Andi Serkis im Gespräch über den Musiker Ian Dury

»Er schmiss mit lauter Gemeinheiten um sich«

Ian Dury wurde mit der Rockhymne »Sex & Drugs & Rock & Roll« unsterblich. In dem gleichnamigen Biopic, das jetzt auf DVD erscheint, spielt Andy Serkis den Musiker, der 2000 im Alter von 57 Jahren starb. Im Interview erzählt der britische Schauspieler, wie er sich auf die Rolle vorbereitet hat, und erinnert sich an eine zufällige Begegnung mit Dury vor vielen Jahren.

Ian Dury mischte schwarze Musik, also Funk, Reggae und Soul, mit dem Geist von Punk: Sie waren noch ein Teenager, als er seine größten Hits hatte und lebten zu dieser Zeit in London.
Zum ersten Mal hörte ich Ian Dury, als ich mit meiner Klasse auf einem Ausflug war, »Hit me with your rhythm stick«, jemand hatte ein kleines Transistorradio dabei und plötzlich hörten wir (singt) »In the deserts of Sudan«, das war wirklich außergewöhnliche Musik. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nur die Musik meiner drei älteren Schwestern gehört: Fleetwood Mac, Steely Dan, Abba oder Cat Stevens. Und plötzlich war da diese ungewöhnliche Stimme. Aber ich war ein bisschen zu jung, um die Musik zu verstehen. Ich habe Ian nie live gesehen. Später gehörte ich selbst zur Ska-Bewegung, hörte die Specials, Madness und anderes 2Tone-Zeugs: Diese Bands wurden ja direkt von Ians Musik beeinflusst.
Sie haben Ian Dury dann viele Jahre später in einem Restaurant getroffen, und er soll sich wie ein richtiges Arschloch aufgeführt haben. Was ist da vorgefallen?
Ich traf ihn in einem chinesischen Restaurant, das war so 1996, wir probten für ein Stück, und er schrieb die Musik dafür. Er hatte zuviel getrunken und schmiss mit Gemeinheiten um sich, er führte sich wirklich unmöglich auf, aber im Rückblick bin ich froh, ihn so erlebt zu haben, weil ich ihn immer sehr bewundert hatte. Als wir dann ein wahrhaftes Bild von ihm in diesem Film zeichnen wollten, war dieses Erlebnis in gewisser Weise wie eine Befreiung, ich musste ihn nicht mehr idealisieren.
Sie beschönigen seinen Hang zum Exzess in dem Film ja auch nicht.
Wir hatten sehr engen Kontakt zu Ians Familie. Alle, die wir gefragt haben, wollten über ihn reden. Es hat ein großes Loch in ihr Leben gerissen, als er starb. Er hinterließ eine Menge Leute im freien Fall, natürlich vor allem seine Band, die Blockheads, weil er viele Leute wirklich tief berührt hat – im Guten wie im Schlechten –, und die ganze Familie hat gesagt, als sie das Skript angeschaut haben: »Er war in Wirklichkeit noch viel schwieriger, habt keine Angst, zu grob zu sein und ihn so richtig unsympathisch darzustellen, habt keine Angst davor, denn das ist die Wirklichkeit!« Als wir herumgezogen sind, um Geld für den Film aufzutreiben, haben die Leute uns immer wieder gesagt: »Aber er ist so ein unsympathischer Charakter.« Aber er hat etwas, was uns ihm vieles verzeihen lässt. Und das ist seine Ehrlichkeit. So verzeihen ihm die Menschen schließlich und bleiben am Ende auf seiner Seite.
Ian Dury war behindert, er litt an den Folgen einer Polio-Erkrankung. Wie haben Sie sich auf diesen Aspekt der Rolle vorbereitet?
Meine Mutter hat früher behinderte Kinder unterrichtet, also war ich mit Polio- und Rückenmarkskrankheiten vertraut. Außerdem habe ich meine MS-kranke Schwester erlebt. Ian hat sich selbst aber nie als Behinderter gesehen, er sah sich nie als Opfer. Auf der einen Seite hasste er es, von Menschen abhängig zu sein, auf der anderen Seite wusste er genau, dass er Leute um sich herum brauchte. Er wollte Menschen nie gehen lassen, er wollte immer an einer großen Familie festhalten, aber er wusste seine »Behindertenkarte« wohl auch gut auszuspielen.
