Omar Everleny Pérez im Gespräch über marktwirtschaftliche Reformen in Kuba

»Man will nichts überstürzen«

In Kuba hält der Kapitalismus Einzug (siehe auch Seite 14). Die Privatwirtschaft soll stärker gefördert werden. Das beschloss die kommunistische Partei auf ihrem Parteitag im vergangenen Jahr. Seitdem werden immer neue Maßnahmen angekündigt. Aber wie schnell ändert sich tatsächlich etwas? Die Jungle World sprach mit Omar Everleny Pérez über die Reformen und ihre zögerliche Umsetzung. Der 51jährige Ökonom ist Direktor des Studienzentrums der Kubanischen Wirtschaft (CEEC) in Havanna.

Vielen privaten Unternehmern in Kuba geht es nicht schnell genug mit den Reformen. Warum mahnt Raúl Castro zur Geduld, statt den Umbau der kubanischen Wirtschaft vor­anzutreiben?
Es geht voran, aber in kleinen Schritten. Jede Woche gibt es neue Maßnahmen. Am 20. Dezember wurde eine Maßnahme bekanntgegeben, am 23. Dezember, zuletzt am 4. Januar.
Das sind sehr kleine Schritte. Die Reform des Gesetzes Nummer 259, das die Landwirtschaft wieder beleben soll, wurde vertagt.
Die Entscheidungen sind gefallen, nur die Ausformulierung zum Gesetz scheint nicht fertig zu sein. Unstrittig ist, dass die Bauern das Land länger vom Staat zu Verfügung gestellt bekommen und sie auf dem Land auch Häuser, Lagerhallen und dergleichen bauen dürfen. Es ist nicht so, dass hier nichts passiert. Vor einiger Zeit sind Maßnahmen beschlossen worden, die den einkommensschwachen Schichten ermöglichen, Baumaterialien zu kaufen und ihre Häuser zu reparieren. Dafür soll es auch Kredite geben.
Kredite wurden auch den neuen Selbständigen angeboten, aber sie mussten lange warten. Hat die Regierung ausreichend Kapital, um die Kredite zu gewähren?
Die Kredite werden in erster Linie in nationaler Währung sein, denn die Devisenreserven sind knapp. Damit betreten wir Neuland, denn Kredite in nationaler Währung (Pesos Nacionales oder Moneda Nacional, Anm. d. Red.) und in CUC, (Peso Cubano Convertible, an den US-Dollar gebundene Verrechnungswährung, Anm. d. Red.) hat es bisher in dieser Kombination nicht gegeben. Da muss sich das Bankensystem vollkommen neu organisieren.
Warum hat die Regierung bisher die Angebote Brasiliens und der EU nicht angenommen, sich bei den Kreditprogrammen helfen zu lassen? Mehr als 20 Millionen US-Dollar wurden angeboten.
Es hat eine Reihe von Angeboten gegeben, aber die Regierung will anscheinend mit den eigenen Ressourcen zurechtkommen. Ob es zu einem späteren Zeitpunkt Kreditprogramme geben wird, die aus dem Ausland finanziert werden, muss man abwarten.
Wenn man in Havanna mit Handwerkern oder mit Selbständigen in der Gastronomie spricht, geht es immer wieder um das Thema Großmärkte. Warum müssen die Selbständigen ihre Produkte zu Einzelhandelspreisen kaufen?
Bisher gibt es diese Großmärkte nicht, aber im Dezember wurden die ersten Maßnahmen verabschiedet, die in diese Richtung gehen. Es soll einen Preisnachlass von 20 Prozent auf Lebensmittel in Großhandelsmengen geben, zum Beispiel für 5-Liter-Kanister mit Speiseöl oder Mehlsäcke.
Warum lässt man die Leute so lange warten?
Die Leitlinien zur wirtschaftlichen Neuausrichtung reichen bis in das Jahr 2015 und es gibt einen Zeitplan. Man will nichts überstürzen. Es gibt Leitlinien, die schnell umgesetzt werden können, wie die Aufhebung von Verboten, andere sind komplexer und brauchen mehr Zeit. Geplant ist aber, dass 2012 und 2013 die wichtigsten Entscheidungen getroffen werden. Die wichtigsten Maßnahmen, so hat es Marino Murillo Jorge angekündigt, der Beauftragte für die Umsetzung der Beschlüsse des Parteitags, werden derzeit ausgearbeitet.
Wird es für Freiberufler in absehbarer Zeit Neuerungen geben?
Ja, es gibt neue Pläne, aber keine konkreten Zeitangaben. Eine interessante Maßnahme ist die geplante Privatisierung aller staatlichen Reparaturunternehmen. Es geht zum Beispiel um Elektriker, die Fernseher, Radios, Uhren oder Nähmaschinen reparieren. Aus diesen Bereichen wird sich der Staat zurückziehen. Bisher sind ungefähr 340 000 Lizenzen für die Freiberuflichkeit erteilt worden. Die Zahl der Freiberufler soll weiter steigen, seit 2011 hat sie sich fast verdoppelt.
Welche Bedeutung hat die Suche nach Öl, die seit einigen Wochen vor Kubas Küste vorangetrieben wird? Ist die Bohrinsel die große Hoffnung für die gebeutelte Wirtschaft?
