Sommer der Liebe

Martin Amis rechnet mal wieder ab: Der 63jäh­rige Autor gilt als Enfant terrible des britischen Literaturbetriebs. Sein jüngster Roman »Die schwangere Witwe« nimmt sich die Errungenschaften der sexuellen Revolution vor. »Für dieses Buch werden mich die Feministinnen hassen«, wird Amis auf dem Buchcover zitiert.
Und wie ist er nun, der Roman? Anders als erwartet. Nämlich weitaus differenzierter, gar nicht mal so schrecklich bissig-boshaft, dafür stellenweise ziemlich lustig, von einiger erzählerischer Raffinesse und nicht zuletzt auch dies: selbstironisch. Denn mit ein bisschen Phantasie kann man in dem Protagonisten des Romans, Keith Nearing, einem 22jährigen Bücherwurm, der Klassiker der englischen Literatur nach Sexstellen durchforstet, den Autor selbst erkennen.
Älter geworden, erinnert sich Keith an den Sommer des Jahres 1970, den er gemeinsam mit seiner Freundin Lily mit einer Gruppe Gleichaltriger im Urlaubsparadies Italien verbracht hat. Ein Sommer der Liebe, der endlich ausgelebten Triebe sollte es werden. Doch der Dreh von »Die schwangere Witwe« liegt eben darin, dass sich die angestaute Erregung nur ziemlich ungelenk ausleben lässt. Die gesellschaftlichen Verkrampfungen sitzen tief.
In der Trennung von Liebe und Sex, die sich damals durchzusetzen beginnt, stecke etwas Trauriges; sie markiere den Beginn einer Pornographisierung der Welt, findet Keith. Keine Frage, der Erzähler des Romans ist ein Kultur­pessimist. Martin Amis mit Sicherheit auch.

Martin Amis: Die schwangere Witwe. Aus dem Englischen von Werner Schmitz. Carl-Hanser-Verlag, München 2012, 414 Seiten, 24,90 Euro