Salafisten auf dem Vormarsch

Allah zu Gefallen

Vor mehreren Moscheen in Deutschland kam es in den vergangenen Tagen zu Ausschreitungen. Auf die Provokationen rechtsextremer Islam-Hasser reagieren radikale Muslime zuweilen auch mit Gewalt. Ein Besuch bei der Moschee der Salafisten in Berlin-Wedding.

Berlin-Wedding am vergangenen Freitag. An der as-Sahaba-Moschee, die sich in einem rosafarbenen Eckhaus in der Torfstraße befindet, deutet kein Schild darauf hin, dass es sich um die erste salafistische Moschee Berlins handelt. Die Behörden sprechen von einem »Sicherheitsrisiko«, eine Redakteurin des Radiosenders Funkhaus Europa, die sich undercover dort umgehört hat, berichtete, wie ein Imam Deutsche als Tiere beschimpft und seinen Anhängern erklärt habe, unter welchen Umständen Sprengstoffanschläge gerechtfertigt seien.

So spektakulär geht es heute nicht zu. Knapp 100 Männer treffen nach und nach zum Freitagsgebet ein. Sie stammen aus arabischen Ländern, aus Afrika und Südostasien, aus Charlottenburg und aus der Nachbarschaft. Nicht alle tragen Bärte, und auch der Dresscode ist nicht so einheitlich, wie man es an einem Ort wie diesem erwarten würde: Bench-T-Shirts und Militärhosen sind genauso vertreten wie galabiyas und Gebetsmützen. Manche Besucher haben ihre Söhne dabei, einige waschen sich am Eingang die Füße, es riecht nach süßlichem Raumparfum, an der Wand hängen mit Edding beschriftete Plakate, auf denen die Zeiten der fünf täglichen Gebete stehen. Deutsche fallen hier nicht weiter auf, viele der Besucher sind offensichtlich Konvertiten.
In der as-Sahaba-Moschee predigt heute Abul Baraa. Der verdient sein Geld unter anderem mit der Herausgabe von DVDs wie »Paradies und Hölle« und »Satan und seine Wege«. Mit Journalisten will er nicht reden, zu seiner khutba, der Predigt, duldet er sie jedoch und schließt sie gleich in sein Gebet ein: »Möge Allah ihnen einen Beruf geben, in dem sie nicht immer lügen müssen.« Denn dann würden die Journalisten nicht länger »zwischen den Menschen und dem Islam stehen«, und die Menschen würden »den wahren Islam sehen und annehmen«.
Daran glaubt Markus Beisicht ganz sicher nicht. Der Rechtsanwalt aus Köln will am kommenden Sonntag als Spitzenkandidat der rechtsextremen »Bürgerbewegung« Pro NRW in den Düsseldorfer Landtag gewählt werden. Chancen hat er eigentlich kaum, wie Umfragen zeigen, trotzdem erhofft sich seine Partei Erfolg von der Propaganda-Aktion, die sie in den vergangenen Wochen unter dem Namen »›Freiheit statt Islam‹-Tour« veranstaltete.
Vom 28. April bis zum 8. Mai hatte Pro NRW in insgesamt 25 Städten Kundgebungen angesetzt: »Unmittelbar vor protzigen Großmoscheen und umstrittenen Islamistenzentren werden wir Flagge zeigen für unsere Werte, unsere deutsche und christlich-abendländische Leitkultur« und »gegen Islamisierung, Sharia, Ehrenmorde und islamistischen Terrorismus«, verkündete Pro NRW. Beisicht, der in den neunziger Jahren unter anderem dadurch von sich reden machte, dass er ein Kopfgeld auf eine untergetauchte Asylbewerberin aussetzte, plante die größtmögliche Provokation. Der Plan ging auf. Die radikale Salafisten-Szene ließ sich nicht lange bitten.
Ein Prediger aus Nordrhein-Westfalen, Abu Abdullah, drohte unverhohlen: »Wir wollen nicht, dass deutsches Blut fließt«, fügte aber hinzu: »Auch in Marokko, Ägypten, Tunesien leben Deutsche, andere reisen dahin.« Und das werde künftig zum Risiko: »Frau Merkel, Sie sollten wissen, dass Sie das Leben deutscher Bürger in Gefahr bringen, wenn Sie das zulassen.« Dabei bezog er sich auf den von Pro NRW initiierten Wettbewerb für den sogenannten Kurt-Westergaard-Ehrenpreis für die »mutigste islamkritische Karikatur«. Schon im März hatten die Rechten den mit 1 000 Euro dotierten Preis ausgelobt. Die »besten Einsendungen« wollten sie vor den »umstrittenen Islamistenzentren« gemeinsam mit den Karikaturen des dänischen Zeichners Kurt Westergaard zeigen.
Am 1. Mai war Pro NRW vor die Solinger Milliatu-Ibrahim-Moschee gezogen, einen Treffpunkt für den harten Kern der Islamisten-Szene in Nordrhein-Westfalen. Der Moschee werden unter anderem die beiden jungen deutschen Konvertiten Christian E. und Robert B. zugerechnet, die 2011 in Großbritannien festgenommen wurden. Auf ihren Laptops hatten sie al-Qaida-Schriften gespeichert – »Wie man in der Küche eine Bombe baut« und »39 Möglichkeiten, den Jihad zu unterstützen«. B. erklärte in London vor Gericht, er habe sich lediglich »einen umfassenden Überblick über alle Richtungen des Islam« verschaffen wollen.

Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) verbot die Karikaturen-Show in Solingen. Doch Pro NRW nahm dies nicht hin. Das Oberverwaltungsgericht Münster gab einem Eilantrag der Islamgegner statt und gestattete ihnen, die Zeichnungen zu zeigen. Jäger habe nicht ausreichend belegen können, dass die öffentliche Sicherheit durch das Zeigen der Karikaturen gefährdet sei, lautet die Begründung.
Ganz falsch lag der Minister mit seiner Prognose aber nicht. An den ersten Stationen der Tour der Islam-Hasser blieb die Lage zwar ruhig, in Solingen esklalierte sie aber. Ein knappes Dutzend Salafisten wollten die Aktion der Rechtsextremen stoppen. »Sharia für Deutschland« rufend versuchten sie, eine Absperrung zu durchbrechen und gingen mit Stöcken und Steinen auf die Polizei los. Am Ende gab es drei verletzte Beamte und einen verletzen Passanten. 30 Salafisten wurden in Gewahrsam genommen.

Drei Tage später ist in Berlin-Wedding von all der Aufregung nichts zu spüren. Baraa predigt von der zakah, der Almosensteuer, er spricht Deutsch mit arabischen Einsprengseln, »ch« spricht er meist als »sch«, so klingt er ein bisschen wie ein migrantischer Gangsta-Rapper. Die Betenden bitten die Gäste, mit ihnen die Reihen zu schließen, auch wenn sie Christen seien. »Das macht überhaupt nichts.« Die zakah, erklärt Baraa, bewahre sündige Muslime vor der Hölle, denn sie habe die Kraft, die Menschen von ihren Sünden reinzuwaschen. Notwendig erscheint dies allemal, denn schließlich habe Allah nicht nur den außerehelichen Geschlechtsverkehr, sondern »auch alle Schritte dorthin« verboten. Dazu gehörten das Ansehen und Anfassen von Frauen sowie auch, »sich unter sie zu mischen«. Das ist nicht leicht: »Sagt, wie viele Sünden habt ihr allein in den letzten Tagen begangen, als die Sonne heraus gekommen ist? Und wir sind noch nicht einmal im Hochsommer.«
Die zakah müsse aber aus Halal-Quellen stammen (»Dein Drogengeld kannst du für dich behalten, das will Allah nicht«) und dürfe ausschließlich gegeben werden, »um Allah zu gefallen«. Sind diese Bedingungen erfüllt, vervielfache Allah dem Spender die gegebene Summe »um das 700fache«. Doch nicht nur das: Baraa berichtet von einem herzkranken Mann, der einer armen Frau Fleisch schenkte, damit sie nicht länger Knochen aus dem Müll ziehen muss, um ihre Kinder zu ernähren: »Seine Krankheit wurde geheilt.«
