Katina Schubert im Gespräch über die neuen Vorsitzenden und die Zukunft der Partei

»Es ist wirklich fünf vor zwölf«

Das Ergebnis der Wahlen zum Bundesvorstand der Partei »Die Linke« hatte so wohl niemand vorhergesehen. Mit der Wahl Katja Kippings war vielleicht noch zu rechnen gewesen. Bernd Riexinger dürfte aber bis zum Wochenende nur wenigen ein Begriff gewesen sein. Die Jungle World fragte Katina Schubert, die zu den Reformern gehört und beim Parteitag in Göttingen als Mitglied des Bundesvorstands wiedergewählt wurde, was dieses Ergebnis für die Partei bedeutet.

Ist die Wahl von Katja Kipping und Bernd Riexinger als Parteivorsitzende ein Schritt vor und zwei zurück?
Nein, das kann ich so nicht sagen. Immerhin wurden sie beide gewählt und haben jetzt auch die Chance verdient zu zeigen, dass sie in der Lage sind, die Partei zu führen.
Was bedeutet das Ergebnis für die reformerischen Kräfte innerhalb der Linkspartei nun konkret?
Das müssen wir sehen. Es ist ja nicht so, dass Katja Kipping keine Reformerin wäre. Sie steht für emanzipatorische Politik, die sehr konkrete Projekte benennt, die auch transformatorischen Charakter haben. Insofern ist das Bild, wonach die Reformer auf dem Parteitag marginalisiert worden seien, aus meiner Sicht nicht richtig.
Die Kritik richtet sich ja oft auch eher gegen Bernd Riexinger, den viele als bloßes Sprachrohr Oskar Lafontaines sehen. Tut man dem Mann damit Unrecht?
Ich kenne Bernd Riexinger nicht wirklich. Wir sind uns bisher nur zweimal begegnet. Deshalb kann ich mir da kein Urteil erlauben. Ich denke, er hat genau wie alle anderen die Chance verdient, sein politisches Profil zu zeigen und welchen Weg er mit der Partei gehen möchte. Das kann man dann beurteilen. Ihn vorweg verurteilen möchte und werde ich nicht.
Zeigen Kipping und Riexinger gerade wegen ihrer Unterschiede ganz gut, dass innerhalb der Linkspartei die Auffassungen darüber, welche Politik betrieben werden sollte, sehr auseinander gehen?
Die neue Spitze versucht, die Breite der Partei darzustellen, aber natürlich können zwei Leute alleine nicht die ganze Vielfalt von Biographien, Erfahrungen und politischen Positionen darstellen, die wir in der Partei haben. Insofern bilden auch die beiden nur einen Ausschnitt ab, aber sicherlich einen wichtigen. Entscheidend wird jetzt sein, wie gut Kipping und Riexinger kooperieren und auch mit dem Rest des Parteivorstandes zusammenarbeiten werden. Sie sind da ja nicht alleine. Ich habe das Gefühl, dass die Bereitschaft zur Zusammenarbeit auf allen Seiten nach dem Parteitag größer ist, als sie es davor war. Wenn das so ist, dann war dieser Parteitag sicherlich ein Schritt nach vorne.
In den Medien wird viel von einem »Konflikt zwischen Ossis und Wessis« in der Linkspartei gesprochen. Ist das nur ein Klischee?
Es gibt Konflikte zwischen politischen Linien, zwischen politischen Positionen und Strategien. Das deckt sich zum Teil auch mit den regionalen Grenzziehungen. Die Ursachen liegen allerdings eher in politischen Traditionen und Erfahrungen als in der Frage »Ost oder West«.
Im Osten holt die Linkspartei weiter gute Ergebnisse, während es im Westen seit eineinhalb Jahren eine Niederlage nach der anderen hagelt. Erst kürzlich ist »Die Linke« aus den Landtagen von Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein herausgeflogen. Ist der Westteil der Partei nicht zur Belastung für den Ostteil geworden?
Die Situation ist schwierig, keine Frage. Das gilt vor allem für den Westen, aber auch im Osten sieht es nicht unbedingt rosig aus. Das hat viel mit der Mitgliederentwicklung zu tun, aber auch damit, dass wir im Osten nicht die Wahlziele erreicht haben, die wir uns gesetzt hatten. Die Ost-Landesverbände wissen genau, dass wir bundespolitisch langfristig nur eine Perspektive haben, wenn es uns gelingt, aus der Fusion eine Vereinigung zu machen. Das geht allerdings auch nur auf Augenhöhe, und es geht nicht, wenn den Ost-Landesverbänden in irgendeiner Form eine Unterwerfung abverlangt wird.
Ist das Wort »Spaltung« also wirklich unangebracht?
Das Wort »Spaltung« kann man immer in den Raum werfen, aber das war ja auch gar nicht der Punkt in Gregor Gysis Appell. Es ging ihm und auch den anderen vielmehr darum, genau das zu vermeiden, weil eine »Nur-Ost-Partei« oder eine »Nur-West-Partei« keine Zukunft hätte.
Gregor Gysi sprach in diesem Zusammenhang auch von »Hass« innerhalb der Bundestagsfraktion. Dietmar Bartsch sagte der Taz, in der Fraktion sei die »die Kluft sehr tief«. Kann eine Partei so etwas auf Dauer aushalten?
Nein, auf Dauer kann so etwas keine Partei aushalten. Wir als »Die Linke« sind eine junge Partei und haben noch immer gewisse Anfangsschwierigkeiten. Es ist aber an der Zeit, dass wir lernen, mit den unterschiedlichen politischen Positionen umzugehen, und dass wir anfangen, die Gräben zuzuschütten, anstatt sie zu vertiefen. Die gesamte Fraktion ist jetzt in der Verantwortung, Brücken zu bauen, und der Vorstand hat die Aufgabe, die Partei zusammenzuführen. Inwieweit uns das gelingen wird, weiß ich natürlich nicht, aber ich werde versuchen, meinen Beitrag dazu zu leisten.
In etwas mehr als einem Jahr sind Bundestagswahlen, und derzeit liegt die Linkspartei in Umfragen nur noch knapp vor der FDP, also nahe der politischen Bedeutungslosigkeit. Kam Gysis Weckruf noch rechtzeitig?
Der Weckruf kam spät, aber er kam, und insofern war er gut. Mein Eindruck nach dem Parteitag ist, dass jetzt endlich alle eingesehen haben, dass es wirklich fünf vor zwölf ist, wenn nicht sogar schon eine Minute vor zwölf. Zumindest hoffe ich das.