Sparpolitik und Rezession in Spanien und Portugal

Luanda statt Lissabon

Viele Portugiesen und Spanier protestieren gegen die Sparpolitik, die eine Rezession verursacht. Andere wandern aus.

So schnöde können große Träume enden. In einer Dekade sollte Europa die wettbewerbsfähigste Region der Welt werden, wie die EU-Regierungschefs einst auf dem Lissaboner Gipfeltreffen im Jahr 2000 verkündeten. Ein Dutzend Jahre später leben tatsächlich insbesondere immer mehr Portugiesen in Wachstumsregionen, nur liegen diese nicht wie erhofft in Europa, sondern in Südamerika und Afrika.
So sind in den vergangenen Jahren Hunderttausende Portugiesen in die ehemaligen Kolonien Angola und Brasilien ausgewandert. Kürzlich ermunterte sogar Ministerpräsident Pedro Passos Coelho junge arbeitslose Lehrer dazu, in portugiesischsprachige Länder zu gehen, weil dort Lehrermangel herrsche. Mittlerweile ist in den Me­dien von der größten Auswanderungswelle aller Zeiten die Rede, was in dem stark von Migration geprägten Land viel heißen will.
Dabei sind die vorwiegend jungen und gut ausgebildeten Portugiesen oft nicht auf die Situation vorbereitet, die sie im Ausland erwartet. Die portugiesische Baugewerkschaft SCP warnt sogar davor, dass viele Migranten in Frankreich oder Deutschland »dreist ausgebeutet« würden und häufig ein Dasein als »Arbeitssklaven« fristen müssten. Dennoch ziehen es viele Portugiesen vor, zu gehen. Nach Jahren der Krise, unzähligen Sparbeschlüssen und Reformen sehen sie keine Perspektive mehr.
Die Tageszeitung O Publico aus Lissabon berichtete vergangene Woche, dass rund zwei Drittel der Beschäftigten mit einem Nettogehalt zwischen 310 und 900 Euro auskommen müssen. Rund ein Fünftel der Bevölkerung lebt an der Armutsgrenze, die offizielle Arbeitslosenrate liegt bereits bei 14 Prozent. In diesem Jahr wird die Wirtschaft voraussichtlich um drei Prozent schrumpfen, während Steuern und Lebenshaltungskosten weiter steigen.
Im vergangenen Jahr musste Portugal internationale Finanzhilfen in Höhe von 78 Milliarden Euro in Anspruch nehmen. Im Gegenzug beschloss die Regierung ein hartes Sparprogramm, um die Schulden abzubauen. Weil nun die Steuereinnahmen einbrechen und die Sozialausgaben steigen, genügen die bisherigen Sparprogramme nicht, um den vorgesehenen Schuldenabbau zu erreichen.

Die Regierung hat daher weitere Kürzungen angekündigt und plant zudem eine Reform des Arbeitsrechts. Demnach soll vor allem der Kün­digungsschutz gelockert werden, wobei das Land schon jetzt eine der höchsten Quoten an prekären Beschäftigungsverhältnissen in Europa hat. Zudem dürfen Unternehmen künftig von Tarifverträgen abweichen und weniger Lohn zahlen. An diesen Vorhaben wird vermutlich auch der Generalstreik von vergangener Woche nicht viel ändern, zu dem vor allem die größte Gewerkschaft CGTP aufgerufen hatte. »Besetze die Straße, blockiere alles«, hieß einer der Slogans der Streikenden. Dem Aufruf folgten jedoch weit weniger Menschen als erwartet. Die zweitgrößte Gewerkschaft UGT hat sich gar nicht erst an den Protesten beteiligt.
Wegen einer geplanten Arbeitsmarktreform kam es in Spanien in der gleichen Woche zu landesweiten Streiks, die vor allem in der Autoindustrie, aber auch beim öffentlichen Transport Wirkung zeigten. Die spanische Regierung will ebenfalls den Kündigungsschutz drastisch begrenzen und das Tarifrecht einschränken. Löhne und Arbeitszeiten können demnach zwischen Unternehmern und Beschäftigten individuell vereinbart werden. Die Proteste richteten sich außerdem gegen den neuen Haushaltplan, den die Regierung vergangene Woche verabschiedet hat und der Kürzungen in Höhe von rund 27 Milliarden Euro vorsieht. Insgesamt will sie in den kommenden beiden Jahren rund 60 Milliarden Euro einsparen, um das mit der EU vereinbarte Defizitziel von drei Prozent zu erreichen. Finanzminister Cristóbal Montoro sprach vom »härtesten Sparprogramm«, das in Spanien seit dem Ende der Franco-Diktatur vor mehr als 30 Jahren angenommen worden sei. Die Tageszeitung El Pais sieht das Land sogar auf dem »besten Weg in eine Kriegswirtschaft«. Nach Regierungsprognosen wird die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um 1,7 Prozent zurückgehen, die Arbeitslosenquote liegt bei 23 Prozent und damit ähnlich hoch wie in Griechenland, von den unter 25jährigen hat sogar jeder zweite keinen Job.

