Die Lage nach dem Putsch in Mali

Kampf um die Wüste

Nach dem Militärputsch in Mali regiert ein ziviler Übergangspräsident. Er steht im Konflikt mit den rebellischen Tuareg und den Jihadisten im abgespaltenen Norden.

Der Ablauf der Ereignisse seit dem 22. März dieses Jahres im westafrikanischen Staat Mali war chaotisch. Er lässt die Annahme zu, dass kaum einer der wesentlichen Beteiligten wirklich über einen Plan verfügte, sondern dass es sich um einen Krisenprozess handelt, der sich nur schwer kontrollieren lässt. In der Nacht vom 21. zum 22. März stürzte die malische Armee den seit 2002 amtierenden Präsidenten Amadou Toumani Touré. Er hatte zwei Amtsperioden lang regiert und erklärt, die demokratischen Grundsätze respektieren zu wollen. Er kandidierte zu dem Zeitpunkt daher nicht für die Wahl, die nur einen Monat später stattfinden sollte. Die Armee blieb nur drei Wochen an der Macht. Währenddessen rückten die Rebellen im Norden vor und das Land wurde in zwei ungefähr gleich große Hälften geteilt. Die Armee übergab die Macht am 12. April schließlich an den zivilen »Übergangspräsidenten« Diouncounda Traoré, der die Krise nun verwalten darf.
Dem Putsch widersetzte sich ein Großteil der Bevölkerung nicht oder zumindest nicht offensiv, zum Teil wurde er sogar als Rettungsmaßnahme begrüßt. Die Machtübernahme durch einige, bis dahin wenig bekannte, Offiziere war eine Reaktion auf den schnellen Einbruch der Bürgerkriegsfront im Norden Malis, wo bewaffnete Tuareg-Rebellen unaufhörlich vorrückten.

Das Vorrücken der Rebellen, zu denen sich unterschiedliche politische Gruppen zusammengeschlossen haben, steht in engem Zusammenhang mit den jüngsten Veränderungen in Nordafrika, insbesondere mit dem Zusammenbruch des Regimes Muammar al-Gaddafis in Libyen. Um seine Widersacher zu bekämpfen, hatte Gaddafi in mehreren afrikanischen Ländern Söldner und Elitesoldaten rekrutiert. In der Sahelzone bestehen politische Spannungen zwischen den nomadisch lebenden Teilen der Bevölkerung im wüstenhaften Norden und den Regierungen im Süden der dortigen Staaten. Die jeweiligen Zentralregierungen hatten die Regionen, in denen Tuareg leben, vernachlässigt. Manche Tuareg ließen sich wegen ihrer ökonomischen Not daher bereitwillig von Gaddafi rekrutieren. Nach dem Sturz des Regimes kehrten sie in ihre Herkunftsländer zurück. Da im nunmehr von rivalisierenden Rebellengruppen verwalteten Libyen auch größere Waffenarsenale verfügbar wurden, eskalierte die Lage im Norden Malis.
Im Oktober vergangenen Jahres hatten drei höhere Offiziere der malischen Armee sich der Tuareg-Rebellion angeschlossen. Die Rebellen fordern seit längerem Unabhängigkeit für die Nordhälfte des Landes. Diese Wüstenregion ist bislang arm und unerschlossen und weist keine bekannten Rohstoffvorkommen auf. Es werden dort jedoch Erdgas an der Grenze zu Maure­tanien und Uran oder Erdöl vermutet.
Ab Mitte Januar dieses Jahres kam es zu einer heftigen Offensive der Rebellen, die sich unter dem Namen »Bewegung zur nationalen Befreiung von Azawad« (MLNA) zusammengeschlossen hatten. Es gab Gefechte bei Ménaka und Aguelhok, eine Woche später in Anderamboukane. Anfang Februar waren bereits 10 000 Menschen aus der Region vor den Kämpfen ins Nachbarland Niger geflüchtet. Mitte Februar gab es Berichte über die Hinrichtung von 100 wehrlosen malischen Soldaten. Sie seien nach ihrer Gefangennahme von Rebellen in der Nähe von Aguelhok erschossen worden. Die französische Regierung bestätigte die Information. Daraufhin kam es im Süden Malis zu Protesten der Bevölkerung. »Die Söhne des Landes« würden geopfert, klagten demonstrierende Zivilisten und Wehrpflichtige. Die Regierung statte die Armee nicht ausreichend aus. Die Souveränität des Landes, die in ehemals kolonisierten Ländern als besonders hohes Gut betrachtet wird, sei bedroht.

