Die Lebensbedingungen in Gefängnissen in Honduras

Terror hinter Gittern

Im Februar starben bei einem Brand in der Strafvollzugsanstalt Comayagua in Honduras mehr als 300 Menschen. Es war der dritte große Gefängnisbrand innerhalb von neun Jahren. Viele sehen in diesem angeblichen Unfall eine politische Strategie der regierenden Rechten. Menschenrechtsorganisationen sprechen von »sozialer Säuberung«.

Jaime krümmt sich vor Schmerz. Seine Oberarme und Schultern haben keine Haut mehr. Als einziger Häftling aus dem Block 9 der Strafvollzugsanstalt von Comayagua überlebte er am 14. Februar das Inferno. Alle anderen Gefangenen in seinem Trakt verbrannten bei lebendigem Leib. Mit ihnen starb auch Jaimes Frau, Katia, die nur wenige Stunden zuvor das Wachpersonal bestochen hatte, um ihren Ehemann am Valentinstag zu besuchen und über Nacht zu bleiben.
»Es war die Hölle auf Erden.« So beginnt Jaimes Erzählung von der Nacht zum 15. Februar. Kurz nach Mitternacht seien Katia und er von den Schreien der Häftlinge aus dem benachbarten Block 8 geweckt worden. Das Feuer, das dort ausgebrochen war, drohte auf das Gebäude 9 überzugreifen. Jaime erzählt, wie er seiner Frau einen Platz im überfüllten Wassertank erkämpfte, in den sich viele der Zellenbewohner geflüchtet hatten, weil die Wärter keine Anstalten machten, die Türen zu öffnen. Dann sei er in seine Zelle zurückgekehrt. »Gemeinsam mit anderen Häftlingen haben wir versucht, über das Dach zu fliehen«, erzählt er. »Aber von den Wachtürmen schossen sie auf uns. Zwei wurden getroffen.« Auch Jaime glaubte sich getroffen und ließ sich fallen. Dabei brach er sich den linken Fuß.
In der Zelle hatte sich währenddessen das Feuer ausgebreitet: »Der Gang zum Bad war nicht mehr zu passieren. Vom Dach brachen Holzbalken hinunter«, führt Jaime seine Erzählung fort. »Mit zwei anderen Häftlingen drängte ich mich an die Gittertür und flehte das Wachpersonal an, das vor uns stand, sie aufzuschließen.« Schließlich seien alle im Rauch auf den Boden gesunken. Jaime lag unter den Körpern der beiden anderen, »die erst schreiend und dann wimmernd starben«. Als die Wachen endlich die Türen aufschlossen, war Jaime der einzige im ganzen Zellenblock, der noch lebte. Die Mutter seiner drei kleinen Töchter war mit den anderen Häftlingen gestorben. Das Wasser im Tank war in der Hitze der Flammen vaporisiert. Die Feuerwehr, die nur wenige Straßen vom Gefängnis entfernt stationiert ist, konnte den Brand erst nach drei Stunden vollständig löschen.