Kannten Sie diese Problematik aus ihrer eigenen Familie?
Ich habe mit meiner Schwester darüber gesprochen, sie konnte sehr schwierig sein im Umgang mit den Menschen, die für sie sorgten. Sie kann beispielsweise richtig gemein zu ihrem Partner sein. Und Ian tat so etwas auch immer, wenn er glaubte, er bekomme nicht genug Aufmerksamkeit von den Leuten. Dann fiel etwa seine Krücke um, und er erwartete, dass die anderen ihm dienten wie einem König. Später trug er seine Behinderung wie ein Ehrenabzeichen, es ist also eine sehr komplexe Geschichte, und wir wollten das auch zeigen. Ian Durys Behinderung erzählt eben nur einen Teil seiner Biographie.
Der Film schildert die gelegentlichen Besuche, die Ians Vater seinem Sohn im Heim für behinderte Kinder abgestattet hat. Ich habe mich allerdings gefragt: Wo bleibt Ians Mutter? Warum kommt sie nicht im Film vor?
Nun, der wahre Grund ist: Es würde einfach zu viele Fragen aufwerfen. Ian wuchs ja tatsächlich mit seiner Mutter und seinen zwei Tanten auf. Sie waren Bohemians, sehr belesen, nur sein Vater kam aus der Arbeiterklasse. Er war Busfahrer, ein Ex-Boxer, dann wurde er Chauffeur. Ian definierte seine Bühnenpersönlichkeit aber mit Hilfe seines von ihm idealisierten Vaters, der in Wirklichkeit so aber gar nicht existierte.
Das steht im Zentrum unseres Films, und so wollten wir seine Mutter nicht auch noch vorkommen lassen. Wir haben Ians Illusionen über seinen Vater verfilmt.
Seine damalige Band The Blockheads gibt es immer noch. Sie haben mit ihnen zusammen den Soundtrack für den Film aufgenommen.
Noch vor dem Film haben der Regisseur, der Autor und ich ausführlich mit den Blockheads geredet. Wir haben sie uns angeschaut, als sie auf Tour waren, und letztes Jahr sind wir dann zusammen ins Studio gegangen. Achtzehn Songs haben wir in zwei Tagen aufgenommen, und der erste Song war »Wake up and make love with me«. Die Bandmitglieder, die mich sehr unterstützt haben, sagten: Du klingst genau wie Ian. Mit dem Keyboarder Chaz Jankel, der damals viele der Stücke komponierte, habe ich mich sogar angefreundet.
Spielen Sie auch ein Instrument?
Ja, ich spiele Saxophon und manchmal spiele ich sogar mit Chaz zusammen. Ich kenne mich ganz gut in der Jazzmusik aus, was interessant ist, weil Ian Dury auch sehr auf Jazz stand, er war ein großer Fan von Charlie Mingus, Ornette Coleman oder John Coltrane. Auch deshalb war ich sehr aufgeregt, Ian zu spielen, um heraus­zufinden, wie viele Überschneidungen es mit meinen eigenen Vorlieben in der Kunst und der Musik gäbe. Ian hatte Kunst studiert, bevor er Musiker wurde, und mit einem Kunststudium hatte ich tatsächlich auch einmal angefangen.
Haben Sie sich schon mal gefragt, was Ian Dury über Ihre Darstellung sagen würde?
Als wir den Film zuerst der Familie zeigten, gab es am Ende Tränen und viele Umarmungen, und sie sagten, Ian würde bestimmt über den Film lachen! Sie waren wirklich sehr froh über den Film, den wir gemacht haben, denn sie fühlten, dass das eine ehrliche Interpretation seines Leben war. Wissen Sie, es gibt da einen englischen Ausdruck, der soviel bedeutet wie »jemandem eine liebevolle Ohrfeige geben«, und so hat zumindest auch Ians Familie diesen Film empfunden.
Sex & Drugs & Rock & Roll (Großbritannien 2010).
DVD. Universum Film