Spanien befindet sich in einem ähnlichen Dilemma wie andere südeuropäische Staaten. Wegen der Sparmaßnahmen sinken die Binnennachfrage und die Steuereinnahmen. Ohne Gegenmaßnahmen wird daher das Haushaltsdefizit weiter steigen. Verschärft die Regierung wie angekündigt ihren Sparkurs, droht das Land endgültig in einer schweren Rezession zu versinken. Schränkt es die Kürzungen ein, steigen die Zinsen für spanische Staatsanleihen. Diese befinden sich schon jetzt auf einem Niveau, das eine Refinanzierung nur bedingt möglich erscheinen lässt.
Kein Wunder also, dass das Land als der derzeit größte Risikofaktor in der Euro-Krise gilt. Dabei entstanden Spaniens Probleme nicht durch überproportionale Staatsausgaben, wie etwa im Falle Griechenlands. Vielmehr galt die Haushaltspolitik des Landes in den vergangenen Jahren sogar als vorbildlich, die Schuldenquote lag unter der von Deutschland. Dass sich die Situa­tion dennoch so dramatisch entwickeln konnte, hat viel mit den ökonomischen Ungleichheiten in der EU zu tun. Insbesondere deutsche, aber auch niederländische und finnische Banken legten die Erlöse aus den Exportüberschüssen in Spanien an, wo sie vorwiegend in die boomende Immobilienwirtschaft investiert wurden. Als diese Blase platzte, brach die Wirtschaft ein und die Staatsdefizite wuchsen rasant. Mittlerweile sitzen spanische Banken und Bausparkassen auf maroden Krediten in Höhe von bis zu 200 Milliarden Euro. Der Staat und auch der Privatsektor werden diese Summe kaum aufbringen können. Die Zeichen mehren sich daher, dass Spanien, ähnlich wie Irland, den »Rettungsschirm« in Anspruch nehmen muss, um seine Banken aufzufangen.
Wegen dieser Entwicklung wurde der European Stability Mechanism (ESM) bereits auf 800 Milliarden Euro aufgestockt. Die Bundesregierung übernimmt dabei Garantien für etwa die Hälfte der Summe, was ihren Einfluss noch weiter stärken wird. Deutschland befinde sich damit auf dem Weg, eine »neoimperiale Macht« in Europa zu werden, kommentierte die italienische Zeitung La Repubblica.

Allerdings treibt die Bundesregierung damit eine paradoxe Entwicklung voran. Einerseits setzte sie mit aller Härte den Fiskalpakt durch und zwingt die verschuldeten EU-Staaten zu rigorosen Sparmaßnahmen. Weil diese Länder nun in ­einer Rezession versinken, schwindet jedoch die Aussicht, dass sie in absehbarer Zeit ihre Defizite reduzieren können.
Anderseits schließt Bundeskanzlerin Angela Merkel aber bislang kategorisch aus, dass einzelne EU-Staaten aus der Euro-Zone ausscheiden könnten. Um eine mögliche Pleite zu verhindern, ist sie daher gezwungen, den Rettungsfonds notfalls unbegrenzt auszudehnen. Nur so lassen sich die Finanzmärkte irgendwann vielleicht davon überzeugen, dass eine Pleite vermieden und die Euro-Zone in ihrer bisherigen Form erhalten werden kann. Ein unbegrenzter Rettungsschirm ist aber nur möglich, wenn es eine gemeinsame Haftung aller Euro-Länder gibt – was die Bundesregierung bisher strikt abgelehnt hat.
Gut möglich also, dass die Bundesregierung ihr Ziel, die Kosten der Krise auf die andere Mitglieder der Eurozone abzuwälzen, aufgeben muss. Es wäre schließlich nicht das erste Mal, dass große Träume in Europa scheitern.