Die Machtübernahme durch eine Gruppe von Offizieren unter dem 40jährigen Hauptmann Amadou Sanogo wurde daher von Teilen der Bevölkerung begrüßt. Nahezu alle politischen Parteien sprachen sich hingegen gegen den Putsch sowie für die Einhaltung des Wahltermins aus und schlossen sich zu einem Bündnis zusammen. Nur die linksnationalistische Partei »Afrikanische Solidarität für Entwicklung und Unabhängigkeit« unter Oumar Mariko erklärte den Militärs ihre Unterstützung. Der »gesunde Teil« der Armee des Landes habe eine Initiative zu dessen Rettung ergriffen, die den Auftakt zu einer »Widerherstellung des Staates und der Demokratie« bilden könne, lautete die Begründung. 2011 hatte die ehemals marxistische Partei noch das Gaddafi-Regime unterstützt.
Die Militärregierung versprach, die Rebellen im Norden zu besiegen. Diese rückten jedoch schnell vor. Am 6. April rief der MLNA die Unabhängigkeit von »Azawad« aus. Bislang wurde der proklamierte neue Staat nicht international anerkannt.
Die Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten übte ihrerseits starken Druck auf die Mi­litärregierung aus, sie solle sich zurückziehen und »die verfassungsmäßige Ordnung wieder herstellen«. Alle Staatsführungen der Region fürchten nämlich, selbst einem Putsch zum Opfer zu fallen, sollte ein »erfolgreicher« Staatsstreich einen Präzendenzfall schaffen. Nach dem Einbrechen der Front im Norden lenkte die Militärregierung relativ schnell ein und übergab die Macht an Traoré. Der Übergangspräsident stellte sogleich einen »totalen Krieg« gegen die Rebellen im Norden in Aussicht. Dabei dürfte es sich im jetzigen Stadium nur um Kraftmeierei handeln. Seit Anfang April häufen sich jedoch Berichte, wonach Tuareg, die in Bamako leben, aus Angst vor Übergriffen den Süden verlassen.

Neben dem MNLA sind verschiedenen jihadistische Gruppen im Norden aktiv. Malische Islamisten der Bewegung »Ansar eddin« (»Partisanen der Religion«) unter dem Tuareg Iyad ag Ghali nahmen Timbuktu, Gao und Kidal ein. Auch ausländische, insbesondere algerische Salafisten und Jihadisten kämpfen für »Ansar eddin«. Drei Anführer der aus Algerien stammenden und in der Sahara aktiven »al-Qaida im Maghreb« (Aqmi) wurden dem Bamako-Korrespondenten des Figaro zufolge im von Rebellen eingenommenen Timbuktu gesichtet.
Bislang waren die Jihadisten in der Sahara eher durch Handelsbeziehungen als ideologisch mit den Tuareg und deren Rebellengruppen verbunden, auch wenn es den Islamisten gelungen ist, unter diesen und anderen Sahelbewohnern einige Anhänger zu gewinnen. Die Islamisten waren aus städtischen Gebieten der Anrainerstaaten, vor allem Algeriens, in die Wüstenzone ausgewichen, weil sie in den Zentren der Länder selbst den Kampf verloren hatten. Durch Kontakte zu den Tuareg sicherten sie ihr Überleben. Mit den politischen Zielen der Tuareg, der Unabhängigkeit des bisherigen Nordens Malis oder zumindest regionaler Autonomie, begnügen sich die radikalen Islamisten aber sicherlich nicht.
Die neue malische Übergangsregierung versucht unterdessen, die Tuareg-Rebellen, die einheimischen Islamisten der »Ansar eddin« und die ausländischen Jihadisten voneinander zu isolieren. Sie nahm Verhandlungen mit »Ansar eddin« auf, um sie von Aqmi zu trennen und weil die malische Gruppe als verhandlungsbereit gilt. »Ansar eddin« ließ daraufhin 160 gefangene malische Soldaten frei und konnte so ihre Popu­larität unter Maliern steigern. Die Rebellen des MNLA distanzieren sich ihrerseits von manchen Praktiken der jihadistischen Nachbarn in Nordmali. Eine französische NGO-Mitarbeiterin in Gao berichtete etwa, sie sei von Jihadisten gekidnappt und von Tuareg freigelassen worden. Die Regierung des Nachbarlands Mauretanien warnt inzwischen vor der »Gefahr eines neuen Afghanistan im Sahel«. Sie versucht dadurch freilich auch, ihren schon zuvor verfolgten Kurs mili­tärischer Einmischung in die Angelegenheiten Malis zu legitimieren und stärkere französische und US-amerikanische Unterstützung einzufordern.