Selbst wenn man Öl finden sollte, wird es mindestens fünf Jahre dauern, bis gefördert werden kann. Aber natürlich besteht die große Hoffnung, dass Öl in verwertbarer Menge und Qualität gefunden wird. Dann wird es auch Geld für die Förderplattformen geben. Kuba könnte zum Ölexporteur oder zumindest unabhängig von Importen werden und das wäre schon ein großer Schritt für die Erholung der Wirtschaft. Derzeit importieren wir ungefähr 50 Prozent unseres Erdölbedarfs.
Viele Kuba-Experten, wie zum Beispiel Carmelo Mesa-Lago, kritisieren die kleinen Schritte und verweisen auf die schlechte soziale Lage in Kuba. Was halten Sie davon?
Mesa-Lago sagt nichts anderes als die Regierung, denn diese hat die großen Reformschritte für 2012 und 2013 vorgesehen. Man kann in acht Monaten keine Geschichte von 53 Jahren dadurch grundsätzlich ändern, dass andere ökonomische Mechanismen eingeführt werden. Das geht nur in einem graduellen Prozess. Raúl Castro hat gesagt, dass alle Welt einen schnellen Reformprozess will, aber ich ziehe einen langsamen, aber soliden Weg vor. Wir können uns keine Fehler leisten. Man muss auch bedenken, dass es bis heute keine Rückschläge gibt, keine Maßnahme wurde zurückgenommen. Es geht nur voran.
Ist denn die Produktivität gestiegen? Es hat den Anschein, dass sich die Regierung damit schwertut, Maßnahmen wie die Legalisierung von kleinen Genossenschaften umzusetzen.
In diesem Jahr soll das Genossenschaftsgesetz verabschiedet werden. Es betrifft den nichtlandwirtschaftlichen Sektor und kann einiges zu mehr Produktivität beitragen.
Gibt es ein konkretes Datum?
Nein, konkrete Daten werden nie vorher bekanntgegeben.
Viele Maßnahmen, die in diesem Jahr umgesetzt werden sollen, kosten Geld. Wie steht es um die finanzielle Situation der Regierung?
Es gibt sicherlich nicht genug Geld, aber anders als früher verfolgt die Regierung eine restriktive Geldpolitik. Diese hat es ermöglicht, dass das Gros der Schulden bei den Unternehmen, die in Kuba tätig sind, bezahlt wurde. 2009 wurden mehrere Konten eingefroren, weil Kuba in finanziellen Schwierigkeiten war. Diese Konten sind nun allesamt wieder frei und die Ausstände bezahlt. Derzeit gibt es die Leitlinie, Schulden zu begleichen, gerade die kurzfristigen Verbindlichkeiten mit China und anderen Ländern. Ohne die Bedienung der Schulden wird Kuba keine neuen Kredite erhalten, so einfach ist das. Deshalb versucht die Regierung, besser zu wirtschaften. Wir wollen unsere finanzielle Situation verbessern, aber derzeit sind die Beträge, die ins Land kommen, noch zu gering.
Bis zum April 2011 sollte eigentlich eine halbe Million Kubaner entlassen werden, um das Budget zu entlasten. Die Entlassungen wurden diesen Februar aber unterbrochen. Sollen sie wieder fortgesetzt werden?
Sie wurden nie ganz eingestellt, aber es stimmt, dass die Zielvorgabe nicht erreicht wurde. 127 000 Kubaner wurden entlassen. Ich bin der Meinung, dass man das eine mit dem anderen kombinieren muss: Reformen mit Entlassungen. Das ist genauso wichtig, wie die Löhne zu erhöhen. Natürlich ist es das Ziel, die Unterbeschäftigung zu beenden, doch das geht nur graduell und sollte kombiniert werden mit Lohnanreizen. Ich glaube, dass wir in diesem Jahr etwas produktiver werden.
Wo sehen Sie die wichtigsten Herausforderungen? In der Landwirtschaft?
Wir müssen es schaffen, den Bauern Anreize zu geben, produktiver zu werden. Wir brauchen mehr Effizienz und müssen auch Mittel für Investitionen schaffen. Es ist wichtig, dass die Leute sehen, dass es Erfolge gibt. Immerhin wurden mehr als eine Million Hektar Agrarland an Klein- und Neubauern verteilt. Da sollten sich Erfolge einstellen, denn grundsätzlich produzieren die privaten deutlich mehr als die staatlichen Unternehmen. Es gibt einige Anbauprodukte, bei denen die Erträge gestiegen sind. Das liegt nicht nur an den Besitzverhältnissen, sondern auch an den Produktionsverhältnissen und den Strukturen: wie sich die Bauern organisieren, wie sie ihre Produkte verkaufen, etc. Das sind entscheidende Faktoren, die man genau analysieren muss.
Woher sollen die Mittel für Investitionen kommen?
Die Regierung sucht Investoren für Großprojekte. Einige von diesen laufen bereits, wie der Ausbau des Hafens von Mariel, für den Brasilien Kredite gewährt hat. Der Ausbau der Raffinerie in Cienfuegos geht dank der Kredite aus China und Venezuela voran. Daneben gibt es kleinere Projekte, doch generell erwarte ich erst im Jahr 2013 mehr Investitionen.
Um moderne Infrastrukturprojekte wie den Ausbau des Hafens von Mariel zu gewährleisten, braucht Kuba auch moderne Kommuni­kationsstrukturen. Es gibt kein schnelles Internet. Ist das ein Hindernis?
Ja, da hat sich nichts geändert und das ist eine weitere Herausforderung.