Mobbing ist überall, jetzt klagen auch die Bosse

Wer ist hier der Mob?

Ob auf dem Schulhof, am Arbeitsplatz oder im Internet – Mobbing gibt es überall. Selbst Arbeitgeber und Führungskräfte fühlen sich mittlerweile gemobbt.

Sie hatten buchstäblich mit dem Daumen abgestimmt, als sich Ende März 50 Leute vor der Polizeistation im ostfriesischen Emden versammelten und die Herausgabe eines mutmaßlichen Kindesmörders forderten. Zuvor waren auf Facebook Name, Foto und Adresse des 17jährigen veröffentlicht worden – samt Aufruf zur Lynchjustiz. Doch schon wenige Tage später war der Mob, der zwischen einem Verdächtigen und einem Schuldigen nicht zu unterscheiden vermag, kleinlaut geworden. Denn wie sich durch einen DNA-Test herausstellte, war der verdächtigte Berufsschüler unschuldig. Inzwischen hat ein 18jähriger die Vergewaltigung und den Mord an der elfjährigen Lena gestanden. Die Ereignisse führten nicht nur der Stadt Emden, deren Bürgermeister sich vergangene Woche bei dem gebrandmarkten Jugendlichen entschuldigte, die fatale Dynamik im Internet verbreiteter Hetze vor Augen.
Spätestens seit dem Skandal um die Internetseite »I Share Gossip« wird das Thema Cyber­mobbing in den Medien ausführlich thematisiert. Die mittlerweile offline gegangene Seite für »Gerüchte« gilt als Mobbing-Plattform par excellence. Im vergangenen Jahr war sie wegen öffentlicher Hetztiraden unter Schülern und eines Gewaltakts, der damit im Zusammenhang stehen soll, in die Schlagzeilen geraten. Von Cybermobbing betroffen sind jedoch keineswegs nur Jugendliche, wie etwa der Fall von Claudia B. zeigt, die sich vergangene Woche das Leben nahm. Die 33jährige Sekretärin hatte noch im März als Kandidatin bei der Vox-Sendung »Das perfekte Dinner« teilgenommen. Es wird allgemein angenommen, dass die nach der Ausstrahlung einsetzenden Schmähungen im Internet der Anlass für ihren Selbstmord waren.

Für den Berliner Anwalt Jan Mönikes, der sich unter anderem mit Äußerungsrechten im Internet befasst, fungieren die sozialen Medien für viele Menschen als »virtueller Stammtisch«. Im Gegensatz zum Kneipengespräch hätten Äußerungen im Internet jedoch eine enorme Tragweite. Dessen seien sich viele Menschen gar nicht bewusst, wenn sie zum Beispiel etwas bei Facebook posten. »Hier betreiben viele Leute Zündelei – ohne es zu wissen«, so Mönikes gegenüber der Jungle World. »Das ändert jedoch nichts daran, dass die Scheune am Ende brennt.«
Mobbing möchte Mönikes nicht nur als ein Problem unter Schülern und Kollegen – worauf sich die Berichte zum Thema meist beschränken – verstanden wissen. Erst in der vergangenen Woche hielt er für den Bundesverband der Personalmanager (BPM) ein Seminar ab, das Cybermobbing gegen Personalmanager zum Inhalt hatte. »Insbesondere im Kontext arbeitsrechtlicher Konfliktsituationen«, hieß es in der Ankündigung, »nehmen Auseinandersetzungen zu, in denen die ›Opfer‹ von Personalentscheidungen das Internet und soziale Medien zu unberechtigten und persönlichen Angriffen gegen Personaler und andere Führungskräfte nutzen«. Auf diese Weise der Öffentlichkeit preisgegeben, fühlten sich viele Personalmanager »hilflos und – in der Tat – gemobbt«, so Mönikes gegenüber der Jungle World.
Glaubt man dem netzpolitisch kundigen Anwalt, der auch als Justiziar des BPM fungiert, so haben solche Schmähungen manchmal »große Schäden, zum Teil in Millionenhöhe« für die Unternehmen zur Folge. »Das kann auch dazu führen, dass Firmen keine Mitarbeiter mehr bekommen, weil man im Netz überall nachlesen kann, wie schlecht die Bedingungen und wie mies die Stimmung angeblich dort sei.« Als »potentiell schlimmste Mobbing-Plattform« hat Mönikes die Online-Enzyklopädie Wikipedia identifiziert, die in dieser Hinsicht einen »rechtsfreien Raum« darstelle. Zwar habe diese ein internes Regelwerk, es sei aber nicht klar, »was man wirksam tun kann, wenn man sich als Gegenstand der Betrachtung melden möchte, weil man sich diffamiert sieht«. Auch Plattformen wie »Kununu«, wo Arbeitgeber anonym bewertet werden können, hält der Anwalt für problematisch.

