im Mittelpunkt für den impulsiven »Fußball-Romantiker Ferguson« (Daily Mail), dessen Kiefer stets kraftvoll Kaugummis bearbeiten und dessen Gesicht bei Ärger hochrot zu glühen pflegt. Und daran erinnert er auch die Aktionäre bei Gelegenheit eindringlich: »Niemand investiert mehr als unsere Fans. Sie bekommen nicht einen Penny zurück … Sie investieren Emotionen und Loyalität. Einige von ihnen geben ihr komplettes Geld dafür aus, uns rund um den Globus zu begleiten«, mahnte Sir Alex Ende der Neunziger.
Nicht nur deswegen wirkt Ferguson im glamourösen Geschehen der Premier League oft wie ein Fossil: Er versuchte einst, seine kickenden Gutverdiener zur spontanen Teepause in der Werftkantine zu überreden, gilt als Erfinder der sogenannten Hairdryer-Methode – die darin besteht, dass er in der Kabine so laut und ausdauernd brüllt, dass sich keiner der Anwesenden danach mehr fönen muss – und bestreitet mit Geduld und Verständnis, aber auch mit Kopfnüssen und rauer Ansprache einen zähen Kampf gegen die inseltypischen Trink- und Feiersitten insbesondere bei Nachwuchsspielern. Bezeichnenderweise schuf genau das, was auf den ersten Blick so altertümlich und puritanisch anmutet, zugleich die physischen und mentalen Voraussetzungen der Temporevolution im modernen britischen Fußball; eine Revolution, die von Fergusons United ausging und deren hohe Ansprüche noch jedem deutschen Profi nach seinem Wechsel in die Premier League zu schaffen gemacht haben. Mit der griffigen Formel »Last Order in Old Trafford« umschreibt beispielsweise Dietrich Schulze-Marmeling Sir Alex’ bahnbrechende Kampagne zur Trockenlegung.
Auch wenn Ferguson zweifelsohne als klassischer Autokrat regiert, war und ist er kein unansprechbarer Egomane wie Louis van Gaal und erst recht kein Fußballreaktionär wie der Libero-Verfechter Otto Rehagel: Unverdrossener, bisweilen fast schon übertriebener Offensivgeist und intensive Jugendarbeit prägen Fergusons ManU. Die Schule des Trainers, der selbst Mittelstürmer in Schottlands zweiter Liga war, brachte nicht umsonst Spieler wie David Beckham, Paul Scholes, Gerry und Phil Neville, Nicky Butt und Ryan Giggs hervor. Sie und noch etliche andere britische Profis haben das enorme Ausbildungsprogramm des Clubs durchlaufen, seine Internate, mit denen Ferguson einst das Fundament für die Wiederauferstehung des schlafenden Riesen ManU gelegt hatte.
Mittlerweile hat Sir Alex alles erreicht, was es zu erreichen gibt. Vor einigen Tagen benannte der Verein sogar schon eine Tribüne seines legendären Stadions nach dem amtierenden Trainer-Manager. Seither gehen Gerüchte um, »Fergie« habe sich dafür eingesetzt, dass Jose Mourinho ihn ab der Saison 2012/13 beerben solle. Doch so ganz vorstellen kann man sich das nicht, droht doch derzeit die innerstädtische Machtübernahme durch den derzeitigen Tabellenersten und Erzrivalen Manchester City, der United am 23. Oktober eine historische Heimniederlage zufügte – 1:6. Ein wahrlich großer letzter Kampf steht also ins Haus, und Sir Alex müsste schon von einem ebenso plötzlichen wie heftigen Anfall von Altersmilde gepackt werden, sollte er diesen nicht auch noch in der kommenden Saison höchstpersönlich ausfechten wollen.