Deutschland, Europa und der Fiskalpakt

Bierstube statt Taverne

Der Fiskalpakt, den 25 EU-Staaten unterzeichnet haben, sieht eine »Schuldenbremse« nach deutschem Vorbild vor. Nun sollen deutsche Finanzbeamte in Griechenland Steuern eintreiben.

Es ist die Stunde der »eisernen Kanzlerin«, wie Angela Merkel, die mächtigste Politikerin in Europa, gerne bezeichnet wird. Unerbittlich hat sie seit Beginn der Schuldenkrise für eine Politik des Sparens gekämpft und sich damit auf dem ganzen Kontinent unbeliebt gemacht. Nun hat sie sich durchgesetzt.
»Das ist ein Meilenstein in der Geschichte der Europäischen Union«, jubelte sie Ende voriger Woche, nachdem in Brüssel 25 EU-Staaten den sogenannten Fiskalpakt unterzeichnet hatten. Demnach verpflichten sie sich, eine »Schuldenbremse« nach deutschem Vorbild einzuführen. Im Gegenzug können sie dafür künftig mit Hilfen aus dem ständigen Krisenfonds ESM rechnen.
Nach der Zustimmung des deutschen Bundestags zum »Griechenland-Rettungspakt« war dies Merkels zweiter Erfolg in einer Woche. Er hatte allerdings einen faden Beigeschmack, weil er nur mit Stimmen aus der Opposition zustande kam.
Seitdem ist die Stellung der Kanzlerin zumindest im eigenen Land nicht mehr ganz so eisern. »Griechen gerettet, Merkel geplättet«, titelte etwa die Financial Times Deutschland. Nicht nur die seltsame Anwandlung des Innenministers Hans-Peter Friedrich (CSU), der kurz vor der Abstimmung öffentlich darüber räsonierte, ob Griechenland nicht außerhalb der Euro-Zone besser aufgehoben sei, sorgte für Irritationen. CDU-Abgeordnete wie der einflussreiche Wolfgang Bosbach stimmten gegen die eigenen Koalitionsvorgaben, und auch beim Koalitionspartner FPD ist das »Rettungspaket« höchst unbeliebt.
Kein Wunder also, dass Oppositionspolitiker wie der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier die Koalition schon vor dem Ende sehen. »Merkels Autorität ist schwer beschädigt«, sagte er pathetisch. Dabei könnte man ebenso gut fragen, was die Opposition, käme sie denn an die Macht, anders machen würde als eine Regierung, die sie mit ihren Stimmen gerade gerettet hat. Auch beim Fiskalpakt, über den im Bundestag und Bundesrat noch abgestimmt werden muss, will die SPD die Koalition unterstützen. Eine loyalere Opposition gab es selten.

Dabei ist die Kritik am zweiten »Rettungspaket« durchaus berechtigt: Auch 130 Milliarden Euro werden das griechische Schuldenproblem kaum lösen. Alle Finanzexperten gehen davon aus, dass das Land trotz Finanzhilfen und Schuldenschnitt ein dauerhaftes Wachstum benötigt, um sich aus der wirtschaftlichen Depression zu lösen. Gelingt dies nicht, bietet auch das »Rettungs­paket« nicht viel mehr als eine weitere Galgenfrist.
Derzeit spricht aber wenig dafür, dass sich Griechenland erholen könnte. Auch in diesem Jahr gehen die Wirtschaftsleistungen weiter zurück, während die Regierung in Athen immer neue Sparbeschlüsse umsetzen muss. Der Bevölkerung hingegen erscheint die Lage mittlerweile wie nach einem verlorenen Krieg, selbst wenn nicht so ganz klar ist, wo eigentlich der Feind sitzt, zu Hause oder in Berlin.
Darauf zielte auch die Kritik Gregor Gysis, des Fraktionsvorsitzenden der »Linken«, der die Sparvorgaben für Griechenland mit den Reparationsforderungen an Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg verglich. »Sie machen bei Griechenland Versailles, die brauchen aber Marshall«, schimpfte er vorige Woche im Bundestag. Statt den Verlierer auszupressen, sei es klüger, wie nach dem Zweiten Weltkrieg den Wiederaufbau zu fördern.
Gysi bezog sich dabei auf die Thesen des britischen Wirtschaftswissenschaftlers John Maynard Keynes, der an den Verhandlungen in Versailles teilgenommen und sie als ökonomisch widersinnig kritisiert hatte. Angesichts der »verheerenden Kürzungspolitik«, die Gysi kritisierte, mag der historische Vergleich in einem wirtschaftlichen Kontext noch Sinn ergeben. Tatsächlich verheerend ist aber die politische Implikation, suggeriert sie doch, dass ursächlich die Alliierten den nationalsozialistischen Aufstieg zu verantworten haben.
Zudem ist es reichlich naiv zu glauben, der Marshall-Plan sei vornehmlich einer klugen Wirtschaftspolitik und nicht den historischen Umständen des Kalten Krieges zu verdanken. Heute geht es nicht mehr darum, den Kommunismus einzudämmen, sondern die Erosion der Finanzmärkte aufzuhalten.
Nur deswegen ist die politische Elite in Deutschland überhaupt noch dazu bereit, große Summen für Griechenland aufzubringen. Eine Pleite könnte am Ende sogar noch teurer kommen als alle »Rettungspakete« zusammen. Ein »failed state« in Europa brächte unwägbare Risiken mit sich und auch die Auswirkungen auf die anderen südeuropäischen Pleitekandidaten kann niemand kalkulieren.