Bei »Arbeit und Leben«, einer Weiterbildungseinrichtung des DGB, nimmt man naturgemäß weniger Anteil an derlei Arbeitgebersorgen. Der nordrhein-westfälische Verband des Vereins hatte Anfang März das Projekt »Brennpunkt Betrieb« ins Leben gerufen, das sich mit »Mobbing von oben« beschäftigt. Mit einer Watchsite, die im Mai online gehen soll, möchte das Projekt, das von Günter Wallraff initiiert wurde, eine Hilfe gegen »Bossing« bieten. Gemeint sind damit gezielte Versuche von Arbeitgebern, unliebsame Mitarbeiter und engagierte Betriebsräte zu isolieren und aus dem Betrieb zu drängen. Den Betroffenen könne dabei auf verschiedene Weise geholfen werden, erklärt Projektsprecher Albrecht Kieser der Jungle World. Das könne eine »stille Intervention« sein, um den Konflikt intern beizulegen, die Vermittlung anwaltlicher und gewerkschaftlicher Unterstützung – oder eben der Schritt an die Öffentlichkeit.
»Natürlich besteht die Möglichkeit, dass dann die Unternehmen juristisch darauf reagieren und den Konflikt auf eine presserechtliche Ebene heben«, so Kieser. »Es gibt schließlich auch Anwälte, die sich darauf spezialisiert haben.« Seiner Erfahrung nach werden die Betroffenen, wenn sie sich öffentlich äußern, häufig von Unternehmen und Anwälten angegriffen, »die das freie Wort zu schnell als rufschädigende Äußerung brandmarken«. Dennoch könne, meint Kieser, der Schritt an die Öffentlichkeit auch zur Deeskalation beitragen, weil manchmal Unternehmen ihr Handeln, das häufig von internen Konflikten bestimmt sei, dann »in einem anderen Licht« sehen würden.

Gewiss komme es schon mal vor, dass sich auch die Gegenseite »subjektiv gemobbt fühlt«, erläutert Kieser. Er betont jedoch, dass Personalmanager und Arbeitgeber eine andere »Verfügungsgewalt« hätten und eher in der Lage seien, »Fakten zu schaffen«, als Betriebsräte oder ein unliebsamer Beschäftigter. Im Einzelfall könnten die Dinge durchaus umgekehrt liegen, im Großen und Ganzen seien die Kräfteverhältnisse aber eindeutig. Das bestätigen auch verschiedene Untersuchungen, etwa von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Demnach werden mindestens drei Prozent der Beschäftigten systematisch schikaniert, in 40 Prozent der Fälle geht dies von Führungskräften aus. Andere Studien gehen sogar von einer Bossing-Quote von 70 Prozent aus. Zahlen zum »Mobbing von unten« liegen dagegen nicht vor; Mönikes zumindest weiß zu berichten, dass bei ihm die Fälle betroffener Klienten mehr werden.
Bei »Brennpunkt Betrieb« weist man zudem darauf hin, dass Arbeitgeber immer öfter »Anwälte des Schreckens« anheuern würden, die angetreten seien, »um das Bossing zu perfektionieren«. Zu den berühmtesten Exponenten dieser Gattung gehört gewiss Helmut Naujoks, dem es seiner Selbstdarstellung zufolge besonders stört, dass »Arbeitnehmer per se als Opfer« dargestellt würden. In Gewerkschaftskreisen jedoch hat man Naujoks selbst in erster Linie als »Täter« kennengelernt. In dem kürzlich erschienen Buch »Die Vollstrecker« von Christian Esser und Alena Schröder berichtet etwa Christina Frank von Verdi davon, w ie Naujoks Arbeitgebern helfe, unliebsamen Beschäftigten das Leben »zur Hölle« zu machen. Naujoks scheint diesen Ruf selbst zu pflegen, wie etwa sein Buch »Kündigung von Unkündbaren« zeigt. Einige Passagen daraus könne man, so urteilen Esser und Schröder, »als gezielte Anleitung zum Mobbing« lesen.