Die Ermittlungen gegen Dominique Strauss-Kahn

Nicht sehr gepflegt

Fast wäre Dominique Strauss-Kahn in Frankreich Präsidentschaftskandidat geworden. Nun wird wegen Zuhälterei ­gegen ihn ermittelt.

»Das Wort Material bezeichnet eine Person weiblichen Geschlechts«, erläuterte Dominique Strauss-Kahn. Der ehemalige französische Wirtschaftsminister und Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF), der beinahe Präsidentschaftskandidat geworden wäre, war gezwungen, den Ermittlern Auskünfte zu geben. Er wurde Ende Februar über den Wortlaut verschiedener SMS-Botschaften befragt, die auf seinem Mobiltelefon gespeichert und von diesem aus versandt worden waren. Darunter befand sich eine Nachricht an den Unternehmer Fabrice Paszkowski: »Möchtest du am 4. Juli mit mir einen wunderbaren heißen Club in Madrid aufsuchen, zusammen mit mir und Material?« Den Vernehmern erklärte Strauss-Kahn, »das Vokabular« in solchen SMS-Wechseln sei »nicht sehr gepflegt« gewesen. Und es gehe nun einmal »schneller, ein Wort zu gebrauchen statt einer Liste von Vornamen, wenn von mehreren Personen die Rede ist«.
Die Ermittler interessierten sich zunächst für Fabrice Paszkowski, bevor sie auf Strauss-Kahn stießen. Denn gegen den Betreiber einer Firma für medizinische Geräte in Lens läuft seit dem 21. Oktober vergangenen Jahres ein Strafverfahren wegen »bandenmäßig betriebener Zuhälterei«, Bildung einer kriminellen Vereinigung, Betrugs und Hinterziehung von Firmenvermögen. In jenem Monat kam die sogenannte Carlton-Affäre an die Öffentlichkeit, benannt nach einem Luxushotel in der nordfranzösischen Regionalhauptstadt Lille.
Die Untersuchungen waren im Februar 2011 durch eine anonyme Anzeige eingeleitet worden. Drei Untersuchungsrichter mit Erfahrung in Sachen Wirtschaftskriminalität ermitteln seit einem Jahr in dieser Strafsache. Vor einem halben Jahr eröffneten sie die ersten Anklageverfahren gegen einige Hauptverdächtige.

Inzwischen zieht die Strafsache weite Kreise. Ihren spektakulären Charakter verdankt die Affäre insbesondere der Verstrickung von Strauss-Kahn, der bei Beginn der Ermittlungen noch als aussichtsreichster Präsidentschaftskandidat betrachtet wurde. Seine politische Karriere wurde jedoch jäh unterbrochen, nachdem er in einem anderen Zusammenhang am 14. Mai vorigen Jahres in New York unter dem Vorwurf der versuchten Vergewaltigung und der sexuellen Aggression festgenommen worden war. Nafissatou Diallo, eine Zimmerfrau im Hotel Sofitel, hatte Strafanzeige gegen Strauss-Kahn gestellt. Die französische Sozialdemokratie musste sich daraufhin einen anderen Präsidentschaftskandidaten und der IWF sich einen neuen Direktor suchen, Strauss-Kahn verbrachte ein paar Tage im Gefängnis.
Nach Hinterlegung einer Kaution von mehreren Millionen Dollar wurde er in Hausarrest überführt. Im August vorigen Jahres wurde das Strafverfahren jedoch eingestellt, weil die Zeugin nach Angaben der Staatsanwaltschaft widersprüchliche Aussagen gemacht hatte. Doch damit ist der Fall nicht erledigt. Denn nunmehr steht noch ein zivilrechtliches Verfahren aufgrund einer Schadensersatzklage von Nafissatou Diallo ins Haus. Es wurde am Mittwoch vergangener Woche mit einer ersten Anhörung vor einem New Yorker Gericht eröffnet.
In zwei bis drei Wochen wird man wissen, wie es in dem Zivilprozess weitergeht, da der zuständige Richter Douglas McKeon dann über den Einspruch von Strauss-Kahns Anwälten entschieden haben wird, demzufolge der Angeklagte zum fraglichen Zeitpunkt »diplomatische Immunität« besessen habe, weil er in seiner Eigenschaft als IWF-Direktor aus Washington über New York gereist sei, um von dort aus nach Berlin zu fliegen. Doch die offizielle Position des IWF in der US-Hauptstadt war im Mai vorigen Jahres, dass Strauss-Kahn nur »aus privaten Gründen«, also nicht in Ausübung seines Amtes in New York ­gewesen sei. Folgt der Richter den Angaben des IWF, könnte Strauss-Kahn zu einer Schadensersatzzahlung in Millionenhöhe verurteilt werden, auch eine »gütliche Einigung« mit finanzieller Entschädigung wäre möglich.

In den USA wird nun aufmerksam verfolgt, was die Ermittlungen in Frankreich ergeben. Dort wurde Strauss-Kahn am Montag vergangener Woche von den in der »Carlton-Affäre« tätigen Untersuchungsrichtern – und erstmals nicht mehr nur von Polizeibeamten – vernommen. Am Abend kam er nach achtstündiger Vernehmung und Zahlung einer Kaution in Höhe von 100 000 Euro frei, gegen ihn wurde jedoch ein Strafverfahren wegen »bandenmäßig betriebener Zuhälterei« eröffnet.
Dass Strauss-Kahn Frauen als »Material« betrachtete, war in Frankreich seit langem bekannt. Seine Neigungen machten sich einige Hauptakteure der »Carlton-Affäre« zunutze, um nach der damals allgemein erwarteten Wahl Strauss-Kahns zum Präsidenten politischen oder wirtschaftlichen Einfluss ausüben zu können. Jean-Christophe Lagarde, ein führender Polizeifunk­tionär in Nordfrankreich, der auf eine Karriere als »Sicherheitspolitiker« wartete, Geschäftsmänner wie Paszkowski und der Bauunternehmer David Roquet belieferten Strauss-Kahn mit »Material«. Zusammen mit als escort girls bezeichneten Prostituierten richteten sie »subtile Partys« – also Gruppensexorgien – in Paris, Brüssel und Washington für ihn aus. Mindestens dreimal besuchten die Herren mitsamt weiblicher Gefolgschaft den damaligen IWF-Direktor in der US-Hauptstadt. Bezahlt wurden Flugtickets und andere Rechnungen etwa vom Unternehmen Paszkowkis und dem seiner ehemaligen Freundin Virginie Dufour sowie von der nordfranzösischen Filiale des Baukonzerns Eiffage.
Strauss-Kahn will von alldem nichts gewusst haben, sondern davon überzeugt gewesen sein, es mit unbezahlten Anhängerinnen der freien Liebe zu tun gehabt zu haben. Auch, so wehrte er sich gegen den Vorwurf der »bandenmäßig betriebenen Zuhälterei«, habe er sich nie um die Vorbereitung des Ablaufs der Abende gekümmert. Die Ermittler hingegen geben an, nach ihren Erkenntnissen habe Strauss-Kahn sehr genaue Anweisungen über Personen und Ablauf gegeben.