So aber gibt es immerhin eine kleine Atempause in der Schuldenkrise. Denn zugleich mit dem Rettungspaket flutete die Europäische Zentralbank (EZB) mit dem Wohlwollen der Bundesregierung die Finanzmärkte mit neuem Geld. Etwa eine Billion Euro konnten sich die privaten Institute bislang zu einem einmalig niedrigen Zinssatz mit langen Laufzeiten leihen. Die äußerst günstigen Kredite kommen einem Geschenk an die Banken gleich, da diese nun italienische oder spanische Staatsanleihen mit wesentlich höheren Zinssätzen erwerben können.
Während man sich in Deutschland heftig über die vergleichsweise geringe Höhe des Ehrensoldes für den ehemaligen Bundespräsidenten echauffiert, provoziert diese kostspielige Form der Krisenbewältigung bislang keine hitzigen Debatten. Vermutlich wäre es günstiger gewesen, Euro-Bonds aufzulegen, anstatt den Umweg über die Banken zu wählen. Doch nach Meinung der Bundesregierung hätte eine solche Maßnahme den Druck von den Schuldnerländern genommen, strukturelle Reformen durchzuführen.
Folglich betonte Merkel nach den Beschlüssen der vergangenen Woche, dass sich die Krisenstaaten in der europäischen Peripherie nicht zu sicher fühlen sollten. »Die nächsten zwei Jahre sind genauso entscheidend wie die letzten zwei Jahre«, mahnte sie. Nun müssten die Voraussetzungen für neues Wachstum geschaffen werden.

An guten Ratschlägen und praktischer Unterweisung aus Deutschland soll die Aufbauhilfe Süd ­jedenfalls nicht scheitern. 160 Freiwillige aus deutschen Finanzbehörden stünden bereit, um den griechischen Steuerbehörden unter die Arme zu greifen, meldete die Wirtschaftswoche kürzlich.
»Griechenland steht heute vor den Problemen, die die ehemalige DDR 1990 hatte«, sagte dazu der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD), aus dessen Bundesland besonders viele »Aufbauhelfer« kommen. Zugleich warnte er aber vor »erheblichen Vorbehalten« bei den Griechen gegenüber den Deutschen, die »ungleich größer sein werden als bei manchen Ostdeutschen gegenüber den Wessis«.
Die griechischen Steuerbeamten haben die deutsche Hilfe bereits dankend abgelehnt. »Das kontinuierliche Gerede über den Einsatz fremder Steuerbeamter verursacht Verwirrung bei den hart arbeitenden griechischen Beamten«, heißt es dazu in einem Brief der Betroffenen an den griechischen Finanzminister.
Auch ein anderer Vorschlag wird wohl auf wenig Gegenliebe stoßen. Der Leiter der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, spricht derzeit mit seinem griechischen Amtskollegen darüber, ob das deutsche Agenturmodell übertragen werden könnte.
Seiner Zeit voraus war Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP), der bereits im vergangenen Herbst mit einer großen Delegation deutscher Manager nach Athen gereist war, um der griechischen Regierung einen eigenen »Marshall-Plan« vorzustellen. Nun hat Röslers Ministerium Bilanz gezogen. Demnach sei von den zahlreichen Projekten zum Aufbau der griechischen Wirtschaft nur ein einziges übrig geblieben: Ein deutsches Unternehmen, dass Brennbriketts aus Olivenabfällen herstellt. Schuld an dem bescheidenen Ergebnis seien Unzulänglichkeiten auf griechischer Seite, glaubt man im Ministerium.
Rößlers griechischer Amtskollege Michalis Chrysochoidis sieht dies freilich anders. »Schluss mit der Heuchlerei«, schrieb er in einer Erklärung. Rösler habe bei seinem Besuch in Athen nicht in erster Linie Investitionen, sondern die Begleichung griechischer Altschulden bei deutschen Firmen im Blick gehabt. Immerhin bei Rößler kann sich die Kanzlerin also sicher sein, dass er ihrer Linie weiter treu folgt.