Nach der Freitagspredigt stehen einige junge Muslime vor der Moschee und essen Weingummi aus einer Papiertüte. »Wir gehen mal in diese Moschee, mal in eine andere«, sagt einer von ihnen, »manchmal verabreden wir uns und kommen zusammen, mal treffen wir uns zufällig.« Die Verteilung von Koran-Exemplaren auf der Straße, die in Berlin vor einigen Wochen für Aufsehen gesorgt hat, halten sie für eine gute Idee: »So sehen die Leute direkt, wie der Islam ist, und werden ihn annehmen.« Sie sind schätzungsweise nicht älter als 18, einer von ihnen ist vor einiger Zeit konvertiert »und dieser Bruder, inshallah, konvertiert auch bald«, sagt ein anderer, deutet auf seinen Freund und bietet Weingummi an. »Ich hatte bis vor einiger Zeit auch nichts mit dem Islam zu tun, aber dann habe ich ihn kennengelernt und meine Vorurteile abgelegt.« Die khutba hat ihnen gefallen. Im Sommer ein Leben zu führen, in dem sie sich ständig vor der Sünde in Acht nehmen müssen, sei keine Last. »Das ist wie mit dem Fasten im Ramadan«, sagt einer. »Das ist hart, aber Allah lässt uns nicht allein und deswegen freuen wir uns darauf.«

Am Samstag setzte Pro NRW die Tour in Bonn fort und ließ die Anhänger vor die König-Fahd-Akademie ziehen. Islamische Prediger hatten militante Muslime im Internet dazu aufgerufen, den Rechtsextremen die Stirn zu bieten: »Wir lieben Mohammed mehr als unsere Mutter und wir werden denen zeigen, dass wir keine Hampelmänner sind.« Mehr als 500 Salafisten folgten dem Aufruf. Nach einem kurzen Gebet griffen sie an. Mit Dachlatten, Messern, Steinen und Gullydeckeln gingen sie auf die Polizei los, 29 Beamte wurden verletzt, zwei von ihnen schwer, mehr als 100 Islamisten wurden festgenommen. Am Montag erließ das Amtsgericht in Bonn Haftbefehl gegen einen 25jährigen Türken, der an den Ausschreitungen beteiligt war, wegen dreifachen versuchten Mordes. Die Staatsanwaltschaft sagte, er habe eingeräumt, zwei Polizeibeamte mit einem Messer angegriffen zu haben, allerdings bestritten, dass er sie töten wollte.
Der Karikaturist Kurt Westergaard hat sich inzwischen von dem Wettbewerb der Rechtsextremisten distanziert. »Ich möchte mit keiner politischen Partei in Verbindung gebracht werden«, sagte er, »nur mit der Meinungsfreiheit.« Er habe den dänischen Journalistenverband um Hilfe gebeten, um gegen die missbräuchliche Nutzung seines Namens durch Pro NRW vorzugehen. Gleichzeitig verhängte Nordrhein-Westfalen das erste faktische Berufsverbot gegen einen Salafisten. Der 31jährige Muslim aus Duisburg war Polizeikommissar. Er hatte nach Berichten der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung private Infostände angemeldet, an denen radikal-islamistisches Material verbreitet wurde. Der WAZ zufolge räumte er »Kontakte zu Hasspredigern« ein. Essens Polizeipräsidentin Stephania Fischer-Weinsziehr sagte, sie gehe davon aus, dass der Mann den Koran über das Grundgesetz stelle. Er soll aus dem Beamtenverhältnis entlassen werden.