Bridge und Revolte

Die Seniorenbegegnungsstätte »Stille Straße« befindet sich im Berliner Bezirk Pankow, umgeben von stattlichen Villen. Seit dem 29. Juni ist es mit der Idylle im Viertel allerdings vorbei, an diesem Tag haben die Rentner das Haus besetzt. Das Bezirksamt möchte den Seniorentreff aus Kostengründen schließen, das Gebäude und das Grundstück sollen verkauft werden. Beim Besuch fällt auf, dass es keinen Rollstuhlzugang zum Haus gibt, um bauliche Investitionen hat sich der Bezirk wohl kaum gekümmert. Bisher hat er 50 000 Euro im Jahr für den Unterhalt des Gebäudes bereitgestellt, das ist ihm nun zu teuer. Die Hausbesetzerinnen, es sind überwiegend Damen zwischen 67 und 82 Jahren, geben sich distanziert. Vielleicht fürchten sie, dass es sich bei der Besucherin um eine Maklerin handelt. Nur Doris Syrbe, die Vorsitzende des Seniorenvereins, stellt sich namentlich vor. Auf eine Besichtigungstour durch das Haus wird heute verzichtet, vielleicht war der Andrang zu groß. Journalisten aus der ganzen Republik reisten an: »Senioren-Occupy« ist eine Sensation. Syrbe sagt, der Bezirk habe ihnen keine echten Alternativen angeboten. Die 300 Rentner, die sich in der »Stillen Straße« zum Malen und Sport treffen, Bridge oder Schach spielen und Fremdsprachen lernen, sollen »umgesetzt« werden, was mit Fahrtkosten und Gebühren verbunden ist. In der »Stillen Straße« ist alles ehrenamtlich organisiert. Die Freundschaften, die die Senioren dort geschlossen haben, sind auch eine Überlebensstrategie. Die meisten kommen aus der ehemaligen DDR, viele wurden nach der Wende arbeitslos, ihre Rente ist bescheiden. Die Besetzer berichten von der großen Unterstützung der Anwohner. Falls der Bezirk zu härteren Maßnahmen greift, wollen sie für Strom und Wasser sorgen. Die Entscheidung über die »Stille Straße« wird im Dienstzimmer von Bezirksbürgermeister Matthias Köhne (SPD) getroffen, nach dessen Rückkehr aus dem Urlaub. Es könnte auf einen Deal hinauslaufen, denn wer eine Gruppe von Großmüttern räumt, hat verloren.