»Ich wollte sie doch retten«, stöhnt Jaime. Er zittert bei diesen Erinnerungen, aber auch wegen der Unterkühlung. Seine Arme und Schultern sind offene Fleischwunden, seine zahlreichen Tätowierungen stechen dunkelblau unter Blut und Eiter hervor. Jaime hat mit Verbrennungen von 30 Prozent seiner Körperoberfläche überlebt. Sein gebrochener Fuß wurde notdürftig gegipst und muss noch operiert werden. Er ist einer der zehn Schwerverletzten, die nach dem Brand ins Krankenhaus eingeliefert wurden. Sieben von ihnen sind mittlerweile gestorben. Und auch Jaime ist angesichts der extrem hohen Infektionsgefahr der Wunden und der Gefahr eines damit zusammenhängenden Nierenversagens noch nicht außer Lebensgefahr.
Im Gefängnishospital von Támara scheint auf Sterilität nicht viel Wert gelegt zu werden. Die Wände bestehen aus schmutzverklebten Kacheln, auf dem Boden liegen Essensreste. Die Schaumstoffmatratzen der verrosteten Krankenbetten sind nur notdürftig in zerschlissene Laken gehüllt.
Viele in Honduras halten den Gefängnisbrand von Comayagua nicht einfach für einen Unfall, sondern für eine Katastrophe mit Ursachen und Verantwortlichen. »Wir fordern eine umfassende Aufklärung der Geschehnisse und die Einsetzung einer Wahrheitskommission«, sagt etwa Juan Almendárez. Als Arzt, ehemaliger Rektor der Autonomen Universität von Honduras und früherer Präsidentschaftskandidat einer linken Partei engagiert er sich für das Recht auf Gesundheit derer, die keine Rechte besitzen. Die Insassen der Gefängnisse in Honduras zählen für ihn definitiv zu den »Verdammten dieser Erde«.
Almendárez kritisiert, dass die Untersuchung der Leichen zwar von Medizinern aus verschiedenen lateinamerikanischen Ländern durchgeführt wurde, diese aber lediglich einfache Röntgenaufnahmen anfertigten. »Mit solchen Aufnahmen sind Einschüsse in verbrannten Leichen kaum auszumachen.« Schon eine Woche nach dem Brand seien die Untersuchungen der Todesursache abgeschlossen worden. »Seitdem beschränkt sich die Arbeit auf die Identifikation der Leichen. Wie viele Häftlinge nicht durch das Feuer, sondern durch die Schüsse der Wachen starben, wird man auf diese Weise nie erfahren«, sagt Almendárez.
Einigen Radiostationen vorliegendes Audiomaterial belegt, dass in der Nacht des Brandes, wie Jaime es beschreibt, mindestens 20 Minuten lang von den Wachtürmen geschossen wurde.
Nachdem die Körper der Toten in eine Polizeiakademie überführt worden sind, fürchten Familienangehörige, dass die Untersuchungsergebnisse zurückgehalten werden könnten. »Es handelt sich um dieselbe Polizei, die auch die Gefängnisse in Honduras verwaltet«, sagt Almendárez. »Die Familien sind vom Justizministerium vorschnell mit Entschädigungszahlungen ruhiggestellt worden.« Nur 157 Leichen seien bisher den Familienangehörigen übergeben worden.

Ob die Gefangenen letztendlich durch Schüsse starben oder weil sie in ihren Zellen verbrannten, eines steht für Juan Almendárez fest: Beim Brand in Comayagua habe es sich um eine »soziale Säuberung« gehandelt. »In Honduras sitzen nur die Armen hinter Gittern. Manche sind Mörder und Schwerverbrecher, aber die Mehrheit besteht aus einfachen Dieben; viele Häftlinge sind noch nicht verurteilt worden, viele sind unschuldig und ein Großteil von ihnen sind Jugendliche, die rehabilitiert werden könnten.«
Zur Jahrtausendwende hat der honduranische Staat den Krieg gegen die im gesamten Land verbreiteten Jugendbanden, die Maras, ausgerufen. Seitdem hat sich eine Politik der »Null Toleranz« gegen Jugendkriminalität durchgesetzt. Nicht nur extralegale Hinrichtungen und Massaker durch Polizisten und Soldaten seien dabei zu verzeichnen, der Krieg werde auch in den Medien geführt, berichtet Almendárez: »Mit den Armen solidarisieren sich die Menschen, mit Kriminellen dagegen nicht.«
Jorge Rivera, Vorsitzender Richter am Obersten Gerichtshof, beziffert den Prozentsatz der verurteilten Häftlinge in Comayagua auf weniger als die Hälfte, rund 40 Prozent. Die Mehrheit der Gefangenen dort sei ohne Gerichtsurteil eingesperrt. Diese Zahlen seien »durchaus annehmbar« für das honduranische Justizsystem, sagt der Jurist, und Almendárez ergänzt: »Marginalisierte Jugendliche werden einfach weggesperrt. Das Problem der Armut innerhalb der minderjährigen Bevölkerung wird schlichtweg von der Straße in die Gefängnisse verlagert«, sagt er und weist darauf hin, dass alle Haftanstalten des Landes überfüllt seien: »Allein das stellt schon eine Verletzung der Menschenrechte dar.« In Comayagua, das einst als »Modellgefängnis« galt, saßen zum Zeitpunkt des Brandes 850 Personen ein, obwohl es für 250 Häftlinge gebaut ist.

