Der Papst in Kuba

Botschaft für Benedikt

Mit Besetzungen von katholischen Kirchen und Protesten wollten kubanische Menschenrechtler Papst Benedikt XVI. dazu bewegen, sich bei seinem Kuba-Besuch auch mit ihnen zu treffen.

Die Regierung wollte kein Risiko eingehen. Bevor der Papst am Montag eintraf, wurden nach Angaben des Komitees für Menschenrechte und Nationale Versöhnung 70 Oppositionelle inhaftiert. Befürchtet wurden nicht Proteste gegen den Papst, sondern Versuche, dessen Anwesenheit für öffentlichkeitswirksame Aktionen zu nutzen. Die Bemühungen waren erfolgreich, nur ein vereinzelter Protestierender musste abgeführt werden, während Raúl Castro und 200 000 weitere Zuhörer der päpstlichen Messe lauschten.
Friedlich hat die Polizei Mitte März die Kirche der Barmherzigen Jungfrau von Cobre in Havanna auf Bitten des Klerus geräumt. Die 13 Dissidenten verließen den Kirchenbau im Zentrum Havannas aber nicht, ohne erneut an Papst Benedikt XVI. zu appellieren, sich bei seinem Besuch in Kuba auch mit Oppositionellen zu treffen. Über die Situation der Menschenrechte unter der Regierung von Raúl Castro wollen sie mit ihm genauso sprechen wie über die Rolle der Kirche als alleinigen Ansprechpartner, wenn es um die Freilassung von politischen Gefangenen geht. Heikle Themen, die schon beim Besuch von Johannes Paul II., der 1998 als erster Papst Kuba bereiste, für Schlagzeilen sorgten. »Kuba wird sich der Welt öffnen, und die Welt wird sich Kuba öffnen«, prognostizierte er damals.
14 Jahre sind seitdem vergangen, und Kuba hat sich merklich verändert. Grund dafür ist nicht nur die ökonomische Reformpolitik der vergangenen Jahre, sondern auch der gesellschaftliche Wandel. Der sei auch an der Kirche nicht vorbeigegangen, sagt Miriam Leyva. »Die Kirche hat eine neue Rolle«, urteilt die gläubige Katholikin, die zu den Gründerinnen der »Damen in Weiß« gehört. Die Frauenorganisation wurde 2003 gleichsam vor den Türen der kubanischen Staatssicherheit gegründet. »Um unsere Männer freizubekommen«, erklärt Leyva. Ihr Ehemann, der Ökonom Oscar Espinosa Chepe, gehörte zu den Verhafteten und wurde wie 74 andere zu einer hohen Gefängnisstrafe verurteilt. Damals suchten die verzweifelten Frauen, Mütter, Tanten und Schwestern der 75 Häftlinge Hilfe bei der Kirche. »Was sollten wir tun? Die Kirche ist die einzige Institution in Kuba mit großem Prestige, und sie hat immer reagiert«, sagt Leyva.
Jeden Sonntag trafen und treffen sich bis heute ganz in weiß gekleidete Frauen in der Kirche Santa Rita in Havannas Stadtteil Miramar. Der Padre José Félix Pérez protestierte dagegen, dass die Ausweise der »Damen in Weiß« in der Umgebung der Kirche von der Polizei kontrolliert wurden, und Kardinal Jaime Ortega hat die Regierung von Raúl Castro mehrfach aufgefordert, die Angriffe auf die Frauenorganisation zu unterbinden.

