Die Regierungskrise in den Niederlanden

Henk und Ingrid sollen sparen

Die niederländische Minderheitsregierung ist an der Haushaltsfrage gescheitert. Strenge Sparmaßnahmen lehnen sowohl rechte als auch linke Parteien ab.

Nach dem Scheitern der Minderheitsregierung unter Ministerpräsident Mark Rutte von der Volks­partij voor Vrijheid en Democratie (VVD) bestimmen zwei Themen die politische Debatte in den Niederlanden. Zum einen die Frage nach Neuwahlen, die wegen der angespannten Finanzlage so schnell wie möglich stattfinden sollen. Einige Parteien sprachen sich zunächst für einen Termin vor der Sommerpause aus. Mittlerweile scheint man sich auf den 12. September einigen zu können.

Schwieriger dürfte eine Einigung beim Haushaltsentwurf werden, den die Regierung eigentlich bis Ende April der EU-Kommission vorlegen muss. Der Streit darüber führte Ende April nach knapp zwei Monaten Verhandlungen zum Ende der Koalition. Die marktliberale VVD und ihr christdemokratischer Juniorpartner, das Christen Democratisch Appèl (CDA), wollten ein »Sparpaket« im Umfang von 14 Milliarden Euro verabschieden, mit dem Ziel, die Neuverschuldung unter die Marge von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu bringen, die der Europäische Stabilitätspakt vorschreibt. Anderfalls droht eine Buße in Höhe von rund einer Milliarde Euro.

Verhindert hat das »Sparpaket« die rechtspopulistische Partij voor de Vrijheid (PVV), auf deren Unterstützung die Minderheitsregierung bislang angewiesen war. Eingefrorene Löhne, der Anstieg der Mehrwertsteuer, die vorgezogene Erhöhung des Rentenalters und eine stärkere Eigenbeteiligung bei den Gesundheitskosten – das wollte der Parteivorsitzende der PVV, Geert Wilders, seiner Anhängerschaft nicht zumuten. International vor allem als Counterjihadist und Zuwanderungsgegner bekannt, profiliert Wilders sich in den Niederlanden als Verteidiger sozialer Errungenschaften.
Überraschen mag dies, wenn man den den Streit über den Haushalt nach dem Schema »die Rechte will sparen, die Linke die Kaufkraft erhöhen« interpretiert. Dabei wird übersehen, dass die »soziale Frage« gerade von populistischen Gruppen immer wieder in den Mittelpunkt ihrer Politik gestellt wird. Bemerkenswert im Fall der PVV ist, dass Wilders einst der VVD angehörte, der niederländischen Partei, die sich besonders marktradikal und als Verteidigerin der Austerität gibt. Bei der PVV, so bekannte er einmal, stehe seine Politik hingegen im Dienst des fiktiven Paars »Henk und Ingrid«, dem Prototypus der hart arbeitenden, ehrlichen Kleinbürger.
Das eindimensionale Schema wird auch den (links-)liberalen Parteien der Mitte nicht gerecht. In den Niederlanden sind dies die Linksgrünen, die Democraten 66 sowie die christsoziale ChristenUnie. Gerade sie spielen in der aktuellen Situation eine entscheidende Rolle. Nur wenige Tage nach dem Rücktritt der Regierung einigten sie sich mit der Koalition über einen mehrheitsfähigen Haushaltsentwurf. Nachdem die PVV ihre Unterstützung aufkündigte, sind die VVD und das CDA nun dringend auf andere Bündnispartner angewiesen.

Zunächst nicht beteiligt an diesen Gesprächen waren die sozialdemokratische Partij van de Arbeid (PvdA) und die Socialistische Partij. Beide sprachen sich in einer ersten Parlamentsdebatte dagegen aus, die vereinbarte Begrenzung der Neuverschuldung auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Maas­trichter Vertrag als unumstößlich zu betrachten. Für den neuen Vorsitzenden der PvdA, Diederik Samsom, ist ein ausgeglichener Haushalt ein Fernziel, das sich eher mit einer ausgewogenen Sozialpolitik als durch strenge Sparmaßnahmen erreichen lässt.
Dass der anstehende Wahlkampf sich um Verteilungsgerechtigkeit – im Sinn der Verteilung der Krisenkosten – drehen wird, zeichnet sich deutlich ab. Sozialdemokraten, Sozialisten und Rechtspopulisten werden sich dabei einen Wettstreit um jene Wählerinnen und Wähler liefern, die den sozialen Kahlschlag fürchten. Entscheidend könnte die Europa-Frage werden. Wilders jedenfalls profilierte sich jüngst mit dem Slogan: »Entweder Henk und Ingrid oder Brüssel«.