Die gelb gestrichenen Backsteinwände der Haftanstalt in Comayagua sind noch immer schwarz verkohlt. Die Gittertüren stehen zum Innenhof offen, über dem der Himmel klar und blau ist. So blau wie das Wandgemälde einer Madonna mit Kind auf einer Mauer, das vom Feuer unversehrt blieb. Hier spielten sich die dantesken Szenen mit verkohlten Leichenbergen ab, die tagelang unzensiert über die Bildschirme flimmerten und die Titelseiten der Zeitungen füllten.
Der Brand im Gefängnis von Comayagua ist bereits der dritte in Honduras in den vergangenen zehn Jahren. 2003 starben im Gefängnis El Porvenir in La Ceiba 68 Personen bei einem Brand. Ein Jahr später kamen unter den gleichen Umständen 107 Häftlinge in der Haftanstalt von San Pedro Sula um. Die meisten von ihnen waren Mitglieder der Jugendbande Mara Salvatrucha.
»Diese drei Gefängnisbrände stehen in einem klaren Zusammenhang zueinander«, urteilt Anwalt Joaquín Mejía. »Stets werden die Untersuchungen auf einen Kurzschluss oder eine Zigarette als mögliche Brandursachen gelenkt. Ausschlaggebend ist aber letztendlich die vorsätzlich unterlassene Hilfeleistung gegenüber Personen, die unter der Obhut des Staates standen.«
Nur zwei Wochen nach den tragischen Geschehnissen in Comayagua stand Honduras für den Gefängnisbrand 2004 vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte in Costa Rica. Joaquín Mejía vertrat als Anwalt die Diözese von San Pedro Sula, Caritas Honduras und die Kommunikationsorganisation des Jesuitenordens als Kläger. Der honduranische Staat wurde am 29. Februar für schuldig befunden.
»Die Gefängnisse in Honduras sind Zeitbomben. Jeder kleiner Vorfall kann dort zu einer Katastrophe ausarten«, sagt der Anwalt. »Es ist ein Unding, Menschen unter solchen Umständen einzusperren.« Im Juli 2010 wurde in neun von den 24 Haftanstalten im Land der Ausnahmezustand aus­gerufen. Maßnahmen, um Sicherheitsstandards und Kontrollmechanismen einzurichten, wurden jedoch bis heute nicht ergriffen.
Honduras wird nun vom Gerichtshof dazu angehalten, seine Strafgesetzgebung zu ändern, insbesondere einen Artikel des »Anti-Mara-Gesetzes«, der die Verurteilung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Jugendbande ermöglicht, auch wenn kein Verbrechen nachzuweisen ist. »Allein die Maras werden für die ausufernde Gewalt in Honduras verantwortlich gemacht. Allgemeine Kriminalität, Drogenhandel und die hohe politische Gewalt, die sogar zum Staatsstreich führte, bleiben bei dieser Perspektive außen vor«, sagt Mejía. 2006 wurde Honduras erstmals vom Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte (CIDH) verurteilt und zur Verbesserung der Situation von Häftlingen angehalten. Damals konnte ein Exempel anhand des Falls eines politischen Gefangenen statuiert werden.

Alfredo López kam 1997 wegen angeblichen Drogenbesitzes ins Gefängnis. Tatsächlich schien die Regierung die Bewegung der Garifuna, der schwarzen karibischen Minderheit, schwächen zu wollen, in der López aktiv war.
»Ich wurde niemals einem Richter vorgeführt«, erzählt López heute, »irgendwann erhielt ich ein Dokument, in dem stand, dass ich verurteilt worden war. Ich blieb sechs Jahre hinter Gittern.« Heute ist das alles Vergangenheit, und er sitzt wieder unter sich im Wind wiegenden Palmen in der kleinen Gemeinde von Trinunfo de la Crúz. Seine Familie bereitet den Fisch für das Abend­essen vor. Eine Enkeltochter sammelt Bimssteine am Strand. »Ich wurde ohne Verfahren mit Bankräubern und Mördern zusammen in eine Zelle gesteckt. Nachts schliefen wir auf dem Boden, wie Sardinen in der Dose nebeneinander aufgereiht«, schildert er die Haftbedingugen.
Wie die anderen Häftlinge hungerte Alfredo López oft. Denn das Essen war so ungenießbar, dass viele unter chronischen Magenkrankheiten litten. Das Trinkwasser roch nach Schimmel, Wasser zum Waschen ergatterten die ärmsten Häftlinge, indem sie sich zu denjenigen setzten, die sich einen Eimer zum Duschen leisten konnten. »Die korrupten Gefängnisleiter stecken das Geld für die Grundversorgung der Häftlinge ein.« Das habe sich auch nach dem Urteil des CIDH kaum geändert, berichtet López. »Die Gefängnisse sind Höllen der Ungerechtigkeit. Direktoren und Gefängnispersonal sind extrem korrupt.« In Haft habe er gesehen, wie die Wärter Waffen an unterschiedliche Gangs verteilten, damit diese sich gegenseitig erschießen.
López schiebt seine Brille über die Nase hoch. Noch immer besucht er das Gefängnis in Puerto Cortés, in dem er eingesessen hat, und erstattet Bericht über die Lebensbedingungen dort. Seit er wieder auf freiem Fuß ist, hat er seine alte Tätigkeit als Radiomoderator für einen kleinen Sender in der Bucht von Tela wieder aufgenommen, der für die Garifuna-Gemeinden im Land ein wichtiges Medium des Austauschs darstellt.
Seit dem Putsch im Jahr 2009 sind freie Radios in Honduras ein wichtiges Mittel unabhängiger Information. »Nur scheinbar ist das Land zur Demokratie zurückgekehrt. Die Putschisten sitzen weiter in den Institutionen. Niemand wurde verurteilt. Ein neuer Präsident wurde eingesetzt, aber de facto hat er keine Macht«, sagt López.

