Europäische Konservative reagieren auf die völkische Politik in Ungarn

Nichts hören, nichts sehen

Trotz internationalen Drucks auf die ungarische Regierung wird das völkische Projekt in Ungarn so schnell kein Ende finden.

Wenn das Europäische Parlament tagt, kann man sich üblicherweise auf eine ermüdende Veranstaltung einstellen. Nicht so vergangene Woche, als sich der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán der Debatte stellte und damit auf die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Ungarn durch die EU-Kommission reagierte. Da sich die Regierung in Budapest zuvor schon in Kriegsrhetorik übte, war ein heftiger Schlagabtausch zu erwarten. So kam es denn auch.
Wenn die ungarische Regierung dabei von einem »Angriff der internationalen Linken« spricht, hat sie nicht ganz unrecht: Die verbalen Attacken kamen eher aus dem linken Lager, von der Fraktion der Konservativen, der Europäischen Volkspartei (EVP), erhielt die ungarische Regierung weitestgehend Unterstützung. So sprachen die CSU-Politiker Bernd Posselt und Manfred Weber von einem »ideologischen Zirkus« und »politischer Hysterie«. Es waren nicht die einzigen Äußerungen, die Orbán in seinem nationalistisch-autoritären Kurs bestärkt haben dürften. Wenn Weber etwa fordert, die EU solle die Entscheidungen einer Regierung ernst nehmen, die »die Unterstützung einer Zweidrittelmehrheit« habe, und die Debatte auf ihren justitiellen Kern zurückführen, dann ist er ganz auf Linie Orbáns. Auch er verweist auf seine demokratische Legitimation und versucht die Kontroverse um die ungarische Po­litik als »technische« Frage darzustellen. Nicht von ungefähr warf der österreichische Sozialdemokrat Hannes Swoboda der EVP, zu deren Vizevorsitzenden Orbán gehört, vor, die Politik der ungarischen Regierung zu dulden.
Für Weber, aber auch Michael Gahler (CDU) scheinen die Entwicklungen in Ungarn weniger dramatisch zu sein. Orbán sei immerhin so mannhaft, sich der Kritik zu stellen, und schließlich habe er ja zugesagt, Vertragsverletzungen zu korrigieren. Auch damit spielen sie der ungarischen Regierung in die Hände. Denn Orbáns Auftritt diente weniger der Klärung von Streitfragen, vielmehr versucht er sich als starker Mann zu präsentieren, der der verhassten EU die Stirn bietet. Selbst vermeintliche Niederlagen weiß er dabei für sich zu nutzen. »Wir beugen uns der Macht, nicht den Argumenten«, erklärte er und zeichnete damit das Bild einer Nation im Würgegriff der EU. Diese Botschaft wird verstanden in Ungarn. Prompt brachte – mit der größten Demonstration in der ungarischen Geschichte – ein Bündnis aus Fidesz-Anhängern und extremen Rechten ihre Wut auf die EU zum Ausdruck und egalisierte damit die Proteste der Opposition in den vergangenen Wochen.
Orbán kann eigentlich nur gewinnen, ob man ihn gewähren lässt oder nicht. Wo der Gedanke, man sei eine Kolonie internationaler Mächte, bereits große Teil der Gesellschaft erfasst hat, trägt jede Intervention von außen nur zur Bestätigung des völkischen Projekts bei, das Orbán verfolgt. Die berüchtigten Anfänge, denen es zu wehren gilt, liegen in Ungarn bereits zurück. Dass dies noch nicht bemerkt wurde, hat mit dem um sich greifenden politischen Autismus zu tun, der nicht nur den konservativen Parteien der Gegenwart eigen ist. Auch die EU ist sich der destabilisierenden Implikationen ihrer redundanten Krisenbewältigung nicht gewahr und begünstigt solch reaktionäre Exit-Optionen.