19.04.2012
Das europäische Emissionshandelssystem

Die große Klimaschutz-Simulation

Seit 2005 gibt es das europäische Emissionshandelssystem. Statt den Ausstoß des Klimagases Kohlendioxid zu begrenzen, öffnet der Emissionshandel vielen Formen von Betrug Tür und Tor.

Seit 2005 gibt es innerhalb der Europäischen Union ein neues Handelsgut: Emissionen. Seitdem müssen Unternehmen in der EU für jede ausgestoßene Tonne Kohlendioxid (CO2) sogenannte Verschmutzungzertifikate vorweisen. Diese Zertifikate erhalten die Unternehmen weitgehend kostenlos, sie können allerdings untereinander mit den Zertifikaten Handel treiben. Dem Emissionshandel wurden etwa 11 000 Anlagen in 30 europäischen Ländern (27 aus der EU plus Liechtenstein, Island und Norwegen) unterworfen.
Nach herrschender Meinung kann die Menge des Ausstoßes des klimaschädlichen Gases CO2, das bei Verbrennung der fossilen Energieträger Öl, Kohle und Erdgas entsteht, auf diese Weise begrenzt werden. Da die Unternehmen die Zertifikate untereinander handeln, können sie entscheiden, ob sie in CO2-ärmere Techniken investieren oder am Markt Zertifikate anderer Unternehmen kaufen, um damit ihre CO2-Emissionen zu decken. Nach der zugrundeliegenden Theorie werden dadurch die Emissionen dort eingespart, wo es am kostengünstigsten ist. Wäre es so, dann würde jeder Euro dort investiert, wo er den größten Nutzen für den Klimaschutz hätte.

Allerdings wurde bereits in der ersten Handelsperiode von 2005 bis 2007 ein wichtiges strukturelles Problem des Emissionshandels offenbar. Die betroffene Industrie kann enormen politischen Druck ausüben, um die politischen Insti­tutionen dazu zu zwingen, mehr Zertifikate als nötig auszustellen. Dies führt dazu, dass der Preis der Zertifikate niedriger bleibt als erwartet. Nach anfänglichen Ausschlägen nach oben bis etwa 30 Euro pro Tonne CO2 sank der Preis der Zertifikate gegen Ende der Handelsperiode nahezu auf Null. Durch den politischen Druck der machtvollen betroffenen Kapitalfraktionen, insbesondere aus dem Energiesektor, findet also regelmäßig eine Überausstattung mit Zertifikaten statt.
Die zweite Handelsperiode von 2008 bis 2012 ist zwar nach offizieller Lesart durch eine leichte Verknappung um 1,9 Prozent gegenüber den Emissionen des Jahres 2005 gekennzeichnet, gleichzeitig wurde der betroffenen Industrie aber mit den »flexiblen Instrumenten« der Joint Implementation (JI) und des Clean Development Mechanism (CDM) willkommene Hintertürchen ins Ausland geöffnet. Im Rahmen der Joint Implementation können Projekte in anderen Industrieländern, beispielsweise Investitionen in den Bau neuer oder in die Modernisierung von Kraftwerken in Osteuropa und Russland, angerechnet werden. CDM wird in Entwicklungsländern – darunter auch China – durchgeführt. Die errechneten Einsparungen können sich die europäischen Unternehmen anrechnen lassen. Beide Instrumente haben es ermöglicht, dass der Preis der auch an der Europäischen Energiebörse in Leipzig gehandelten Zertifikate derzeit bei etwa sieben Euro pro Tonne liegt. Auch die Wirtschaftskrise trägt zu dieser Entwicklung bei.
Um die Zertifizierung von Projekten im Rahmen von JI und CDM kümmert sich eine neue Gruppe von Consulting-Firmen. Diese verwandeln die heiße Luft aus dem Zusammenbruch der Industrie und der Transformation des Energiesektors der ehemals realsozialistischen Länder in eine handelbare Ware. So können die wallfall profits, also die einmaligen realen Effizienzgewinne der Transformation von der sozialistischen in die kapitalistische Ökonomie, in westlichen Indus­triestaaten angerechnet werden. Die postsozialistischen Staaten erhalten dafür Geld, die west­lichen Industriestaaten können sich mit diesen zusätzlichen Zertifikaten von Maßnahmen im eigenen Land freikaufen und ihren zerstörerischen Wachstumskurs unbeirrt fortzusetzen.

Auch ein Großteil der CDM-Zertifikate beruht auf solch heißer Luft. Werden beispielsweise »hocheffiziente« Kraftwerke in Entwicklungsländer exportiert, dann wird der Unterschied zwischen einem Standardkraftwerk und dem moderneren Kraftwerk zum handelbaren Zertifikat. Etwa ein Drittel der CDM-Projekte weltweit wird nach Angaben der Nichtregierungsorganisation CDM Watch in China durchgeführt. Dort werden aber seit 2008 nur noch moderne Kraftwerke gebaut und der steigende Kohlepreis erzeugt zusätzlich ökonomischen Druck, um die effizientesten Anlagen zum Einsatz zu bringen. Aufgabe der Zertifizierer ist es in diesem Fall, die »Zusätzlichkeit« der angeblichen Einsparungen des geplanten Kraftwerks nachzuweisen, dafür ist ihnen jedes Mittel – auch die Fälschung – recht.
Das Beispiel der Stromwirtschaft zeigt allerdings auch, dass selbst die betroffenen Industrien vom Emissionshandel profitieren können. Bei ihrer Preiskalkulation berücksichtigen die Stromkonzerne auch Emissionszertifikate, tun aber so, als ob sie für ihre gesamte Produktionsmenge Zertifkate erwerben müssten, obwohl sie den Großteil bisher kostenlos zugeteilt bekamen.
So durchzieht der Betrug das gesamte System des Emissionshandels. Einzelne Kapitalfraktionen können sich an der Simulation des Klimaschutzes bereichern. Der Öffentlichkeit wird vorgetäuscht, der Emissionshandel werde irgendwann in der Zukunft ein wirkungsvolles Instrument zum Schutz des Klimas. Nichts spricht jedoch dafür, dass dies eines Tages so sein wird.