Die Geistlichen waren erfolgreich, denn Kubas katholische Kirche ist seit Jahren die wichtigste Vermittlungsinstanz zwischen der Regierung und der Opposition. Erst erfolgte die Vermittlung im Verborgenen, doch in den vergangenen Jahren ist die Kirche immer öfter auch öffentlich in Erscheinung getreten. Hirtenbriefe, aber auch Interviews und vor allem der Einsatz der Kirche als Mittler bei der Freilassung von mehr als 100 poli­tischen Gefangenen, darunter auch die restlichen Häftlinge der »Gruppe der 75«, belegen das.
Der Wandel im Verhältnis von Staat und Kirche begann mit einer Audienz von Fidel Castro bei Johannes Paul II. im Jahr 1996. Anlässlich des UN-Welternährungsgipfels war Castro in Rom gewesen, dort verbrachten die beiden alten Männer mehrere Stunden miteinander. Dem Treffen folgte der erste Papstbesuch in Kuba. Der machte weltweit Schlagzeilen, auch weil sich der Papst gegen das Handelsembargo der USA aussprach.
Das war ein diplomatischer Erfolg für Fidel Castro, der im Laufe der neunziger Jahre seinen Frieden mit der Religion und auch mit der katho­lischen Kirche gemacht hat. Die war den Revolutionären nicht gerade wohlgesonnen gewesen. Politische Reden von der Kanzel hatte es Anfang der sechziger Jahre genauso gegeben wie die Teilnahme von drei Geistlichen an der Invasion in der Schweinebucht 1961. Fortan galt die katholische Kirche als konterrevolutionär, und die Verstaatlichung des Bildungssystems sowie der Friedhöfe traf den Klerus empfindlich, ebenso wie eine Reihe von Ausweisungen von Priestern sowie einem Weihbischof zu Beginn der sechziger Jahre.
Das zog die Ausreise zahlreicher Geistlicher und Ordensschwestern nach sich. Zudem wandten sich viele der jüngeren Kubaner von der überaus konservativen Kirche ab. Kubas kommunistische Partei verstand sich als atheistisch und Gläubige aller Konfessionen waren in ihr nicht erwünscht. Das änderte sich erst mit dem Parteitag 1991, auf dem die konstitutionelle Neudefinition vom atheistischen zum laizistischen Staat erfolgte. Damit wurden die ideologischen Hindernisse für die langsame Annäherung von Staat und Kirche beseitigt.

Für die Kirche hat sich seitdem der Handlungsspielraum merklich erweitert. Die Einreise von Priestern und Ordensfrauen ist heute einfacher als noch zu Beginn der neunziger Jahre, und auch bei der Renovierung zahlreicher Kirchen stand die Regierung nicht im Weg. Das änderte sich auch mit der Machtübernahme durch Raúl Castro im Juli 2006 nicht. Wie sein Bruder Fidel ist Raúl am Jesuitenkolleg Dolores in Santiago de Cuba und später am Kolleg Belén in Havanna unterrichtet worden. Unter seiner Führung ging die Annäherung zwischen der Regierung und der einzigen Institution der Insel, die eine flächendeckende Infrastruktur vorweisen kann, weiter.
Davon zeugt beispielsweise der Neubau des ersten Priesterkollegs seit 50 Jahren auf der Insel. Das wurde 2010 in Anwesenheit von Raúl Castro eingeweiht. Eine Nachricht, die weniger Schlagzeilen machte als die etappenweise Freilassung von mehr als 100 politischen Gefangenen durch die Vermittlung der katholischen Kirche und des spanischen Außenministeriums im Laufe der Jahre 2010 und 2011. Eine Vermittlung, zu der es keine Alternative gab, so Miriam Leyva von den »Damen in Weiß«. Für sie ist die Kirche die einzige Institution, die die nötige moralische Integrität besitzt, um vermitteln zu können. Für die Kirche ist das Teil ihres Auftrags. Johannes Paul II. hatte schließlich an die Bischöfe appelliert, sich stärker für die Rechte der Menschen einzusetzen, argumentiert Bischof Dionisio Guillermo García Ibáñez aus Santiago de Cuba.

Allerdings wird die Mittlerrolle der Bischöfe um Kardinal Jaime Ortega nicht überall so positiv beurteilt. Oswaldo Payá, Repräsentant der christlichen Befreiungsbewegung, kritisiert die neue Rolle der Kirche. »Sie hat die Rolle des alleinigen Gesprächspartners inne. Das bedeutet, dass andere Organisationen ausgeschlossen werden«, moniert der Träger mehrerer internationaler Menschenrechtspreise. Ein starker Kontrast zu den Worten Raúl Castros, der auf dem Parteitag im April 2011 die »Loyalität, Transparenz und das konstruktive Ambiente, in dem die Gespräche mit der Kirche verlaufen«, lobte.
In diesem Ambiente fand auch der Besuch von Benedikt XVI. in Kuba statt. Lediglich beim Anflug auf Kuba äußerte er Kritik: Die »marxistische Ideologie in ihrer ursprünglichen Form« entspreche nicht mehr der Wirklichkeit. Dass Abtreibung auf Kuba legal ist, gefiel ihm ebenso wenig. Das erklärte Ziel des Klerus ist die »Wiedergewinnung von Räumen innerhalb der Gesellschaft«, über Bildungseinrichtungen sowie karitative Arbeit. Die Opposition befürchtet, dass die Menschenrechtsarbeit darunter leiden könnte. Für viele Dissidenten ist die fehlende Bereitschaft zu einem Treffen mit Oppositionellen dafür ein Indiz.