Diese Ansicht teilt auch Bertha Oliva vom Komitee der Angehörigen der Verschwundenen und Festgenommenen in Honduras (Cofadeh). Die auch im Ausland bekannte Menschenrechtsanwältin spricht von einer konstanten Zahl politischer Morde und Fällen von Verschwindenlassen, auch unter der angeblichen Transitionsregierung von Porfirio Lobo: »Die Lage in den Gefängnissen ist symptomatisch für die Konflikte im Land«, sagt sie. »Der Brand in Comayagua war ein Terrorakt gegen die gesamte inhaftierte Bevölkerung. Er geschah zu einem Zeitpunkt, in dem hohe Polizeiposten wechseln und das Militär Polizeiaufgaben übernimmt. Das Land befindet sich in einer politischen Krise.«
Oliva ordnet den Gefängnisbrand in eine ganze Serie ungeklärter Vorfälle ein, die sich in den vergangenen Wochen in Honduras ereignet haben. »Zuerst brannte das Gefängnis, dann ein riesiger Markt in Tegucigalpa, wenige Tage darauf ein öffentliches Krankenhaus in San Pedro Sula. Schließlich wurden in Tegucigalpa einige Strommasten sabotiert, was die Hauptstadt zwei Tage lahmlegte.« Die Menschrechtlerin glaubt, all diese Vorfälle seien Teil einer Strategie, um das Land zu destabilisieren: »Die regierenden Rechten wollen nicht, dass sich Menschen an der Macht beteiligen, die nicht der Machtelite angehören.« Ziel der regierenden Nationalen Partei von Porfirio Lobo, die den Putsch von 2009 unterstützt hat, sei es, ein Klima der Angst zu erzeugen, um vorgezogene Wahlen zu rechtfertigen. Neuwahlen würden eine friedliche Machtübernahme durch die Demokratiebewegung in Honduras erschweren, meint Oliva. Ihre Partei, Freiheit und Wiederversöhnung, (Libre), wurde erst vergangene Woche von offiziell zu den Wahlen im kommenden Jahr zugelassen, während die Liberalen und die Konservativen seit Monaten mit dem Wahlkampf begonnen haben. Unabhängig davon, ob der Brand als soziale Säuberung oder Terrorakt zu bewerten ist, fordert Bertha Oliva eine unverzügliche Aufklärung der Vorfälle und die Bestrafung der Verantwortlichen. »Dies tue ich jedoch vor der internationalen Gemeinschaft. Den honduranischen Staat halte ich für gescheitert. Es herrscht ein der Klima der Barbarei, in dem es sinnlos ist, Forderungen in Bezug auf die Menschenrechte zu stellen.« Honduras befinde sich weiterhin im Ausnahmezustand.
Mit Unbehagen betrachtet Oliva das Projekt der EU zur Unterstützung des Sicherheits- und Justizsektors in Honduras (Pass). In dessen Rahmenstellt die Europäische Union Honduras 43 Millionen Euro zur Verfügung, um das Justizsystem zu reformieren. »Das ist ohne Zweifel dringend nötig«, sagt Oliva, »doch an erster Stelle steht eine Rückkehr zur Demokratie«. Solange diese nicht erfolge, besteht die Gefahr, dass das Pass-Projekt nur dazu missbraucht werde, polizeiliche Repression und juristische Kriminalisierung von Dissidenten zu finanzieren: »Der Justizapparat in Honduras dient unter den gegebenen Umständen einzig und allein der Repression und der Kontrolle von Menschen, die oft kaum etwas zu essen haben.«